Das Wissen des Robert Maynard Pirsig
Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg/Weser (Weltexpresso) - „Ich sehe eine fortdauernde böse soziale Krise auf uns zukommen, die keiner in ihrer Tragweite übersieht, ganz zu schweigen von Vorschlägen zu ihrer Beseitigung.“ ― Robert M. Pirsig
Robert Maynard Pirsig (* 6. September 1928 in Minneapolis, Minnesota; † 24. April 2017 in South Berwick, York County, Maine) war ein US-amerikanischer Autor. Sein erstes Werk „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ (1974) wurde bis heute in 27 Sprachen übersetzt und in mehr als fünf Millionen Exemplaren verkauft.
Schon während seiner Kindheit in Minneapolis fiel Robert M. Pirsig durch seine außergewöhnliche Intelligenz auf; im Alter von 9½ Jahren wurde bei ihm ein IQ von 170 festgestellt. (Heute bei einem von 50.000 Menschen). Er konnte schon schreiben und lesen als er in den Kindergarten kam. Er übersprang Schulklassen und begann als Teenager zu studieren. Erste Zweifel an dem, was wissenschaftlich sei an der vermittelten Wissenschaft, Studienabbrüche, psychische Überforderung in einer Welt, deren Rationalität er zunehmend als Denkmuster überholter Strukturen begriff, brachten ihm eine Zwangseinweisung mit 28 Elektroschock-Behandlungen ein. Zuvor war er als Weltkriegssoldat in Asien mit dem Zen-Buddhismus in Kontakt gekommen und hatte später eineinhalb Jahre an der Universität im indischen Benares östliche Philosophie studiert.
Erst aus seiner bei WIKIPEDIA nachzulesenden Biografie wurde mir klar, dass Pirsigs Buch „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ ein Werk ist, das – wie seinerzeit die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb, „niemanden unberührt lassen wird, der die Sorge um das Morgen kennt...“, und dass es tatsächlich eine Motorrad-Tour mit einem befreundeten Ehepaar gegeben hat, das sich zwar eine teure BMW-Maschine geleistet, aber keinen Sinn für deren Wartung hatte. Wie Robert M. Pirsig diese Auseinandersetzung während der Motorrad-Fahrt mit seinen Bekannten John und Silvia und mit seinem kleinen Sohn Chris nutzt, um für uns Leser die Lernprozesse seines Lebens zu ordnen, ist genial – und soll hier in einem Ausschnitt dokumentiert werden: Gedanken, die helfen könnten, uns auf das vorzubereiten, was die gegenwärtige Pandemie mit uns anrichten kann!
„John betrachtet das Motorrad und sieht Stahl in verschiedenen Formen und hat negative Gefühle im Zusammenhang mit diesen stählernen Gebilden und schaltet ab. Ich betrachte jetzt auch diese stählernen Gebilde, und ich sehe Ideen. Er glaubt, ich arbeite an Teilen. Ich arbeite an Begriffen. Ich sprach gestern von diesen Begriffen, als ich sagte, dass man ein Motorrad nach seinen Bestandteilen und nach seinen Funktionen aufteilen kann. ... Und jedesmal, wenn ich (in mit Linien verbundenen Kästchen) eine weitere Unterteilung vornahm, ... baute ich gleichzeitig eine Struktur auf.
Diese Struktur von Begriffen wird formal als Hierarchie bezeichnet und ist seit altersher eine Grundstruktur allen westlichen Wissens. Königreiche, Imperien, Kirchen, Armeen, sie alle wurden und werden in Hierarchien gegliedert. Moderne Unternehmen sind ebenfalls so strukturiert, Inhaltsverzeichnisse sind so strukturiert, Montageanleitungen, Computer-Software, alles wissenschaftliche und technische Wissen ist so strukturiert ... Diese Strukturen sind normalerweise in so komplexen und weitverzweigten Mustern und Linien miteinander verknüpft, dass der einzelne im Lauf seines ganzen Lebens nie mehr als einen kleinen Teil von ihnen zu begreifen vermag. Der Sammelname für diese vielfältig miteinander verknüpften Strukturen, die Gattung, der die Hierarchie des Enthaltenseins und die Struktur der Kausalität nur als Arten angehören, ist System. Das Motorrad ist ein System. Ein echtes System.
Es ist korrekt, gewisse Institutionen des Staates und des Establishments als "das System" zu bezeichnen, da diese Organisationen auf denselben strukturellen begrifflichen Beziehungen beruhen wie ein Motorrad. Sie werden selbst dann noch durch strukturelle Beziehungen aufrechterhalten, wenn sie jeden anderen Sinn und Zweck verloren haben. Menschen gehen in eine Fabrik und führen von acht bis fünf ohne fragen eine völlig sinnlose Arbeit aus, weil die Struktur es so verlangt. Es gibt keinen Schurken, keinen "fiesen Typ", der will, dass sie ein sinnloses Leben führen, es liegt nur daran, dass die Struktur, das System es verlangt und keiner bereit ist, die Struktur zu verändern, bloß weil sie sinnlos ist.
Reißt man aber eine Fabrik ein oder revoltiert gegen die Regierung oder unterlässt es, ein Motorrad zu reparieren, nur weil es sich dabei um ein System handelt, heißt das, Wirkungen anstelle von Ursachen anzugreifen; und solange nur die Wirkungen angegriffen werden, ist keine Veränderung möglich. Das wahre System, das eigentliche System ist der derzeitige Aufbau unseres systematischen Denkens selbst, die Rationalität selbst, und wenn man eine Fabrik einreißt, jedoch die Rationalität, die sie hervorgebracht hat, stehen läßt, dann wird die Rationalität einfach eine neue Fabrik hervorbringen. Wenn eine Revolution eine systematische Regierung vernichtet, die systematischen Denkmuster, die diese Regierung hervorbrachten, jedoch unangetastet läßt, dann werden sich diese Denkmuster in der nachfolgenden Regierung wiederholen. ...
Die Ursache unserer gegenwärtigen sozialen Krisen ... ist ein genetischer Defekt in der Natur der Rationalität. Und solange dieser genetische Defekt nicht beseitigt ist, werden die Krisen andauern. Unsere gegenwärtigen rationalen Denkweisen bringen die Gesellschaft nicht weiter, einer besseren Welt entgegen. Sie entfernen sie immer mehr von dieser besseren Welt. Seit der Renaissance sind diese Denkweisen in Gebrauch. Solange das Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft im Vordergrund steht, werden sie auch künftig Anwendung finden. Aber nun, da für große Teile der Menschen diese Bedürfnisse nicht mehr alle anderen überwiegen, ist die ganze Struktur der Rationalität, wie sie aus alter Zeit auf uns gekommen ist, nicht mehr angemessen. Man beginnt sie so zu sehen, wie sie wirklich ist – emotional hohl, ästhetisch bedeutungslos und geistig leer. Das ist ihr heutiger Zustand, und daran wird sich auch auf sehr lange Sicht nichts ändern. Ich sehe eine fortdauernde böse soziale Krise auf uns zukommen, die keiner in ihrer Tragweite übersieht, ganz zu schweigen von Vorschlägen zu ihrer Beseitigung.“
Fotos:
© S. Fischer-Verlage / KJS
Info:
Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten / Robert, M. Pirsig
Verlag: FISCHER Taschenbuch, 1999
ISBN 10: 3596501563ISBN 13: 9783596501564
https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_M._Pirsig
http://www.radiobridge.net/KJS%20Stories.html
Schon während seiner Kindheit in Minneapolis fiel Robert M. Pirsig durch seine außergewöhnliche Intelligenz auf; im Alter von 9½ Jahren wurde bei ihm ein IQ von 170 festgestellt. (Heute bei einem von 50.000 Menschen). Er konnte schon schreiben und lesen als er in den Kindergarten kam. Er übersprang Schulklassen und begann als Teenager zu studieren. Erste Zweifel an dem, was wissenschaftlich sei an der vermittelten Wissenschaft, Studienabbrüche, psychische Überforderung in einer Welt, deren Rationalität er zunehmend als Denkmuster überholter Strukturen begriff, brachten ihm eine Zwangseinweisung mit 28 Elektroschock-Behandlungen ein. Zuvor war er als Weltkriegssoldat in Asien mit dem Zen-Buddhismus in Kontakt gekommen und hatte später eineinhalb Jahre an der Universität im indischen Benares östliche Philosophie studiert.
Erst aus seiner bei WIKIPEDIA nachzulesenden Biografie wurde mir klar, dass Pirsigs Buch „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ ein Werk ist, das – wie seinerzeit die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb, „niemanden unberührt lassen wird, der die Sorge um das Morgen kennt...“, und dass es tatsächlich eine Motorrad-Tour mit einem befreundeten Ehepaar gegeben hat, das sich zwar eine teure BMW-Maschine geleistet, aber keinen Sinn für deren Wartung hatte. Wie Robert M. Pirsig diese Auseinandersetzung während der Motorrad-Fahrt mit seinen Bekannten John und Silvia und mit seinem kleinen Sohn Chris nutzt, um für uns Leser die Lernprozesse seines Lebens zu ordnen, ist genial – und soll hier in einem Ausschnitt dokumentiert werden: Gedanken, die helfen könnten, uns auf das vorzubereiten, was die gegenwärtige Pandemie mit uns anrichten kann!
„John betrachtet das Motorrad und sieht Stahl in verschiedenen Formen und hat negative Gefühle im Zusammenhang mit diesen stählernen Gebilden und schaltet ab. Ich betrachte jetzt auch diese stählernen Gebilde, und ich sehe Ideen. Er glaubt, ich arbeite an Teilen. Ich arbeite an Begriffen. Ich sprach gestern von diesen Begriffen, als ich sagte, dass man ein Motorrad nach seinen Bestandteilen und nach seinen Funktionen aufteilen kann. ... Und jedesmal, wenn ich (in mit Linien verbundenen Kästchen) eine weitere Unterteilung vornahm, ... baute ich gleichzeitig eine Struktur auf.
Diese Struktur von Begriffen wird formal als Hierarchie bezeichnet und ist seit altersher eine Grundstruktur allen westlichen Wissens. Königreiche, Imperien, Kirchen, Armeen, sie alle wurden und werden in Hierarchien gegliedert. Moderne Unternehmen sind ebenfalls so strukturiert, Inhaltsverzeichnisse sind so strukturiert, Montageanleitungen, Computer-Software, alles wissenschaftliche und technische Wissen ist so strukturiert ... Diese Strukturen sind normalerweise in so komplexen und weitverzweigten Mustern und Linien miteinander verknüpft, dass der einzelne im Lauf seines ganzen Lebens nie mehr als einen kleinen Teil von ihnen zu begreifen vermag. Der Sammelname für diese vielfältig miteinander verknüpften Strukturen, die Gattung, der die Hierarchie des Enthaltenseins und die Struktur der Kausalität nur als Arten angehören, ist System. Das Motorrad ist ein System. Ein echtes System.
Es ist korrekt, gewisse Institutionen des Staates und des Establishments als "das System" zu bezeichnen, da diese Organisationen auf denselben strukturellen begrifflichen Beziehungen beruhen wie ein Motorrad. Sie werden selbst dann noch durch strukturelle Beziehungen aufrechterhalten, wenn sie jeden anderen Sinn und Zweck verloren haben. Menschen gehen in eine Fabrik und führen von acht bis fünf ohne fragen eine völlig sinnlose Arbeit aus, weil die Struktur es so verlangt. Es gibt keinen Schurken, keinen "fiesen Typ", der will, dass sie ein sinnloses Leben führen, es liegt nur daran, dass die Struktur, das System es verlangt und keiner bereit ist, die Struktur zu verändern, bloß weil sie sinnlos ist.
Reißt man aber eine Fabrik ein oder revoltiert gegen die Regierung oder unterlässt es, ein Motorrad zu reparieren, nur weil es sich dabei um ein System handelt, heißt das, Wirkungen anstelle von Ursachen anzugreifen; und solange nur die Wirkungen angegriffen werden, ist keine Veränderung möglich. Das wahre System, das eigentliche System ist der derzeitige Aufbau unseres systematischen Denkens selbst, die Rationalität selbst, und wenn man eine Fabrik einreißt, jedoch die Rationalität, die sie hervorgebracht hat, stehen läßt, dann wird die Rationalität einfach eine neue Fabrik hervorbringen. Wenn eine Revolution eine systematische Regierung vernichtet, die systematischen Denkmuster, die diese Regierung hervorbrachten, jedoch unangetastet läßt, dann werden sich diese Denkmuster in der nachfolgenden Regierung wiederholen. ...
Die Ursache unserer gegenwärtigen sozialen Krisen ... ist ein genetischer Defekt in der Natur der Rationalität. Und solange dieser genetische Defekt nicht beseitigt ist, werden die Krisen andauern. Unsere gegenwärtigen rationalen Denkweisen bringen die Gesellschaft nicht weiter, einer besseren Welt entgegen. Sie entfernen sie immer mehr von dieser besseren Welt. Seit der Renaissance sind diese Denkweisen in Gebrauch. Solange das Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft im Vordergrund steht, werden sie auch künftig Anwendung finden. Aber nun, da für große Teile der Menschen diese Bedürfnisse nicht mehr alle anderen überwiegen, ist die ganze Struktur der Rationalität, wie sie aus alter Zeit auf uns gekommen ist, nicht mehr angemessen. Man beginnt sie so zu sehen, wie sie wirklich ist – emotional hohl, ästhetisch bedeutungslos und geistig leer. Das ist ihr heutiger Zustand, und daran wird sich auch auf sehr lange Sicht nichts ändern. Ich sehe eine fortdauernde böse soziale Krise auf uns zukommen, die keiner in ihrer Tragweite übersieht, ganz zu schweigen von Vorschlägen zu ihrer Beseitigung.“
Fotos:
© S. Fischer-Verlage / KJS
Info:
Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten / Robert, M. Pirsig
Verlag: FISCHER Taschenbuch, 1999
ISBN 10: 3596501563ISBN 13: 9783596501564
https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_M._Pirsig
http://www.radiobridge.net/KJS%20Stories.html