Englischsprachige Autoren mit dem Nachnamen Harris, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schrecklich amerikanisch, aber spannend und wahrhaftig. So sollte die Überschrift lauten, bevor wir die so verschiedenen Schriftsteller mit Namen Harris vorstellten. Was ‚schrecklich amerikanisch‘ ist, bedeutet einfach ein Pathos, das in der Luft liegt, und eine etwas aufdringliche Hervorhebung der ‚wunderbaren‘ amerikanischen Nation. Aber ansonsten ist man verblüfft über gedankliche Tiefe der Analyse, ihre demokratischen Ideale, die Entschlossenheit sowie Durchsetzungskraft dieser amerikanischen Politikerin der Demokraten, derzeit erste weibliche schwarze Vizepräsidentin der USA.
Ich kann mich nicht erinnern, einen derartigen Rundumschlag für die Ausbildung, die politischen und privaten Rechte von Frauen und eine derart eindeutige Absage, eigentlich sogar Kriminalisierung derer, die Frauen keine Chancen geben, sie demütigen, klein halten, ja Gewalt anwenden von irgendeiner deutschen Politikerin je gehört zu haben. Kamala Harris ist Feministin und das nicht so nebenbei, sondern als ein Teil ihrer eigenen Biographie, in der ihre Mutter der Mensch war und auch nach dem Tode bleibt, die sie dahin orientierte. Sie muß wirklich beeindruckend gewesen sein, die indische Studentin Shyamala Gopalan, die eigentlich nur zum Studium in die USA kam, wo sie einen Jamaikaner, Donald Harris, kennenlernte. Das war es dann. Auch wenn die Ehe nicht hielt, ist doch die Mutter glaubwürdig die Kraft im Leben der Tochter, die sie ethisch, moralisch und auch ganz praktisch durchs Leben führt. Übrigens eine Naturwissenschaftlerin, die sich über Kanada an amerikanischen Hochschulen als Lehrende durchsetzte und die gleichzeitig dafür sorgte, daß die Tochter die indischen Wurzeln kennen- und pflegen lernte wie auch die indische Verwandtschaft, die sie durch viele Besuche kennt.
Das heile Familienleben durchzieht das Buch, genauso wie es der Feminismus, das Recht und ihr Kampf für einen humanen Strafvollzug, gegen Rassismus und für menschliche soziale Verhältnisse tut. Letzteres war mir vielleicht die größte Überraschung. Ihren Worten nach ist Kamala Harris eine Sozialistin, auch wenn sie das Wort nicht in den Mund nimmt! Knallhart legt sie die Daten auf den Tisch: Nach dem 2. Weltkrieg führten die Unternehmergewinne in den USA zu Lohnerhöhungen. In drei Jahrzehnten wuchs die Produktivität um 97 Prozent, die Löhne stiegen um 90 Prozent. Gleichzeitig half der Staat speziellen Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise Veteranen, die kostenlos studieren konnten. Die Mittelschichten waren gestärkt und garantierten gesellschaftliche Stabilität.
Doch in den 80-90er Jahren sind die Gewinne nicht mehr an die Arbeitnehmer weitergegeben worden, sondern ab jetzt glaubten die Unternehmen sich ihren Aktionären verpflichtet. So stieg von 1973 bis 2013 die Produktivität um 73 Prozent, aber der Lohn im selben Zeitraum nur um 9 Prozent. Und der Name in diesem Zusammenhang heißt Ronald Reagan, der die neue republikanische Wirtschaftspolitik propagierte. Er setzte Steuersenkungen für Konzerne und ebenfalls Steuersenkungen für Aktionäre durch. Im selben Zeitraum wurde erst der Mindestlohn gesenkt und dann ganz abgeschafft! Entscheidend für die politische Entwicklung war die Entmachtung der Gewerkschaften und der gesellschaftlicher Wandel hin zu Gier und Egoismus. Es stiegen die Unternehmergewinne, während die, die dafür arbeiteten, vier Jahrzehnte keine nennenswerten Zugewinne erhielten.
Keiner schämt sich dafür, daß ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens 300 Mal so viel verdient wie ein Arbeitnehmer. Früher wurde der wirtschaftliche Erfolg, der Kuchen verteilt, während jetzt für die Beschäftigten nur noch Krümmel bleiben. Zusätzlich wurden in großem Stil Arbeitsplätze vernichtet, durch Verlagerung ins Ausland, bisherige Metropolen wurden zur Geisterstädte, wir in Deutschland kennen den Zusammenbruch der Zivilgesellschaft aus Dokumentationen im Fernsehen oder der Presse. Hinzu kam die Finanzkrise und endlich versteht man nach ihren Ausführungen auch, wie durch private, vom Staat geförderte private Gesellschaften sowie Banken dieser finanzielle Teufelskreis, Immobilienkrise genannt, zum Verlust von Millionen von Häusern und Wohnungen von Kleinverdienern führte.
Dies wird hier so deutlich betont, weil ich dieser Autorin und Politikerin solche eindeutigen Aussagen nicht zugetraut hätte. Alles andere – und es ist das Überwiegende – schon. Nach ihrer Dankbarkeit ihrer Mutter, ihrer Familie gegenüber, die wie gesagt, das Buch durchzieht, ist der Weg der 1964 Geborenen, Jura zu studieren und als Juristin auf der Ebene der Staatsanwaltschaft für die Durchsetzung des Rechts, was für sie immer soziale Gerechtigkeit einschließt, zu sorgen, sehr vielschichtig und schon früh mit Politik verbunden. Aus der Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, wurde 2011 die Generalstaatsanwältin und Justizministerin von Kalifornien und 2017 die US-Senatorin des Senats, dem sie für die nächsten vier Jahre vorsitzt, wenn die derzeitige paritätische Besetzung von 50:50 für die beiden großen Parteien ihre Stimme zur Mehrheitsfindung erforderlich macht.
Diese Biographie zu hören, die vor dem Wahlkampf abgeschlossen wurde, hat zur Folge, daß man jede Nachricht über oder von Kamala Harris einfach anders anhört. Hier hat ein politischer Mensch gesprochen, der glaubwürdig scheint. Nina West spricht so selbstverständlich, daß man immer glaubt, man höre die Autorin direkt.
Foto:
Cover
Info:
Der Wahrheit verpflichtet: Meine Geschichte
Vollständige Lesung
Sprecherin: Nina West
1mp3-CD/Laufzeit 8h 48min
978 3 8445 4316 2
Übersetzung: Jürgen Neubauer
Buchvorlage: Siedler Verlag
Produktion: der Hörverlag 2021