falk wiesbadenaktuell.de„Entnazifizierung und Kontinuität. Der Wiederaufbau der hessischen Justiz am Beispiel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main,“ zu dessen 75. Jubiläum, Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zuvor jedoch ein Hinweis auf eine Schrift aus dem Jahr 1971, „Unpolitische Justiz?“, Europäische Verlagsanstalt, in der Erika Dingeldey, eingebunden in die hessische Schulreform, für die Oberstufe der Gymnasien Lernziele zum Thema Hoch- und Landesverrat formuliert und dazu Material zusammenstellt.

Sie beginnt mit der Weimarer Republik: Kapp-Putsch, Hochverrat, publizistischer Landesverrat in der Weimarer Republik, publizistischer Landesverrat in der BRD (Spiegel-Affäre) sowie Behinderungen der Opposition in der Volksbefragung gegen Atombewaffnung in der Bundeswehr und auch das KPD-Verbot. Alles ziemlich niederschmetternd, was dabei juristisch herauskommt, beim Material für die Schüler kann sie auf Heinrich Hannover zurückgreifen, der unerschrocken als ‚Nestbeschmutzer‘ die Untaten und rechtsbeugenden Maßnahmen im Namen des Rechts in der Bundesrepublik anprangerte und für Weimar formulierte: „Kaiserliche Richter in der demokratischen Republik“.

Entscheidend in diesem Zusammenhang ist dann die Soziologie der Richter, erst die von Weimar, dann zur historischen Kontinuität des Richterstandes und die Richter der BRD. Dabei geht es ohne gesellschaftlichen Hintergrund, bzw. politische Orientierung erst einmal soziologisch darum, daß 75 Prozent der Richter dort geboren wurden, wo sie amtierten und 75 Prozent als Väter diejenigen hatten, die durch ihre Berufe den obersten 5 Prozent der Gesellschaft angehören! Eine Untersuchung von 1965 nach der sozialen Herkunft‘ deutscher Juristen ergab kaum Veränderungen. Wieviel Juristen aus Juristenfamilien kommen, wurde hier nicht erhoben, kommt aber sozusagen strafverschärfend hinzu,

Was von heute her an dieser Schrift, die ja gutes Lehr- und Lernmaterial bieten wollte, auffällt, ist der ständige Bezug auf soziologische Fragestellungen, des familiären Hintergrunds, aber mit keiner Silbe auf die NS-Verquickungen der Richterschaft, die ja 1971 noch andauerten, eingeht. Dabei ist Erika Dingeldey eine herausragende Didaktikerin. Wenn sie den inhaltlichen Aspekt des Richterseins, nämlich die Haltung zum demokratischen Staat, überhaupt nicht zum Thema macht, muß man sich nicht wundern, daß die Justiz selber, die Juristen in führender Stellung, erst 2017 einen solchen Band herausbringen. Endlich und das sehen wir nur positiv. Aber erwähnt werden muß, daß in der obigen didaktischen Erörterung Namen von Juristen auftauchen, die mir in so guter Erinnerung sind: Erhard Denninger, Rudolf Wiethölter, wo ich Michael Hofferbert anfügen möchte.

Diese Untersuchung, die 2017 abgeschlossen wurde, wird von uns auf dem Hintergrund des 75. Jahrestages der Neugründung des Oberlandesgerichts Frankfurt und auch der Hessischen Generalstaatsanwaltschaft am 8. März 1946 gesehen. Das waren gerade heftige Zeiten, wo der Mord an Walter Lübcke mit einem Urteil endete, daß keiner der Prozeßbeteiligten akzeptieren will, also die Revision am Bundesgerichtshof folgen wird.

In den 75 Jahren hat es einige Prozesse gegeben, die auf großes gesellschaftliches Interesse stießen: lebenslange Freiheitsstrafen gegen Birgit Hogefeld von der RAF, der Rote Armee Fraktion, ebenfalls lebenslang für einen ruandischen Völkermörder, gegen einen Flughafenattentäter, der den ersten islamistischen gelungenen Anschlag verantwortete. Die Stunde 0 gab es wirklich, als die Amerikaner in ihrer Besatzungszone alle Gerichte schloßen und deren Entnazifizierung versuchten. Als es am 8. März 1946 wieder losging, war Georg-August Zinn (SPD), der spätere Ministerpräsident, Justizminister, ein Mann, vor dem man sich nur ob seiner Weitsicht und Einsatz für demokratische Verhältnisse verneigen kann. Präsident Poseck hob dies bei der 75. Jahresfeier hervor wie auch Fritz Bauer, den Zinn als Generalstaatsanwalt 1956 nach Hessen geholt hatte, sicher auch wegen des bahnbrechenden Urteil gegen den Nazi Remer, der lautstark die Widerstandskämpfer vom 14. Juli 1944 als Vaterlandsverräter diffamiert hatte, wobei die Richter den Begründungen der Volksverhetzung des Generalstaatsanwalt von Braunschweig, Fritz Bauer,  folgten.

Fortsetzung folgt

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Info:
Georg D.Falk, Entnazifizierung und Kontinuität. Der Wiederaufbau der hessischen Justiz am Beispiel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, 86ste Veröffentlichung der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 2017
ISBN 978 3 942225 38 0