„Entnazifizierung und Kontinuität. Der Wiederaufbau der hessischen Justiz am Beispiel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main,“ zu dessen 75. Jubiläum, Teil 3/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt hob auch hervor, daß diese beiden Männer, der frühere Justizminister Georg-August Zinn und spätere hessische Landesvater und der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, den Zinn geholt hatte, zu denen er noch Curt Staff, lange Gerichtspräsident, hinzuzählt, - alle drei SPD, alle drei im Exil gewesen - es geschafft hatten, daß am OLG Frankfurt in den 50er und 60er Jahren ‚nur‘ etwa 25 Prozent NS-belastete Richter tätig waren, während sie für andere deutsche OLGs über 50 Prozent betrugen.
Damit beruft er sich auch auf die Untersuchungen, die der vorliegende Band dokumentiert. Die Würdigung des 1968 plötzlich verstorbenen Fritz Bauer, die seit Jahren anhält und Geschichte schreibt, kam spät, aber intensiv. So ist es auch verständlich, daß im Personenindex Fritz Bauer zusammen mit August Auffahrt auf die meisten Nennungen kommt. Über den lesen wir später unter „Belastete Richter“. Mit den Personen im Index anzufangen, ist ein ganz spezieller Zugang zu solchen umfassenden Untersuchungen und wir haben das mit verschiedenen Namen geübt, bis wir an Ilse Staff hängen blieben. Sie wird in diesem Kontext nur einmal erwähnt, dann auch nur mit Dank an einen Hinweis, den sie gab. Als Hochschullehrerin ist ihr Fehlen auch nicht verwunderlich, aber daß es zumindest an der Frankfurter Universität den Ilse-Staff-Preis gibt, wäre an anderer Stelle, beispielsweise mit einer Biographie angemessen zu würdigen.
Ein anderer Zugang, immer sinnvoll, ist es, sich die Gliederung, das Inhaltsverzeichnis vor dem Stöbern, das wiederum dem richtigen Lesen, dem Arbeiten am Text vorausgeht, anzuschauen, um das Konzept, den Verlauf der Untersuchung zu verstehen. Dazu im ersten Kapitel Grundlage und Ziele der Untersuchung, im zweiten wird definiert, was eine NS-Belastung begründet. Im dritten Teil geht es um die Rahmenbedingungen beim Wiederaufbau des OLG, was deshalb wichtig ist, weil Heutige die Nachkriegszeit, die Zerstörung des privaten und beruflichen Umfelds, sich kaum mehr vorstellen können.
Mit dem 4. Teil geht es dann ans Eingemachte. „Die Richter des Oberlandesgerichts 1946 bis 1949“, beginnt auf Seite 151. Insgesamt 51 Richter waren in diesem Zeitraum tätig, 14 am Anfang, 37 später. „Mehr als die Hälfte (27) der Richter dieser ersten Untersuchungsgruppe hatte der NS-Justiz nicht angehört oder war zwangsweise aus ihr ausgeschieden.“ Es folgen die schon avisierten Biographien dieser Richter, was wirklich spannend ist, auch niederdrückend, wenn es um rassistisch verfolgte und diskriminierte Juristen geht. Es sind übrigens nur Männer, die Richter sind, Richterinnen gab es noch nicht, was sich bei den wichtigsten Beamten des Justizministeriums wiederholt, die später auch mit ausführlichen Lebensdarstellungen folgen. Das älteste Geburtsdatum, das uns bei den Richtern auffiel war 1877. Die meisten waren Ende des 19. Jahrhunderts oder kurz nach 1900 geboren. Wenn aber der Autor als Ergebnis feststellt, daß nur vier Richter im Sinne der vom Autor am Anfang genannten Kriterien als NS-belastet übrig bleiben, kann man die Besetzungspolitik nur bewundern, die – es sei nochmals gesagt – in der BRD einzig war.
Nach den Biographien folgen Gründe für den Erfolg der Entnazifizierung ab 1946, der maßgeblich Justizminister Zinn zugeschrieben wird, seit 1. November 45 als erster Justizminister im Amt. Er hatte schon damals als Schwerpunkt „Euthanasie-Morde“, was man mit Betroffenheit liest, denn Fritz Bauer, der für alle mit dem gesellschaftlich so wichtigen Auschwitzprozeß verbunden ist, sah dennoch in den von ihm vorbereiteten Euthanasieprozessen das noch wichtigere Informationspotential für Deutschland – er starb darüber und warum die hessische Justiz diese dann ad acta legten, ist einer eigenen Untersuchung wert. Die wird kommen, da bin ich sicher, die Mühlen der Justiz mahlen nur sehr langsam, wie man hier sieht.
Und manchmal mahlen sie gar nicht oder sogar rückwärts, denn schon während 1953 und 1960 ändert sich die ‚gute‘ Bilanz. 1950 gab es 32 Richterstellen am OLG, die sich in den folgenden Jahren um 50 Prozent erhöhten, also 48 Richter zu untersuchen waren, die dann für 1960 noch einmal auf 67 Richter anstiegen. Diese erhöhten zum einen die Quote der Amtskontinuität, aber auch die der NS-belasteten Richter. 1950 ist für den Verfasser der Wendepunkt: „Es kam jetzt die Zeit der Mitläufer.“ Da die Unbelasteten schon eingestellt waren, wurde jetzt auf die Belasteten zurückgegriffen. 1953 haben von 48 Richtern 29 der NS-Justiz angehört, das sind über 60 Prozent! Unter den 1953 hinzugekommenen Richtern befanden sich 16 Mitglieder der NSDAP. Muß man mehr sagen, zumal bis Ende 1949 kein Richter Nazi-Parteimitglied war. .
1960 gab es dann schon 67 Richter auf Planstellen, 41 hatten der NS-Justiz angehört, das sind 61 Prozent! Jetzt kann man den Ausspruch des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer noch besser verstehen, wenn er sagte: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland“.
Damit wollen wir es belassen, aber darauf hinweisen, daß Autor Falk noch sehr wichtige weitere Bereiche aufführt: die juristische Aufarbeitung der Anstaltsmorde sowie der Justizmoder, aber auch das Niederschlagen von beabsichtigten Ermittlungen gegen besonders belastete NS-Richter, die also nie vor Gericht kamen.
Dieses Buch ist für jeden lesbar, das heißt, man braucht keinen speziellen juristischen Sachverstand. Die Ausführungen sind präzise und belegt. Die Biographien aller Richter der Zeiträume sind eine eigene Würdigung wert. Hier ist Material zusammengetragen, das mich staunen macht, ob seiner Ausführlichkeit und Erkenntnis.
Foto:
Bauer© hdg.de
Zinn:©bundesrat.de
Info:
Georg D.Falk, Entnazifizierung und Kontinuität. Der Wiederaufbau der hessischen Justiz am Beispiel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, 86ste Veröffentlichung der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 2017
ISBN 978 3 942225 38 0