Bildschirmfoto 2021 03 20 um 00.23.08Auf die Schnelle: Gute Kulturliteratur, gebraucht, Teil 95

Lena Lustig

Berlin (Weltexpresso) – Das war seelische und ästhetische Labsal, diesen Bildband in Ruhe genießen zu dürfen. Draußen ist es kalt, regnerisch, ungemütlich. Drinnen mit diesem Bildband im Schoß ist man von der Farbenpracht in verschiedenen Rottönen, in Lila, in fleischfressenden Formen, wie man es aus den Palmenhäusern kennt, hingerissen.

Nein, es geht nicht um große Kunst, es geht eher um angewandte Kunst, wo Formen der Natur nachgeahmt werden und in den fast durchgängig ganzseitigen Fotos in Nahaufnahme ein wirklich überwältigendes Farben-Form Spektakel bieten. Der lockende Bildband bietet aber nicht nur die gemalten Blumen, sondern erklärt auch ihr Zustandekommen. Rosie Sander ist Blumenmalerin aus England und kann sich vor Bewunderung und vor Auszeichnungen kaum retten. Fast immer sind es Aquarellfarben, die sie verwendet, aber der eigentliche Trick, der sofort ins Auge fällt, ist ihre Methode, die Blüten bis auf das Zehnfache auf der Leinwand zu vergrößern.

Es ist aber noch etwas anderes, warum diese Bilder so auf künstliche Weise naturnah erscheinen, wirklich als, ob die Blüten ein eigenes Leben hätten, fleischig und selbstbewußt sowieso. Man erkennt die jeweiligen Blumen, die Orchideen, Amaryllis, Gladiolen, Schwertlilien, Iris, Anemonen, auch Rosen und Tulpen. Aber diese ganze Kunst lebt dann doch vom Licht, das manchmal wie durch die zarten Blütenblätter scheint, dann aber wieder von oben auf die die Blüten fällt, die an den Rändern ausfransen und durchsichtig werden.

Im Vorwort gibt Rosie Sander vor, wie sie das macht: von der Blume zum Bild. Das Bild entsteht erst einmal in ihrem Geist, in ihrer Vorstellung: „Ich denke sehr intensiv über mein nächstes Bild nach, bevor ich es überhaupt zu Papier bringe.“ Und sie sammelt. Sie sammelt Eindrücke, Objekte, Motive. Was sie überhaupt nicht beabsichtigt, sind traditionelle botanische Darstellungen, obwohl sie sich bemüht, der Pflanze in ihrem Eigensein gerecht zu werden, ihr „treu zu sein“, formuliert sie.

Sie muß gar nicht betonen, daß sie Lineares liebt, denn die Schwünge und überlappenden Blättern stehen die Formen im Vordergrund, was man nur nicht auf den ersten Blick merkt, weil die Farben erst einmal unsere Augen binden. Die gezeigten Bilder sind im Laufe von 10 Jahren entstanden und sie betont, daß sie aus ihren Erfahrungen gelernt hat, einfach ihrer Hand und ihren Augen zu trauen und zu malen ohne Angst, daß sie etwas falsch mache. Künstler nennen das Intuition, das konkret den jeweiligen vorkommt, als ob es aus ihnen heraus gefertigt wurde.

Ganz andere Worte findet ein der Einleitung DIE DRAMATIK DER STILLE Andreas Honegger. Erst einmal stellt er die so verschiedenartigen Blumenmalerei über die Zeiten dar, in der sich keines der Bilder von Rosie Sander wiederfindet. „Rosie Sanders‘ Bilder sind sehr genau, und sie erinnern – wenn man denn wirklich in Kategorien und Schubladen denken will – am ehesten an den Hyperrealismus, wie ihn der Schweizer Franz Gertsch seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts pflegt.“ Ich verstehe zwar, was er meint, komme aber zu einem anderen Urteil. Sie schaut wie durch ein Fernglas, wenn das Nahe weit wird und das Weite nah – und dies malt sie.

Zwar sind die fleischlichen Blütenblätter in der Mehrzahl, aber dann gibt es auch ganz andere, dann doch eher botanische Darstellungen – was keine Abqualifizierung, sondern ein Lob darstellt – von bescheidenen Pflanzen wie der Distel, wo jede Faser zu sehen ist, die Disteln aber wie aufrechte Hänflinge dastehen, die Wind und Wetter trotzen werden und sich nicht verbiegen lassen. So sind auch gleich nach dem Inhaltsverzeichnis die den meisten Menschen heute nicht mehr geläufigen Wiesenblumen dargestellt, zart und doch widerständig, denn man müßte noch den Wind erwähnen, der durch die Blütenblätter weht, die ständig in Bewegung sind.

Aber man merkt beim Niederschreiben, daß Wörter den Bildern nicht gewachsen sind. Man sollte es sich anschauen, dieses Buch.

Foto:
Cover

Info:
Rosie Sanders, Überwältigende Blüten mit Texten von Dr. Andreas Honegger, Sandmann Edition, Sandmann Verlag 2015
ISBN 978 3 938045 97 8