Auf die Schnelle: Gute Sachbuchliteratur, gebraucht, Teil 1089 EXIL IV
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aus Sanary sind besonders viele Objekte -39 - in die Sammlung der Deutschen Nationalbibliothek nach Frankfurt gekommen und vor allem gibt es eine Menge Literatur über diese Zeit, denn die meisten Ankömmlinge waren Schriftsteller, weshalb man Sanary auch „Hauptstadt der deutschen Literatur“ nennt, die rund 40 dort geschaffenen Werke sind im Anhang des Buches aufgeführt, unter denen auffällt, daß Romanstoffe häufig historischer Art sind. Das kann man sich gut vorstellen.
Denn sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, entledigt die Schreibenden, sich mit dem Hier und Jetzt auch noch beruflich, also per Texte auseinanderzusetzen. Auffällig auf jeden Fall, daß der neue Alltag in Sanary im Schreiben überhaupt keine Rolle spielt. Der Ort oder die Gegend werden auch nicht in Erzählungen oder Romanen als Hintergrund aufgenommen. Deutschland blieb der Ort des Geschehens. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Die heißt hier DIE WITWE BOSCA, die René Schickele in Sanary spielen läßt, was aber nichts mit der Vertreibung durch die Nazis zu tun hat. Andererseits spielt die französische Mittelmeerküste in Romanen von Nicht-Exilanten durchaus immer wieder eine Rolle, auch ohne Exilgeschichte.
Ich muß mich doch einmal mit Eric Ambler beschäftigen, von dem ich sicherlich auch früher etwas gelesen hatte. Er hielt sich damals im Süden Frankreichs auf und schrieb „Epitaph for a Spy (1938), die Handlung spielt in Sanary und Umgebung, handelt aber ebenfalls nicht vom Exil. Zwar kommt das Nazi-Deutschland vor, nicht aber die Flüchtlinge. Die deutsche Fassung aus den Fünfzigern wurde sehr verändert. Auch Georges Simenon läßt einen Kriminalroman (1970) in Sanary spielen, aber Maigret hat nichts mit Exil und Exilanten zu tun, genauso wenig wie L‘Incident (1961) der französischen Schriftstellerin Anne Rives.
Die Verfasserin führt dann – wirklich interessant – verschiedene französische Schriftsteller an, die ihre Geschichten in Sanary und der Gegen rundum spielen lassen und auch die Vichy-Regierung und die deutsche Besetzung in die Handlung aufnehmen. Bei den handelnden Personen geht es viel eher um bildende Künstler, auch ‚echte‘, als um die schreibende Zunft. Das ist eine eigene Aufgabe, in all den Geschichten die Züge der Exilanten wiederzufinden. Besonders oft erkennt man darin Thomas Mann, auch Lion Feuchtwanger, der übrigens zu denen gehört, die die Nazis ihrer Millionen zählenden Leserschaft beraubten. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen und es gibt gegenwärtig auch niemanden, der diese Stelle einnehmen könnte, denn in den Zwanziger Jahren bis 1933 war Lion Feuchtwanger der Schriftsteller der Massen, der gesellschaftliche Probleme genauso zum Thema machte wie historische Herzoginnen. Auf jeden Fall gibt es heute eine Art Freundschaftsgesellschaft, die die damalige Verbindung von Deutschen und Franzosen an der Mittelmeerküste lebendig hält. Und dann hat überraschend 2013 Hans Christoph Buch in BARON SAMSTAG ODER DAS LEBEN NACH DEM TOD, Frankfurter Verlagsanstalt, Sanary zu einem seiner abenteuerlichen Orten gemacht.
Wir wollten doch von der Literatur berichten, die von den Flüchtlingen in Sanary verfaßt wurde. Dazu gehört Hilde Domin mit Gedichten und Toni Cassirer schreibt über das Leben mit ihrem Mann Ernst Cassirer. Die Schaffenskraft von Feuchtwanger wurde schon angesprochen, 17 Werke sind aufgeführt, Schade, daß in der Bibliographie nicht unterschieden wird zwischen den in Sanary verfassten Schriften und den anderen. Auf jeden Fall hat Feuchtwanger den falschen Nero dort geschrieben.
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Die Autorin auf einer Lesung
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Info:
Magali Nieradka-Steiner, Exil unter Palmen, Deutsche Emigranten in Sanary-sur-Mer, Theiss Verlag 2018
ISBN 978 3 8062 3656 9