KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Dezember 2013, Teil 2

 

Elisabeth Römer

 

Hamburg (Weltexpresso) – Liebe Leute. Die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste schüttelt die neuen Krimis ganz schön durcheinander und damit auch uns. Mußten wir im November erst einmal hektisch darauf reagieren, daß gleich 7 der 10 Krimis auf einen Schlag neu waren - denn die muß man ja alle schnell lesen, um die Übersicht über die Liste zu behaupten - so überrascht die Jury im Dezember damit, daß gleich 5 der 10 Krimis wieder von der Liste verschwunden sind, dafür dann erneut 5 neue draufgekommen sind, wobei aber 3 der im November ganz neuen schon wieder weg sind. DieKrimiZEIT-Bestenliste als ein Durchlauferhitzer für Krimis?

 

 

Wir auf jeden Fall haben uns entschlossen, den drei im November neuen Titeln, die im Dezember wieder verschwunden sind, einen eigenen Artikel zu widmen. Es handelt sich um Michael Robotham SAG, ES TUT DIR LEID aus dem Goldmann Verlag vom damaligen 7. Platz, um OHNE JEDEN ZWEIFEL von Tom Rob Smith aus dem Verlag Manhattan vom 8. Platz und um Christopher Brookmyres DIE HOHE KUNST DES BANKRAUBS, erschienen bei Galiani und auf Platz 9. Mehr also bald, denn jetzt geht es erst einmal zu den nächsten neun Kriminalromanen von der Dezemberliste.

 

Übrigens bestehen die fünf neuen Titel gegenüber dem November aus einem englischen, einem norwegischen und drei amerikanischen Romanen. Platz 2 nimmt Lee Child mit 61 STUNDEN ein, erschienen bei Blanvalet, den wir immer noch nicht beurteilen können, weil er uns bisher nicht vorliegt. Er kam im November erstmals auf die Liste und gleich auf Platz 5, rückte also jetzt hoch. Den dritten Rang nimmt EMPFINDLICHE WAHRHEIT von John le Carré aus dem Ullstein Verlag ein. Claudia Schulmerich hatte hier im WELTEXPRESSO dazu zwei Artikel verfaßt, weshalb wir, die wir den Roman auch für großartig halten, uns kurzfassen. Man kann das Schaffen des ehemaligen Geheimdienstlers John le Carré - ja, natürlich ein Pseudonym, aber ein bekanntes und veröffentlichtes – über 50 Jahre würdigen.

 

Denn schon 1963, mitten im kältesten Kalten Krieg, kam mit DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM, eine Spionageliteratur an die Leser, die nicht mehr das Spionagewesen so unterteilte: das eigene verherrlichte, das der anderen verdammte, sondern stattdessen sehr selbstkritisch die eigenen staatlichen Verhaltensweise mitreflektierte. Es ging also immer um die Rechtfertigungen, die auch der englische, die auch der westliche Geheimdienst moralisch leisten muß. Daß man dies nicht mehr rechtfertigen kann, was die großen Jungs von der Britischen Verbrüderung von Politik, Verwaltung und Auslagerung staatlicher Aufgaben an Private einschließlich der Plünderung der Staatskassen da anstellen, ist Thema dieses Romans, der ganz merkwürdig mit einem irgendwie stümperhaftes Geheimdiensthandeln auf Gibraltar, anfängt und dann eine Dynamik entwickelt, die uns am Schluß nur noch Sodom und Gomorrha stöhnen läßt.

 

Aber und das ist ganz wichtig, nie kommt man sich beim Lesen, das uns mitten in die typische englische Provinz, zu den feinen Leute so wie zu den primitiven führt, so vor, als ob man biblische Texte oder Märchen lese. Das, was John le Carré wie selbstverständlich als Verhalten beschreibt, ist das Ende eines zivilisierten Lebens mit den Verabredungen in einer Demokratie, wo staatliches Handeln anfängt und aufhört, und wo das private Leben beginnt. Insbesondere in den staatlichen Aufgaben sind Private in England, die häufig die Wurzeln in den USA haben, sehr gut dabei, abzusahnen, was nicht ohne Mord und Totschlag abgeht, zu dem dann die staatlichen Stellen schweigen müssen, auf jeden Fall wollen, denn sie haben das alles selber ins Gang gesetzt. Das Buch liest sich ab irgendwann wie von alleine, denn es entfaltet eine Sogwirkung, die uns mitreißt und die uns gleichzeitig immer auf dem Boden der Realität läßt. Eindrucksvoll, so daß es doch mehr Worte wurden, als geplant.

 

Auf Platz 4 ist Garry Disher mit DIRTY OLD TOWN von Pulp Master vom letztmaligen 6. Rang gerutscht. Wir hatten diesen so unterhaltsamen wie lehrreichen Roman schon die letzten Male gewürdigt. Neu und direkt auf Platz 5 steht von Martin Cruz Smith TATJANA aus dem Verlag C.Bertelsmann. Man denkt, so wie man bei Anis M an die NSU-Morde denkt, hier gleich auf den ersten Seiten an das Schicksal der Moskauer Journalistin Anna Politkowskajas, die eines Morgens erschossen vor ihrem Haus gefunden wurde und deren wirkliche Mörder bis heute nicht gebüßt haben. Auch Tatjana ist Journalistin und angeblich ist sie vom Dach ihres Hauses gesprungen, aber ihre Leiche ist verschwunden, seit Arkadi Renko, Ermittler der Staatsanwaltschaft - und pessimistischer Held Martin Cruz Smith’ seit Gorki Park (1981) - sie zu finden versucht, wobei er natürlich selbst ins Visier der Mörder gerät.

 

Arkadi Renko bringt einerseits die alten Kontakte mit, aber will sein Land sauber halten von denjenigen, die mit Geld Macht kaufen. Korrumpierte Macht wird handlungsunfähig, wenn es genau um diejenigen geht, die korrumpiert haben.Die furchtlose Tatjana auf jeden Fall spielt eine Rolle im Kampf diverser Gangstersyndikate um die Macht, ausgetragen wird er im alten Königsberg, heute Kaliningrad. Es gehört also zusammen, was getrennt erschien: der angeblich freiwillige Fall der Tatjana und der Mord an einem schwerreichen Mafioso. Das alles wird in reduzierter, fast kühler Sprache geschrieben. Martin Cruz Smith erschafft dann aber auch mit dem Schachgenie Schenja wieder so eigene Typen, daß man sich Rußland als kalte Schönheit vorstellt, in der das Überleben unsicher ist, wenn man sich nicht bereichert, sondern nachfragt, wer hier was in Gang setzt und wo das Volksvermögen und erst recht die Demokratie bleiben. Daß dann noch nicht einmal alles so ist, wie es lange schien, ist einer der Überraschungen, die das Buch auch nach dem zustimmenden Lesen noch spannend machen. Fortsetzung folgt.

 

 

Die beiden Besprechungen vom neuen Roman von John Le Carré in Weltexpresso:

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2267-wer-die-wahrheit-sagt-wird-frueher-oder-spaeter-dabei-ertappt

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2268-eine-amerikanische

-sicherheitsfirma-macht-vor-was-die-usa-dann-nachmachen

 

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste Dezember 2013

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Tabor Süden und seine Kollegen aus der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

2

2

(5)

Lee Child: 61 Stunden

Aus dem Englischen von Wulf Bergner

Blanvalet, 448 S., 19,99 €

Gefängnisstadt Bolton, South Dakota. Schneesturm, tödliche Kälte. Jack Reacher beschützt eine Kronzeugin. Die lokale Polizei ist durch Ausbrecher abgelenkt. Ziel aller Umtriebe: ein geheimes Lager der Air Force. Bizarr, doppelbödig, hoher Suchtfaktor.

3

3

(-)

John le Carré: Empfindliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein, 400 S., 24,99 €

Gibraltar/London/Cornwall. Unverwechselbar der Sound, kristallklar der Blick: Mit 82 schreibt John le Carré tough wie je. Public-private-Partnership in puncto Sicherheit: Die Unschuldigen enden als Kollateralschäden, die Aufrechten ohne Chance. Der Terror gedeiht.

4

4

(6)

Garry Disher: Dirty Old Town

Aus dem Englischen von Ango Laina u. Angelika Müller

Pulp Master, 332 S., 13,80 €

Melbourne. Erneut hat sich Profi-Verbrecher Wyatt mit Angebern und Gierschlünden eingelassen. Ein simpler Überfall auf einen Juwelier wird zum Kampf um Beute, Rache und eine starke Frau. Der hartgesottene Wyatt verblüfft durch Empfindsamkeit.

5

5

(-)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

6

6

(2)

Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde

Aus dem Portugiesischen von Wanda Jakob

A1 Verlag, 222 S., 18,80 €

Brasilien. Eine Tasche voll Koks, eine Beinprothese, ein bigotter Profikiller, ein Pornodarsteller, eine Starregisseurin, ein Pudel, eine Boxerin im Danse grotesque des brasilianischem Großtstadtalltags. Zum Schreien präzis choreographiert. Furioso!

7

7

(-)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky Nonhoff

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

8

8

(-)

Jo  Nesbø, Koma

Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob

Ullstein, 624 S., 22,99 €

Oslo. Im zehnten Band des Harry-Hole-Epos erwacht ein Mann aus dem Koma. Und stirbt doch. Derweil mahnt ein fanatischer Mörder Polizei-Versagen an. Er kopiert ungelöste Mordfälle und killt die Ermittler, die sie verbockt haben. Überbös.

9

9

(1)

Jerome Charyn: Unter dem Auge Gottes

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Penser Pulp bei Diaphanes, 286 S., 16,95 €

New York/Texas 1988. Isaac Sidel ist designierter Vizepräsident der USA. Die Bronx wird an die Army verscherbelt. Um sie zu retten, fightet Sidel mit dem letzten jüdischen Gangster. Band 11 des größten Crime-Mythos der Gegenwart. Charyn lesen ist Rausch.

10

10

(-)

 

Robert Crais: Strasse des Todes

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger

Heyne, 412 S., 9,99 €

Los Angeles/Anza-Borrego-Wüste. Zufällig werden Jack und Krista mit einem Trupp von illegalen Einwanderern entführt. Elvis Cole und Joe Pike greifen zu radikalen Rettungsmaßnahmen. Don Winslow ebenbürtig.

 

INFO:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht. Diesmal der Buchmesse im Oktober wegen schon am letzten Donnerstag im September.

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 5. Dezember 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. Dezember 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten und auf die von 2013 warten. 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag