Rene Schickele Portrat aus den 1920er JahrenErinnerung an den Schriftsteller René Schickele

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Meine Herkunft ist mein Schicksal.“

So hat es René Schickele in seinen „autobiografischen Notizen“ festgehalten. Und deutete damit seine Position zwischen allen Stühlen an, die er im Folgenden so skizzierte: „Ich wurde am 4. August 1883 in Oberehnheim im Elsass geboren, als Sohn eines Weingutbesitzers, eines echten Elsässers, also deutschsprachigen Alemannen, der aber eine ebenso echte Französin zur Frau hatte – meine Mutter starb hochbetagt, ohne Deutsch zu verstehen, ich glaube, sie hat es auch nie im Ernst lernen wollen. Auch ich gab mir erst wenig Mühe mit dieser Sprache, sodass meine Lehrer (die nach dem Krieg von 1870 aus Deutschland in meine Heimat eingewandert waren) mich ein wenig wie ein schwarzes Kind behandelten. Aber schon fünf Jahre später schrieb das schwarze Kind die besten deutschen Aufsätze. Ich weiß heute noch nicht, wie das kam. Zu Hause sprach ich nach wie vor Französisch.

Ich besuchte das Gymnasium in Zabern und Straßburg und ließ mich 1901 in Straßburg an der naturwissenschaftlichen Fakultät immatrikulieren. Gleichzeitig gründete ich zusammen mit Otto Flake und Ernst Stadler die kleine Zeitschrift »Der Stürmer«. Sie konnte nur ein paar Monate erscheinen. 1902 erschienen meine ersten Gedichte, »Sommernächte«, die die Ehre erfuhren, von dem damals maßgebenden Literaturblatt, dem »Kunstwart«, als der beste Gedichtband des Jahres bezeichnet zu werden. Daraufhin ging ich auf Wanderschaft. Die Universitäten München, Paris, Berlin sahen mich flüchtig in ihren Räumen auftauchen, später folgten Reisen durch ganz Europa, nach Griechenland, Kleinasien, Nordafrika, Indien. Es gab Jahre, in denen ich keine Zeile schrieb, andre, in denen ich monatelang nicht vom Schreibtisch wegkam.“

Schickele führte ein unstetes Leben und unterschätzte die Risiken des Redakteursberufs. Sein Berliner Verlag, Seemann Nachfolger, der die Zeitschrift „Das neue Magazin“ herausgab, bei der Schickele angestellt war, ging pleite und der Weltmann stand buchstäblich auf der Straße. Er hielt sich mit journalistischen Arbeiten mehr schlecht als recht über Wasser. 1907 kam es dann zu einer Wende. Sein erster Roman »Der Fremde« war erschienen und wurde zum Erfolg. Die »Straßburger Neue Zeitung« schickte ihn, den ganz offensichtlich talentierten Autor, als Korrespondent nach Paris, 1911 avancierte er zu deren Chefredakteur. Sein Gedichtband »Weiß und Rot«, die Erzählung »Meine Freundin Lo« und das zeitkritische Buch »Schreie auf dem Boulevard« entstanden in dieser Schaffensperiode.

Doch alsbald missfiel ihm der Zeitungsbetrieb. Es drängte ihn nach Berlin zurück und er fand in Fürstenberg im Mecklenburgischen ein neues Domizil. Rückblickend empfand er diesen Abschnitt als eine schöne und künstlerisch fruchtbare Zeit. Der Roman »Benkal der Frauentröster«, mehrere Erzählungen und der Gedichtband »Die Leibwache« zeugen davon. Unmittelbar nach Ausbruch des Weltkriegs, da war er schon wieder in Berlin, schloss er das Theaterstück »Hans im Schnakenloch« ab. Es wurde Anfang 1915 veröffentlicht, die Uraufführung fand am 16. Dezember 1916 im Neuen Theater in Frankfurt am Main statt.

Dieser Hans im Schnakenloch verkörpert den typischen Elsässer, der – wie man dort formuliert - mit dem Arsch zwischen zwei Stühlen sitzt (also zwischen Frankreich und Deutschland) und immer wieder Gefahr läuft, auf den Hintern zu fallen, also in Auseinandersetzungen und Kriege hineingezogen zu werden, an denen er nicht teilnehmen wollte und will.
Bereits vor dem Erscheinen des Stücks existierte das gleichnamige Lied, das sogar als inoffizielle elsässische Nationalhymne gilt:

D’r Hans im Schnokeloch hett alles, was er will!
Und was er hett, des will er nit
und was er will, des hett er nit;
D’r Hans im Schnokeloch hett alles, was er will!

D’r Hans im Schnokeloch kann alles, was er will!
Und was er kann des macht er nit,
und was er macht gerot im nit
D’r Hans im Schnokeloch kann alles, was er will!

D’r Hans im Schnokeloch, der het das Leben satt:
Und leben sagt er kann er net
und sterbe sagt er will er net
drum hüpft er aus’m Fenster naus und
kommt ins Irrenhaus.

„Der Hans im Schnakenloch“ war ein überaus erfolgreiches Theaterstück. Trotzdem verließ Schickele im Herbst 1915 das Deutsche Reich und zog in die Schweiz, nach Zürich, wo er die expressionistische Zeitschrift „Weiße Blätter“ herausgab, die er bereits von Berlin aus redaktionell betreut hatte. Sie war ein gefragtes Forum für pazifistische Autoren wie Johannes R. Becher, Leonhard Frank, Walter Hasenclever und Heinrich Mann. Nach dem Ende des Kriegs zog er nach Badenweiler, also auf die östliche Seite des Rheins, und blickte hinüber auf seine Heimat am westlichen Ufer. Wiederum war er an einer Grenze angelangt und wurde Augenzeuge des neu entbrannten Nationalismus auf beiden Seiten. Elsässer deutscher Provenienz wurden vielfach aus Frankreich ausgewiesen, andere mit französischen Wurzeln in ihrer Heimat als Landesverräter diffamiert. In seinem dreibändigen Roman „Das Erbe vom Rhein“ schildert er die Ambivalenzen einer Familie, die deutscher und französischer Herkunft war, die sich vor allem aber als elsässisch empfand.

Als in Deutschland die braunen Horden sich anschickten, die junge Demokratie zu zerstören, emigrierte René Schickele nach Südfrankreich und fand eine Bleibe in Vence, wo er am 31. Januar 1940 starb. Seine Gebeine wurden 1956 auf den Friedhof von Badenweiler-Lipburg überführt, unweit des einstigen Gasthofs „Schwanen“, in den er häufig eingekehrt war.

Der Dichter Klabund (Alfred Georg Hermann „Fredi“ Henschke) widmete René Schickele in Davos einige Reime, die vieles auf den Punkt bringen:

Á René . Für Schickele

Bonjour guten Tag
Coup de feu ein Schlag
Un coeur ein Herz
La douleur der Schmerz.

O Eiffel! La tour!
O Liebe! L’amour!
Nach Berlin! Á Paris!
Aujurd’hui oder nie.

Mon peuple mein Land
La main! Gebt die Hand
Übern Rhein Euch – le Rhin -
Ach endlich! Enfin!

Schickeles Romane, Erzählungen und Gedichte wurden im Jahr 2018 vom Verlag Kiepenheuer & Witsch in einer zweibändigen Auswahl neu herausgebracht.

Foto:
René Schickele, Porträt aus den 1920er Jahren
© Literarische Gesellschaft Karlsruhe