Jo Nesbø läßt seinen Kommissar auch in KOMA überleben
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was glauben Sie? Das sei für einen Kriminalroman nicht genug, wenn der Kommissar überlebt? Das kann nur jemand sagen, der die bisherigen neun Krimis um Harry Hole nicht kennt, den Ermittler aus Oslo, der immer wieder bei der Polizei seiner unorthodoxen Methoden wegen herausfliegt, aber immer wieder gebraucht wird, weil er der einzige ist, der die Verbrecher entlarvt.
So auch in KOMA und ein bißchen hatten wir ob unserer Überschrift ein schlechtes Gewissen, denn einen Teil der Spannung bezieht Jo Nesbø eben auch aus den gefährlichen Situationen, in die sich Harry Hole mit Bedacht begibt und jedesmal selbst auf der Todesliste steht. So auch hier, aber anders als im neunten Band, dem Vorgänger DIE LARVE, liegt Harry hier nicht selbst im Koma, so daß wir – kaum ist die letzte Seite, die 615 gelesen – uns schon auf die Fortsetzung freuen, während wir nicht sicher waren, ob es den Band Zehn geben wird. Überhaupt ist diesmal alles etwas anders als sonst, obwohl es auch eine Fortsetzung vom letzten Mal ist, wird doch das damals noch Unklare, wer der Mörder nun wirklich war, diesmal entwirrt.
Wenn wieder einmal Harry in KOMA überlebt, dann nur, weil er ganz am Schluß den richtigen Mörder erwischt, nachdem der ihm das Lebenslicht ausblasen wollte, einer, auf den alles auf einmal logisch und psychologisch zuläuft, nachdem den Krimi hindurch x andere in dringendem Tatverdacht waren. Doch sind wir psychisch am Ende etwas mitgenommen, denn der Mörder ist ein sympathischer Mensch, eigentlich, mehr dürfen wir jetzt aber nicht verraten, sondern endlich die Geschichte erzählen.
Tut man das kurz, gehen die Feinheiten, die Raffinesse des Schreibens von Jo Nesbø verloren. Darum ausführlich der PROLOG, der gut aufzeigt, wie uns der Autor um den Finger wickelt. „Sie lag hinter der Tür und schlief.“ Aha, denkt man sich, eine Frau, aber wer und was wird passieren? Der zweite Satz lautet: „Der Eckschrank roch im Innern nach altem Holz, Pulver und Waffenöl....und ließ die Pistole auf dem mittleren Brett matt aufblitzen. Es war eine russische Odessa, eine Kopie der etwas bekannteren Stetschkin-Pistole. Die Waffe hatte ein bewegtes Leben hinter sich.“
Ist doch frech, aber gekonnt. Auf einmal heißt es Absätze weiter: „Er lag hinter der Tür und schlief. Das bewachte Krankenhauszimmer roch nach Medizin und Farbe. Neben dem Bett stand ein Monitor, der jeden Herzschlag aufzeichnete. Isabelle Skøyen, Sozialsenatorin im Osloer Rathaus, und Mikael Bellman, der frisch ernannte Polizeipräsident, hofften, daß sie ihn niemals wiedersehen müßten. Daß niemand ihn je wiedersah. Daß er für alle Ewigkeit dort drinnen schlief.“ Klar doch, um Harry Hole muß es gehen, denn dieser geschniegelte Bellman haßt ihn und damit haben wir zwei fiese Widersacher im neuen KOMA schon vorgestellt.
Für Seiteneinsteiger empfehlen wir, vor der Geschichte dringend das Personenverzeichnis auf den Seiten 617-619. Da lesen wir auch Harry Holes Charakteristik: „Hauptkommissar im Dezernat für Gewaltverbrechen des Polizeipräsidiums Oslo. Sensibler Alkoholiker mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und der Gabe, sein Leben immer dann dann in den Sand zu setzen, wenn es gerade bergauf zu gehen scheint.“ Genau in einer für Hole endlich einmal entspannten Lebenssituation setzt KOMA ein. Den Polizeidienst hat er verlassen und ist Dozent an der norwegischen Polizeihochschule, freut sich auf die Wochendbesuche seiner Freundin Rakel, deren drogensüchtiger Sohn Oleg erst einmal unter ihrer Obhut lebt, nachdem er Harry einen Kopfschuß verpaßt hatte.
Dazwischen passiert folgendes: Im Wald wird ein toter Polizist gefunden, dessen Gesicht zertrümmert ist. Es ist dieselbe Stelle, wo vor zehn Jahren ein junges Mädchen entdeckt wurde, tot und grausam vergewaltigt, ein unaufgeklärter Mord. Während die Sondereinsatzgruppe noch über den Zusammenhang rätselt, passiert der nächste Mord, der nächste Polizistenmord. Und noch einer. Im Original heißt der Roman „Polizei“ und das ist auch treffend, denn es geht um eine Polizeimordmaschine, die aber so viel Insiderwissen haben muß, daß die Urheberschaft der Morde im Polizeiapparat selbst vermutet werden kann. Und schon ist Harry Hole gefragt, dem niemand unterstellen könnte, zu Kumpanei zu neigen.
Der deutsche Titel KOMA entspringt einem Nebengleis, der sich mit dem Hauptgleis, den Polizistenmorden immer wieder überkreuzt, wobei wir wieder bei der Machart des Krimis sind. Das ist uns auch lieber, denn die Geschichte muß man selber lesen, weil man beim Darüberschreiben auch viel zu viel verraten muß. Warum wir auch diesen Harry Hole wieder ziemlich atemlos und in einem durch lasen, hängt einfach mit der gekonnten, ja, gut, manchmal trickreichen und uns täuschenden Art des Geschichtenerzählens zusammen, das einfach Spannung erzeugt. Das macht er richtig gut, dieser inzwischen 53jährige norwegische Autor, der mit seinen Krimis nicht nur rund 19 Millionen Käufer erreichte, sondern in seiner Heimat auch als Musiker geliebt wird.
Und dennoch wäre das nicht genug. Was auch KOMA zu einem intelligenten Roman macht, ist die Figurenkonstellation genauso wie die genaue Beschreibung seines literarischen Personals. Er macht uns letzten Endes jede seiner Figuren interessant, weil er jedem eine individuelle Note gibt und wir genug damit zu tun haben, wiederzuerkennen, wie unterschiedlich die Menschen sind und wie schnell einer aus einer Gemeinschaft aussortiert wird mit völlig irrationalen Folgen. Es sind nicht Monster, die Nesbø agieren läßt, sondern Menschen, in deren Leben eine Kleinigkeit passiert sein mag, die sich zu etwas Monströsem auswächst. Der Schrecken seiner Romane liegt darum eigentlich im Normalen.
Jo Nesbø, KOMA, Ullstein Verlag 2013