Neue Ausgabe Nr. 103 LETTRE INTERNATIONAL ab 5. Dezember

 

Hubertus von Bramnitz

 

Hamburg (Weltexpresso) - Mit leicht schlechtem Gewissen lesen wir jedes Mal die Ankündigungen des neuen LETTRE INTERNATIONAL, eine Zeitschrift, die es einfach geben muß, weil auf hohem intellektuellen, politischem und kulturellem Niveau wichtige Dinge zu lesen sind, Artikel, die immer auch den wichtigen Hintergrund eines vereinten Europa berücksichtigen.

 

 

 

Ein schlechtes Gewissen nur deswegen, weil wir nach jahrelangem Abonnement irgendwann gekündigt hatten, und das nur deshalb, weil wir einfach mit dem Lesen nicht nachkamen. Aber eigentlich, das geht aus unseren Worten hervor, sollte man sich die Zeit nehmen. Gerne transportieren wir deshalb den diesmaligen Inhalt, der überpünktlich als winterliches Weihnachtsheft – gezogen von Rentierschlitten durch Wälder und Wolken, mit dem Nikolaus als Logistiker, meint die Redaktion – schon am 5. Dezember im Buchhandel, an Kiosken,Bahnhöfen, Flughäfen zu erwerben ist. Natürlich auch ab Verlag, was nicht nur für die Abonnements gilt.

 

Wie immer gibt es erhellende Recherchen, hautnahe Reportagen, kenntnisreiche Analysen, berührende Erinnerungen und diesmal auch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Die Redaktion schreibt uns: „Wir begeben uns auf Deutsche Spuren, analysieren Bedrohungen der Demokratie und präsentieren eine Ethik des Glücks. Vogelgeister verwöhnen uns mit Himmelslauten, wir inspizieren den Brennpunkt Nahost, durchqueren die Wüste Gobi, Japan, Portugal und Italien, wir verbeugen uns vor Alter und Weisheit, begegnen einem Architekturgenie und haben plötzlich Stalin am Apparat.“

 

Weiter geht es: Geister und Untote jagen uns Schauer über den Rücken mit Gespensterliteratur und Gruselgeschichten. Leben wir in einem Zufallsuniversum, gar in einem Multiversum? Welche Gefahren lauern in der Optogenetik, mit ihrer Möglichkeit, das Gehirn durch Licht fernzusteuern? Was machen die Latin American Clowns am Straßenrand in Guatemala? Und was besagen die Collagen der Körperfragmente von Monica Bonvicini?

 

Ein Heft voll an- und aufregender Lektüre und ein Augenschmaus - nicht nur für lange Winterabende. Dieses Heft beschließt das Jahr des 25. Jubiläums. LETTRE bedankt sich bei allen Lesern, Autoren, Künstlern, Übersetzern, Partnern und Freunden für ihre Unterstützung. Wir machen weiter - solange der Vorrat reicht.

 

 

 

LETTRE 103 - EIN ÜBERBLICK

 

HIMMELSLAUTE

In luftige Sphären entführt uns der Dichter Eliot Weinberger in Vogelgeister. Er belauscht eine Konferenz der Vögel und entschlüsselt die Botschaft der Himmelsbewohner, tragende Figuren in den Mythen und Geschichten, Weisheiten und Geheimnissen der Maori. "Vögel in den Sturmwolken, Vögel in den Sternen, im Kreuz des Südens ... hoch oben segelnd in einem Raum, den niemand je gesehen ..."

 

VERBEUGUNG VOR DEM ALTER, VERGÄNGLICHKEIT

Bei seiner Durchquerung der Wüste Gobi wird der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk mit Bestattungspraktiken schamanistischer Nomaden konfrontiert. Er fragt: "Wohin gehen wir nach dem Tod?" Im Staub verstreute Knochen sind Indizien einer ungewöhnlichen Abschiednahme von den Gestorbenen: Nomaden überlassen wilden Hunden der Steppe die sterblichen Überreste ihrer Nächsten, so wie Mönche in Nepal Körper und Fleisch ihrer Toten den Geiern zum Verzehr darbieten. "Ausgetrocknet, mineralisch, weiß wie Steine lagen die Schädel da. Gereinigt vom Leben." Wie anders die katholischen Abschiedsrituale im heutigen Polen, wo "Friedhöfe stillen Städten" gleichen.

 

"Selbst das Leben kann einen nicht auf das Leben vorbereiten." Seit Großvater Papaji die Siebzig überschritten hat, kündigt er regelmäßig sein Ableben an. Als mit fast neunzig Jahren sein Leben zu Ende geht, begleitet ihn dabei seine Enkelin Priya Basil. In ihrer Verbeugung vor dem Alter stellt sie Fragen zum Nutzen eines Menschen in einer profitorientierten Welt, zum Generationenzusammenhang, zu Endlichkeit, Schönheit, Alter und Tod. "Das Leben kann nicht überarbeitet werden", so die Autorin. Ein Versuch, vom Tod etwas über das Leben zu lernen

 

"Morgens unsterblich, abends die Angst, nicht mehr aufzuwachen." Die Journalistin Susana Moreira Marques ist im armen, verlassenen Norden Portugals unterwegs. Sie spricht mit Menschen am Ende ihres Lebens, denen ein offenes Fenster, ein Kreise ziehender Adler, ein Geräusch draußen die letzte Anbindung ans Leben bedeuten. Sie klopft an Türen, betritt das geschrumpfte Universum der Sterbenden und schreibt ein Handbuch des Überlebens. Ein Projekt ambulanter Palliativversorgung widmet sich diesen Menschen, und die Autorin versucht, die "Verschwörung des Schweigens" und die Vereinsamung zu durchbrechen. Über den Tod

 

DIE GEFÄHRDETE DEMOKRATIE

Péter Nádas zeichnet in einer vielschichtigen Analyse den heutigen Leidensweg der Demokratie in zwölf Stationen nach, entlang der Ideen der Aufklärung und ihrer Verkümmerung. Statt einer Entfaltung allgemeiner Bildung erlebt man, wie der Verzicht auf Aufklärung und eine Massenkultur den Unterschied zwischen Kunst und Kommerz einebnet. Wild wuchernde Geldwirtschaft und Gier bedrohen die Interessen des Gemeinwohls; eine Geldaristokratie scheint das Kommando über die großen Massengesellschaften übernommen zu haben. Kann der Kapitalismus noch als Bedingung der Demokratie verstanden werden, oder wandelt er sich zu einem Mittel ihrer Unterminierung? Nicht nur in Ungarn mehren sich Zeichen für ein Abrutschen in Autoritarismus, Zensur, theokratische Einflüsse, Entmündigung der Staatsbürger. Erleben wir eine Demontage der Demokratie? Ziviler Ungehorsam und Widerstand versprechen kaum Erfolg. "Dämmerte im Bewußtsein doch wenigstens das Strukturbild des Zusammenhangs zwischen Individuellem und Kollektivem, Einzelnem und Gemeinsamem auf."

 

DER LEVIATHAN UND DER GARTEN, DER UTOPIE WIRKSAMKEIT ZURÜCKGEBEN!

Ohnmachtsgefühle empfinden Bürger angesichts schwindelerregender Staatsverschuldung, entfesselter Finanzspekulation und globaler Verwerfungen. Die Gesellschaft wird auf wirtschaftliche Fragen reduziert, der Mensch auf das Modell des homo oeconomicus reduziert. Welche Freiheiten bleiben dem Individuum angesichts der Staats- und Gesellschaftsmaschinerie? In seinem leidenschaftlichen Essay Leviathanund Gartenplädiert der französische Philosoph Robert Misrahifür eine Alternative. Wie können die Bürger kreative Potentiale entfalten, individuelles Glück erstreben und zugleich auf die Gesellschaft einwirken? Welcher Bildung, Kultur, Universitäten, Medien bedarf es für eine schöpferische Gesellschaft, die eine Kultur des Glücks befördern sollte. "Es ist an der Zeit, der Utopie ihre Wirksamkeit zurückzugeben." Ein Plädoyer für einen anderen ethisch-politischen Horizont.

 

INTERVENTION IM NAHEN OSTEN?

Das Syrische Dilemma analysiert Mark Danner. Welche Perspektiven zeichnen sich für Syrien ab? Könnte sich die Möglichkeit eines "geordneten Übergangs" eröffnen? "Damit Schritte zu einer Vereinbarung gegangen werden könnten, wäre von den Amerikanern und den Russen, aber auch von den Iranern, den Saudis und den anderen Playern der Region, die den Krieg anheizen, echte Bereitschaft zur Diplomatie gefordert, und das heißt der Verzicht auf den Traum vom Sieg auf dem Schlachtfeld. Eine solche Vereinbarung scheint schwer vorstellbar. Die harten Realitäten Syriens und die Erblast einer eifernden, verfehlten amerikanischen Politik in Irak sind schuld daran, daß folgende Alternative wahrscheinlicher ist: fortdauernder, immer grausamerer Krieg und am Ende eine Rechnung, die der kalten Logik von Massengräbern folgt."

 

Stephen Eric Bronner fragt mit Thomas Hobbes nach dem Souveränin der politischen Kultur und den aktuellen Konflikten des Nahen Ostens. "Im Nahen Osten wird die Souveränität auf Dauer durch eine Vielzahl transnationaler und regionaler Faktoren geschwächt, zu denen religiöse, tribale und sogar familiale Loyalitäten gehören. In Syrien nehmen Tausende ausländischer Kämpfer aus Iran, Irak und Libanon aktiv am Bürgerkrieg und an der Zerstückelung des Landes teil. Der syrische Konflikt hat bereits Libanon destabilisiert und die islamische Welt gespalten. (...) Rechtfertigungen für Einflußnahmen auf die Souveränität anderer Staaten basieren vorgeblich auf der Absicht, Chaos zu verhindern, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen oder dem nationalen Interesse zu dienen. Sie sind jedoch verlogen. Die amerikanischen Interventionen in Afghanistan und Irak haben weit mehr als hunderttausend getötete Zivilisten, fast 1,5 Millionen Verwundete, etwa doppelt so viele Flüchtlinge, ruinierte Volkswirtschaften, kaum vorstellbare Umweltzerstörung und permanente innere Unruhen hervorgebracht. Daß all das irgendwie die Menschenrechte fördere, sagt sich leicht, wenn andere den Preis dafür bezahlen. (...) Einige Hindernisse, die der Souveränität im Wege stehen, gehen auf Entscheidungen ausländischer Mächte zurück, andere sind hausgemacht. Lange nach dem Ende des Kolonialismus wird der arabischen Welt noch immer die Chance verweigert, sich selbst zu entwickeln, eigene Fehler zu machen und eigene Institutionen zu schaffen, die der Moderne gewachsen sind." Welchen Sinn macht es, alte politische Ordnungen zu zerstören, wenn man nicht in der Lage ist, neue zu etablieren?

 

JAPANS ZUKUNFT

Japan porträtiert der indische Schriftsteller Pankaj Mishra. Er beschreibt ein Land zwischen Tradition und Moderne, Nationalismus und Weltoffenheit, innerer Zerrissenheit und neuer Reife. "Tokio macht heutzutage den Eindruck, die älteste Metropole Asiens zu sein .... Für viele der dynamischen Länder Asiens präsentiert Japan heute das Schauspiel einer gealterten Moderne: Braune Ebenen, besiedelt von einem Wirrwarr kleiner Behausungen, kreuz und quer durchzogen von gigantischen Strommasten ... dieses Japan galt kürzlich noch als Verkörperung von Zukunft, bevor in den frühen Neunzigern seine Blase platzte und das Land, verstrickt in seine Widrigkeiten, selbstbezüglich wurde und von der Bildfläche unseres Bewußtseins verschwand."

 

DEUTSCHE SPUREN

Oradour, dieser Name steht für ein Kriegsverbrechen, das nicht aufhört nachzuwirken: "In meiner Erinnerung", so Benjamin Korn, "waren die Ereignisse von Oradour bis vor kurzem im mythischen Nebel des Zweiten Weltkriegs versunken; der Ortsname klang schaurig wie die Namen Coventry, Lidice, Guernica, bis ich am 29. Januar 2013, über 68 Jahre nach dem Verbrechen, im Fernsehen zu meiner Verblüffung deutsche Fahnder sah, die, von französischen Gendarmen begleitet, die seit Kriegsende unberührte Ruinenstadt betraten und einen Ortstermin organisierten, um sich an Ort und Stelle den Ablauf des Massakers erklären zu lassen. (...) Die Einwohner des neuen Oradour, das unmittelbar neben dem alten erbaut worden war, trauten ihren Augen nicht. Seit Kriegsende hatte die westdeutsche Justiz die Aufklärung des Blutbads systematisch verhindert, die Mörder geschützt, die französischen Auslieferungsanträge abgewiesen und die Verantwortlichen bis zu ihrem Tod frei herumlaufen lassen."

Alle Verleugnungen, Vertuschungen und Verdrängungen der Ereignisse haben nicht geholfen: "Oradour vergeht nicht. Wenn die Menschen sterben, erinnern sich ihre Kinder, und wenn die Kinder sterben, erinnern sich die Kindeskinder, und wenn diese vergessen, erinnern sich die Steine. Sie zerfallen langsamer als wir. Bis auch sie zerfallen." Die Rekonstruktion eines Verbrechens: Ortstermin Oradour.

 

An ein besonders düsteres Kapitel der Besatzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht erinnert Thánassis Valtinós. Etwa 95 Prozent der jüdischen Gemeinde Thessalonikis wurden in Auschwitz ermordet, nachdem die deutschen Besatzungsbehörden die nazistische Judenpolitik auch in Griechenland durchführten und die Bewohner deportierten. Der griechische Schriftsteller erzählt in DringenderBedarf nach Öl von der nächtlichen Flucht einer Familie sephardischer Juden aus der Stadt. Lichtfischer brachten sie in der Nacht auf kleinen Kuttern quer übers Meer. Zuflucht fanden sie auf der Insel Skopelos. Die Geschichte ihrer riskanten Rettung und ihres Überlebens durch die Solidarität der Inselbevölkerung

 

Eine nicht minder riskante Rettungsaktion von Juden durch dänische Fischer 1943 ruft Suzanne Brøgger in Erinnerung. Auch ein Mitglied ihrer Familie konnte auf diese Weise überleben. Die Aktion gilt heute als "Sternstunde der Nation", doch die Autorin warnt vor nationaler Selbstverherrlichung. Wäre es vorstellbar, daß sich Dänen heute gleichermaßen einsetzen würden, um Mitbürger ihrer muslimischen Minderheit vor Pogromen zu schützen? Und was muß das Land tun, damit seine muslimischen Einwanderer sich als Reaktion auf die ihnen entgegenschlagende Feindseligkeit nicht islamistischer Gehirnwäsche unterziehen? Brøgger macht sich ein Motto Elie Wiesels zu eigen: "Sprich über die Vergangenheit nur dann, wenn du bereit bist, in Zukunft zu handeln." Über Minderheiten, Menschenrechte und Moral

 

Von einer Schulfreundschaft im Nachkriegsdeutschland erzählt Thomas Hodina: "Sein Auftreten irritierte mich zunächst, er vermied jedes Gespräch mit mir und gab sich unnahbar, auch anderen gegenüber. Stets umwehten ihn eisige Wirbel. Er panzerte sich in Kälte. Zielgerichtet durchschnitt er die Luft, eine wandelnde Klinge. In ihm zitterte eine empfindliche Waage: ein feiner, fast übertrieben ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit (...) dieser Gerechtigkeitssinn trieb ihn an, entrüstete ihn, ließ ihn glühen und rational vereisen (...) Uns verband eine gemeinsame Verachtung für all das, was an nationalsozialistischem Treibgut unter unseren Lehrern noch herumschwappte. (...) Später wurde ich Zeuge dieses Schreis eines Knochenmanns, der sich bis ins Gefängnis als Hungerstreik verlängerte, an dem er, wie es hieß, verstarb. Er starb noch an anderem." Über Erfahrungen einer Schülergeneration in den fünfziger Jahren, als manch deutscher Lehrer noch das Hohelied von Pflicht, Gehorsam und Heldentod anstimmte; und über Erfahrungen und seelische Dispositionen eines später als Terrorist gesuchten Mitschülers: Holger.

 

LITERARISCHE STREIFZÜGE

Jeanette Winterson erzählt von der Liebe und von einer leidenschaftlichen erotischen Beziehung in Paris: Am 23. Mai 1907 begegnete Gertrude Stein ihrer späteren Geliebten Alice B. Toklas. "Gertrude: fett, sexy, genial, einflußreich. Alice: ein niedliches Einhorn, nervös, clever, wachsam, entschlossen." 1946 mußten sie Abschied nehmen. Gertrude Stein hatte Magenkrebs. "Die Liebe ist nicht sentimental. Die Liebe ist nicht das Zweitbeste. Frauen werden für die Liebe die Waffen aufnehmen müssen." Über Affären, Romantik, Sexobjekte, Feminismus: Alles, was ich weiß von der Liebe ...

 

Thomas Knauf reist durch Italien, auf den Spuren von Dichtern und Filmemachern. Sein Cicerone ist der Poet Guido Ceronetti. Am Lido von Ostia fand 1975 in einer sternenlosen Nacht Pier Paolo Pasolini ein brutales Ende; seine Leiche wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt: Die Hintergründe blieben bis heute im Dunkeln. Wir reisen weiter, ins Reich eines gebauten Futurismus; wir begegnen Gefühlsdiagnosen Michelangelo Antonionis und den Architekturträumen Mussolinis, flanieren auf Fellinis Via Veneto, besichtigen die vom Erdbeben zerstörte Provinzhauptstadt L'Aquila und besuchen den Campo Imperatore, auf dem Mussolini versteckt wurde, bis ihn ein SS-Kommando befreite. Trotz Ceronettis poetischer Anleitung hat unser Reisender der Gewalt des Konsumterrors und Massentourismus nur Wut und Trauer entgegenzusetzen. Und dennoch findet er sie, die Spuren von Bella Italia.

 

Marko Martin reist zum Bartleby von Lissabon. Der tschechische Dichter Frantisek Listopad, Jahrgang 1921, wurde nach dem Prager Putsch 1948 zum lebenslangen Emigranten. Er begegnete Artur London, Albert Camus, Louis Aragon, Louis-Ferdinand Céline, Jean-Paul Sartre, Alexander Dubcek und Mário Soares; er erlebte den Spanischen Bürgerkrieg, die Salazar-Ära und die Nelkenrevolution. Er überlebte beide großen Diktaturen als Utopist und als Kritiker der "engagierten Literatur", als subjektiver Antikommunist und Freund der Ausgebürgerten und Versteckten im Untergrund. Dieser Solitär liebt es, im Mittelpunkt der Stille zu verweilen. Ein steinalter Mann als glücklicher Mensch spricht über die Erfahrungen seines Lebens.

 

Welche Gewürze braucht eine delikate Gruselgeschichte? Was läßt die Zähne klappern, wie ruft man Gänsehaut hervor? Gruseln sich Chinesen anders als die Europäer? Der argentinische Schriftsteller Eduardo Berti spürt in GespenstergeschichtenLemuren, Phantomen, Geistern nach, forscht nach Untoten, Wiedergängern, umherschweifenden Seelen und begegnet unsterblichen Gespenstern als Hyperbel unserer Angst vor dem Unbekannten. Es gruselt von der Antike bis heute und rund um die Welt. Ein kleiner Globus des erzählten Grauens

 

WISSEN UND MACHT

"Wenn auf der Welt die gesamte Architektur des 20. Jahrhunderts zerstört würde, könnte sie durch den genetischen Code von Leonidows Architektur wieder zum Leben erweckt werden", so der niederländische Architekt Rem Koolhaas über seinen Kollegen Iwan Leonidow. Lutz Marz skizziert die atemberaubende Karriere des sowjetischen Baukünstlers und das poetische Zusammenspiel seiner fünf Prinzipien: "Minimalismus, Natureinbettung, Stadteinbettung, Dynamik, Sozialfunktion". Leonidow gehörte zu einer ästhetischen Avantgarde, die ihre Poesie der Zukunft abgewinnen wollte und der eine Raum- und Zeitstruktur vorschwebte, die historische Offenheit verkörpert. Über eine architektonische Poesie der reinen Form zwischen Realismus und Utopie

 

Stalin am Apparat: Macht und Mythologie des Telefonsystems in der Sowjetunion erforscht Lars Kleberg. Welche Rolle spielte das Telefon in jener Epoche? Wem stand es zu, wer besaß es, wie wurde es benutzt? Grundsätzlich ein allen zugängliches, horizontales Kommunikationsinstrument, wurde es jedoch von "vertikalen" Kräften kontrolliert. Es brachte den Modernisierungsgrad zum Ausdruck und repräsentierte Status und Macht. Telefonanrufe, das konnten Geschenke sein, Gesten der Gnade, Akte der Willkür oder der Bedrohung. Majakowski, Bulgakow oder Pilnjak, Solschenizyn, Grossman oder Tarkowski - auch im Leben ihrer literarischen Protagonisten spielte das Telefon eine schicksalhafte Rolle. Ein Dichter: "Stalin, das war Dschingis Khan mit Telefon."

 

Alan Lightman, Wissenschaftler am MIT, beschreibt in Zufallsuniversum eine Glaubenskrise der Naturwissenschaft. Dramatische Entdeckungen der kosmologischen Beobachtungen und Theorien haben einige führende Physiker zu der Annahme veranlaßt, daß unser Universum nur eines aus einer Unzahl von Universen mit extrem unterschiedlichen Eigenschaften sei, und daß die grundlegendsten Merkmale unseres besonderen Universums bloße Zufälle seien. Über das "anthropische Prinzip", "dunkle Materie" und die "ewige Inflation des Raums", über subatomare Teilchen, String-Landschaften und über den Wurf des kosmischen Würfels.

 

Für Alexander Schießling ist die Optogenetik Inkarnation einer Wissenschaft, die zur Kolonisierung des Körpers beiträgt. Lustige Algen, Labormäuse, Fliegenembryos und Zebrafische, sie alle werden in Experimenten durch Licht ferngesteuert und manipuliert. Die Optogenetik ermöglicht es erstmals, die neuronale Aktivität eines lebenden Gehirns in Echtzeit zu beobachten. Gehirnbereiche werden durch Licht selektiv an- und ausgeschaltet, das Gehirn wird zum Schaltkreis und Computer. Medizinische Fortschritte sind möglich, doch welche Risiken liegen in der Transformation eines Gehirns zu einem ferngesteuerten hybriden System? Sollte Optogenetik unterbunden werden?

 

BRIEFE UND KOMMENTARE

Den besten Rat bekommt Ann Jones zuletzt: "Folgen Sie dem Geld!", schlägt ihr ein wütender Heeresoffizier vor. Die Kinder in Uniform, welche die Drecksarbeit des Militärs im Krieg leisten und vielfach traumatisiert oder als Invaliden in ihr Heimatland zurückkehren, gehören zum untersten einen Prozent der Nation; sie befolgen nur Befehle. Ein anderes "ein Prozent" verdient am Krieg, am großen Transfer von Vermögen aus der Staatskasse in die Taschen der Kriegsprofiteure. Bis Ende Mai 2013 wurden bei 247.000 Veteranen aus Afghanistan und Irak posttraumatische Belastungsstörungen diagnostiziert. 745.000 Veteranen haben Invalidenansprüche eingereicht. Ann Jones über das Schicksal von Soldaten

 

Tom Engelhardt beschreibt eine unvergleichliche Machtentfaltung der Vereinigten Staaten. Washingtons Militärs haben den Planeten in sechs Regionalkommandos aufgeteilt. Ihr nukleares Arsenal in Silos, Bombern und Unterseebooten könnte gleich mehrere Planeten zerstören. Washington gibt mehr für sein Militär aus als die dreizehn nächstmächtigen Staaten zusammen. Und doch taugt dieses Militär nicht dazu, Politik durchzusetzen. Es vermag zu destabilisieren, versagt jedoch stets bei der Konstruktion einer neuen Ordnung. Doch der Krieg als Option bleibt eine große Versuchung, wenn die Welt nach der eigenen Pfeife tanzen soll. Zu erwarten sind Kleinstkriege und Mikrokonflikte.

 

Robert Behrendt war in Rumänien. Dort spricht man von der Tötung aller wilden Hunde in der Hauptstadt. "Wenn euer Gekläffe nachts durch die leeren Straßen hallt, ahne ich, daß Europas Rand nicht mehr fern sein kann. (...) Als streunende Hunde werdet ihr, wie vor euch andere Existenzen der Straßen, zu Kriminellen, deviant, delinquent, disqualifiziert. Ihr haust nicht umsonst auf der Nachtseite unseres Bewußtseins ... Und mit eurer Tötung einhergehen wird eine Entwilderung der Stadt. (...) Ihr Straßenhunde aus Bukarest seid zu einer wilden Projektion geworden." Hunde von Bukarest

 

Karim Saab besucht Antwerpen und erinnert sich angesichts eines Bildes an die deutsche Invasion in Belgien 1914. Schlamm und Materialschlachten in nie gekanntem Ausmaß, größte Opfer und Verluste, Blausäure, Senfgas und Dicke Berta, Pferde mit Gasmasken, 25 Millionen Kriegsgeschädigte - eine Apokalypse, die Ausdruck findet in der Malerei, in den apokalyptischen Landschaften von Ludwig Meitner, in Alptraumlandschaften von Otto Dix, in Weltbrandgemälden von Willi Stöwer. Franz Marc, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, starb mit 36 Jahren vor Verdun, August Macke als Kriegsfreiwilliger schon am 26. September 1914 an der Westfront. Gedanken zum Urgemetzel des 20. Jahrhunderts

 

KORRESPONDENZEN

Wolf Reiser berichtet aus München. "Es wird bitter enden", hieß es schon im Film Zur Sache, Schätzchen. Auch ein föhnblauer Bayernhimmel ändert daran nichts, wenn eine "Generation Wellness", ausgestattet mit Gucci-Brillen und Yoga-Ratgebern, das Carpe-diem-Glas leerrschlürft, fliederfarbene Design-Fahrräder umherschiebt, von bevorstehenden Housewarming-Partys auf Bajuwarisch erzählt, und das Penner-Laminat ihrer Vorbewohner durch sündhaft teures Erstweltholz ersetzt, welches zuvor in Bangladesch auf Vintage-look umgeschliffen wird: Schwabinger Parkett.

 

Urvashi Butaliaaus Neu-Delhi fragt: "Wer übernimmt die Führung unseres Landes?"und schildert die Schwierigkeit Indiens, zwischen seinen Premierministerkandidaten zu wählen: einem Politiker, der 2002 Ministerpräsident des westindischen Bundesstaats Gujarat war, als dort mehr als tausend Muslime von fanatischen hinduistischen Schlägertrupps ermordet wurden; und einem anderen Kandidaten, Sproß jener Familie, die Indien seit der Unabhängigkeit mit geringen Unterbrechungen regiert hat. Über Karriere und Verbrechen

 

Der Philosoph Mikhail Ryklin wird von bösen Ahnungen überfallen, wenn er sich vor Augen führt, wie viele seiner Landsleute weiterhin dem russischen Sonnenkönig huldigen. Die "Handsteuerung" von Putins vertikaler Macht droht zu versagen, doch klammert er sich an die Macht, denn für einen Putin kann es angesichts seiner Herrschaftspraktiken keinen ungestörten Rückzug ins Privatleben geben. Und es gibt nur wenig Anlaß zur Hoffnung. Im Internet blühen Nationalismus, religiöser Fanatismus und Homophobie, Nazisymbole und Zarenbildnisse sind beliebt: Eine Gesellschaft droht zu verrohen.

 

KUNST UND PHOTOGRAPHIE

Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini setzt sich in ihren Skulpturen, Installationen und Videos mit Machtstrukturen auseinander, Rebellion und Dekonstruktion gehören zu ihren Prinzipien. Ihre Collagen für Lettre evozieren Bildwelten aus Krieg, Terrorismus, Mode, Pornographie oder Konsumrausch. Nacktheit und Verwüstung, Gliedmaßen und Rümpfe verknäulen sich zu Gebilden von Masse und Macht. Ein aus der verstümmelten Integrität Einzelner entstehender anonymer kollektiver Körper ist gefährlich.

 

Der argentinische Photograph Rodrigo Abd porträtiert Latin American Clowns. In Guatemala überleben diese Clowns nur am Rande der Gesellschaft. Sie leben in Blechhütten in von Straßengangs kontrollierten Stadtvierteln. Sie entlocken sich selbst ein verletzliches Lächeln in fahrenden Bussen und an Straßenkreuzungen - für ein paar Münzen. Seine Aufnahmen wurden mit einer Holzkamera im Stil des 19. Jahrhunderts gemacht. Minutenlang mußten die Photographierten unbeweglich in die Linse schauen, und so erlauben die großartigen Porträts für einen Moment einen Einblick in ihr Inneres.

 

LETTRE-KUNSTEDITIONEN

Einige Exemplare der Lettre-Kunstedition The Way We Live Now mit Originalgraphiken internationaler Künstler wie Ai Weiwei, John Baldessari, Monica Bonvicini, Olafur Eliasson, Leiko Ikemura, Ilja und Emilia Kabakow, Robert Longo, Tobias Rehberger, Daniel Richter und Rosemarie Trockel sind noch zu haben. Die zehn Arbeiten in variierenden Drucktechniken reichen von Lithographien bis zum Archival-Inkjet-Print auf hochklassigen Papieren. Die Auflage beträgt 30 Exemplare im Druckformat von 500 mm mal 700 mm. Die Arbeiten sind numeriert und signiert. Der Preis der Mappe in Leinen beträgt 11.000,- Euro (zzgl. 7 Prozent MwSt.). Interessenten senden wir gerne eine Informationsbroschüre zu. www.lettre.de/kiosk/kunsteditionen

 

Bitte beachten Sie auch die Photoedition Berliner Schule von Pico Risto: www.lettre.de/artikel/lettre-photoedition-pico-risto-berliner-schule

sowie die Edition Niveau sans frontièresdes Schweizer Künstlers Max Grüter zum 25-jährigen Jubiläum von Lettre International: www.lettre.de/kiosk/kunsteditionen

 

 

INFO: 

 

PRÄMIEN, LECKERBISSEN VON DER LETTRE-REDAKTION

Lassen Sie sich verführen: Abonnieren Sie für drei Jahre, und es erwarten Sie besondere Prämien-Leckerbissen, wie große Weinführer, musikalische Meisterwerke, ein James-Bond-Werkzeugkoffer oder eine Cassavetes-Filmbox. Eine Prämienübersicht finden Sie im Heft und auf www.lettre.de.

 

 

 

LETTRE 103 - EIN ÜBERBLICK

 

HIMMELSLAUTE

In luftige Sphären entführt uns der Dichter Eliot Weinberger in Vogelgeister. Er belauscht eine Konferenz der Vögel und entschlüsselt die Botschaft der Himmelsbewohner, tragende Figuren in den Mythen und Geschichten, Weisheiten und Geheimnissen der Maori. "Vögel in den Sturmwolken, Vögel in den Sternen, im Kreuz des Südens ... hoch oben segelnd in einem Raum, den niemand je gesehen ..."

 

VERBEUGUNG VOR DEM ALTER, VERGÄNGLICHKEIT

Bei seiner Durchquerung der Wüste Gobi wird der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk mit Bestattungspraktiken schamanistischer Nomaden konfrontiert. Er fragt: "Wohin gehen wir nach dem Tod?" Im Staub verstreute Knochen sind Indizien einer ungewöhnlichen Abschiednahme von den Gestorbenen: Nomaden überlassen wilden Hunden der Steppe die sterblichen Überreste ihrer Nächsten, so wie Mönche in Nepal Körper und Fleisch ihrer Toten den Geiern zum Verzehr darbieten. "Ausgetrocknet, mineralisch, weiß wie Steine lagen die Schädel da. Gereinigt vom Leben." Wie anders die katholischen Abschiedsrituale im heutigen Polen, wo "Friedhöfe stillen Städten" gleichen.

 

"Selbst das Leben kann einen nicht auf das Leben vorbereiten." Seit Großvater Papaji die Siebzig überschritten hat, kündigt er regelmäßig sein Ableben an. Als mit fast neunzig Jahren sein Leben zu Ende geht, begleitet ihn dabei seine Enkelin Priya Basil. In ihrer Verbeugung vor dem Alter stellt sie Fragen zum Nutzen eines Menschen in einer profitorientierten Welt, zum Generationenzusammenhang, zu Endlichkeit, Schönheit, Alter und Tod. "Das Leben kann nicht überarbeitet werden", so die Autorin. Ein Versuch, vom Tod etwas über das Leben zu lernen

 

"Morgens unsterblich, abends die Angst, nicht mehr aufzuwachen." Die Journalistin Susana Moreira Marques ist im armen, verlassenen Norden Portugals unterwegs. Sie spricht mit Menschen am Ende ihres Lebens, denen ein offenes Fenster, ein Kreise ziehender Adler, ein Geräusch draußen die letzte Anbindung ans Leben bedeuten. Sie klopft an Türen, betritt das geschrumpfte Universum der Sterbenden und schreibt ein Handbuch des Überlebens. Ein Projekt ambulanter Palliativversorgung widmet sich diesen Menschen, und die Autorin versucht, die "Verschwörung des Schweigens" und die Vereinsamung zu durchbrechen. Über den Tod

 

DIE GEFÄHRDETE DEMOKRATIE

Péter Nádas zeichnet in einer vielschichtigen Analyse den heutigen Leidensweg der Demokratie in zwölf Stationen nach, entlang der Ideen der Aufklärung und ihrer Verkümmerung. Statt einer Entfaltung allgemeiner Bildung erlebt man, wie der Verzicht auf Aufklärung und eine Massenkultur den Unterschied zwischen Kunst und Kommerz einebnet. Wild wuchernde Geldwirtschaft und Gier bedrohen die Interessen des Gemeinwohls; eine Geldaristokratie scheint das Kommando über die großen Massengesellschaften übernommen zu haben. Kann der Kapitalismus noch als Bedingung der Demokratie verstanden werden, oder wandelt er sich zu einem Mittel ihrer Unterminierung? Nicht nur in Ungarn mehren sich Zeichen für ein Abrutschen in Autoritarismus, Zensur, theokratische Einflüsse, Entmündigung der Staatsbürger. Erleben wir eine Demontage der Demokratie? Ziviler Ungehorsam und Widerstand versprechen kaum Erfolg. "Dämmerte im Bewußtsein doch wenigstens das Strukturbild des Zusammenhangs zwischen Individuellem und Kollektivem, Einzelnem und Gemeinsamem auf."

 

DER LEVIATHAN UND DER GARTEN, DER UTOPIE WIRKSAMKEIT ZURÜCKGEBEN!

Ohnmachtsgefühle empfinden Bürger angesichts schwindelerregender Staatsverschuldung, entfesselter Finanzspekulation und globaler Verwerfungen. Die Gesellschaft wird auf wirtschaftliche Fragen reduziert, der Mensch auf das Modell des homo oeconomicus reduziert. Welche Freiheiten bleiben dem Individuum angesichts der Staats- und Gesellschaftsmaschinerie? In seinem leidenschaftlichen Essay Leviathanund Gartenplädiert der französische Philosoph Robert Misrahifür eine Alternative. Wie können die Bürger kreative Potentiale entfalten, individuelles Glück erstreben und zugleich auf die Gesellschaft einwirken? Welcher Bildung, Kultur, Universitäten, Medien bedarf es für eine schöpferische Gesellschaft, die eine Kultur des Glücks befördern sollte. "Es ist an der Zeit, der Utopie ihre Wirksamkeit zurückzugeben." Ein Plädoyer für einen anderen ethisch-politischen Horizont.

 

INTERVENTION IM NAHEN OSTEN?

Das Syrische Dilemma analysiert Mark Danner. Welche Perspektiven zeichnen sich für Syrien ab? Könnte sich die Möglichkeit eines "geordneten Übergangs" eröffnen? "Damit Schritte zu einer Vereinbarung gegangen werden könnten, wäre von den Amerikanern und den Russen, aber auch von den Iranern, den Saudis und den anderen Playern der Region, die den Krieg anheizen, echte Bereitschaft zur Diplomatie gefordert, und das heißt der Verzicht auf den Traum vom Sieg auf dem Schlachtfeld. Eine solche Vereinbarung scheint schwer vorstellbar. Die harten Realitäten Syriens und die Erblast einer eifernden, verfehlten amerikanischen Politik in Irak sind schuld daran, daß folgende Alternative wahrscheinlicher ist: fortdauernder, immer grausamerer Krieg und am Ende eine Rechnung, die der kalten Logik von Massengräbern folgt."

 

Stephen Eric Bronner fragt mit Thomas Hobbes nach dem Souveränin der politischen Kultur und den aktuellen Konflikten des Nahen Ostens. "Im Nahen Osten wird die Souveränität auf Dauer durch eine Vielzahl transnationaler und regionaler Faktoren geschwächt, zu denen religiöse, tribale und sogar familiale Loyalitäten gehören. In Syrien nehmen Tausende ausländischer Kämpfer aus Iran, Irak und Libanon aktiv am Bürgerkrieg und an der Zerstückelung des Landes teil. Der syrische Konflikt hat bereits Libanon destabilisiert und die islamische Welt gespalten. (...) Rechtfertigungen für Einflußnahmen auf die Souveränität anderer Staaten basieren vorgeblich auf der Absicht, Chaos zu verhindern, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen oder dem nationalen Interesse zu dienen. Sie sind jedoch verlogen. Die amerikanischen Interventionen in Afghanistan und Irak haben weit mehr als hunderttausend getötete Zivilisten, fast 1,5 Millionen Verwundete, etwa doppelt so viele Flüchtlinge, ruinierte Volkswirtschaften, kaum vorstellbare Umweltzerstörung und permanente innere Unruhen hervorgebracht. Daß all das irgendwie die Menschenrechte fördere, sagt sich leicht, wenn andere den Preis dafür bezahlen. (...) Einige Hindernisse, die der Souveränität im Wege stehen, gehen auf Entscheidungen ausländischer Mächte zurück, andere sind hausgemacht. Lange nach dem Ende des Kolonialismus wird der arabischen Welt noch immer die Chance verweigert, sich selbst zu entwickeln, eigene Fehler zu machen und eigene Institutionen zu schaffen, die der Moderne gewachsen sind." Welchen Sinn macht es, alte politische Ordnungen zu zerstören, wenn man nicht in der Lage ist, neue zu etablieren?

 

JAPANS ZUKUNFT

Japan porträtiert der indische Schriftsteller Pankaj Mishra. Er beschreibt ein Land zwischen Tradition und Moderne, Nationalismus und Weltoffenheit, innerer Zerrissenheit und neuer Reife. "Tokio macht heutzutage den Eindruck, die älteste Metropole Asiens zu sein .... Für viele der dynamischen Länder Asiens präsentiert Japan heute das Schauspiel einer gealterten Moderne: Braune Ebenen, besiedelt von einem Wirrwarr kleiner Behausungen, kreuz und quer durchzogen von gigantischen Strommasten ... dieses Japan galt kürzlich noch als Verkörperung von Zukunft, bevor in den frühen Neunzigern seine Blase platzte und das Land, verstrickt in seine Widrigkeiten, selbstbezüglich wurde und von der Bildfläche unseres Bewußtseins verschwand."

 

DEUTSCHE SPUREN

Oradour, dieser Name steht für ein Kriegsverbrechen, das nicht aufhört nachzuwirken: "In meiner Erinnerung", so Benjamin Korn, "waren die Ereignisse von Oradour bis vor kurzem im mythischen Nebel des Zweiten Weltkriegs versunken; der Ortsname klang schaurig wie die Namen Coventry, Lidice, Guernica, bis ich am 29. Januar 2013, über 68 Jahre nach dem Verbrechen, im Fernsehen zu meiner Verblüffung deutsche Fahnder sah, die, von französischen Gendarmen begleitet, die seit Kriegsende unberührte Ruinenstadt betraten und einen Ortstermin organisierten, um sich an Ort und Stelle den Ablauf des Massakers erklären zu lassen. (...) Die Einwohner des neuen Oradour, das unmittelbar neben dem alten erbaut worden war, trauten ihren Augen nicht. Seit Kriegsende hatte die westdeutsche Justiz die Aufklärung des Blutbads systematisch verhindert, die Mörder geschützt, die französischen Auslieferungsanträge abgewiesen und die Verantwortlichen bis zu ihrem Tod frei herumlaufen lassen."

Alle Verleugnungen, Vertuschungen und Verdrängungen der Ereignisse haben nicht geholfen: "Oradour vergeht nicht. Wenn die Menschen sterben, erinnern sich ihre Kinder, und wenn die Kinder sterben, erinnern sich die Kindeskinder, und wenn diese vergessen, erinnern sich die Steine. Sie zerfallen langsamer als wir. Bis auch sie zerfallen." Die Rekonstruktion eines Verbrechens: Ortstermin Oradour.

 

An ein besonders düsteres Kapitel der Besatzung Griechenlands durch die deutsche Wehrmacht erinnert Thánassis Valtinós. Etwa 95 Prozent der jüdischen Gemeinde Thessalonikis wurden in Auschwitz ermordet, nachdem die deutschen Besatzungsbehörden die nazistische Judenpolitik auch in Griechenland durchführten und die Bewohner deportierten. Der griechische Schriftsteller erzählt in DringenderBedarf nach Öl von der nächtlichen Flucht einer Familie sephardischer Juden aus der Stadt. Lichtfischer brachten sie in der Nacht auf kleinen Kuttern quer übers Meer. Zuflucht fanden sie auf der Insel Skopelos. Die Geschichte ihrer riskanten Rettung und ihres Überlebens durch die Solidarität der Inselbevölkerung

 

Eine nicht minder riskante Rettungsaktion von Juden durch dänische Fischer 1943 ruft Suzanne Brøgger in Erinnerung. Auch ein Mitglied ihrer Familie konnte auf diese Weise überleben. Die Aktion gilt heute als "Sternstunde der Nation", doch die Autorin warnt vor nationaler Selbstverherrlichung. Wäre es vorstellbar, daß sich Dänen heute gleichermaßen einsetzen würden, um Mitbürger ihrer muslimischen Minderheit vor Pogromen zu schützen? Und was muß das Land tun, damit seine muslimischen Einwanderer sich als Reaktion auf die ihnen entgegenschlagende Feindseligkeit nicht islamistischer Gehirnwäsche unterziehen? Brøgger macht sich ein Motto Elie Wiesels zu eigen: "Sprich über die Vergangenheit nur dann, wenn du bereit bist, in Zukunft zu handeln." Über Minderheiten, Menschenrechte und Moral

 

Von einer Schulfreundschaft im Nachkriegsdeutschland erzählt Thomas Hodina: "Sein Auftreten irritierte mich zunächst, er vermied jedes Gespräch mit mir und gab sich unnahbar, auch anderen gegenüber. Stets umwehten ihn eisige Wirbel. Er panzerte sich in Kälte. Zielgerichtet durchschnitt er die Luft, eine wandelnde Klinge. In ihm zitterte eine empfindliche Waage: ein feiner, fast übertrieben ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit (...) dieser Gerechtigkeitssinn trieb ihn an, entrüstete ihn, ließ ihn glühen und rational vereisen (...) Uns verband eine gemeinsame Verachtung für all das, was an nationalsozialistischem Treibgut unter unseren Lehrern noch herumschwappte. (...) Später wurde ich Zeuge dieses Schreis eines Knochenmanns, der sich bis ins Gefängnis als Hungerstreik verlängerte, an dem er, wie es hieß, verstarb. Er starb noch an anderem." Über Erfahrungen einer Schülergeneration in den fünfziger Jahren, als manch deutscher Lehrer noch das Hohelied von Pflicht, Gehorsam und Heldentod anstimmte; und über Erfahrungen und seelische Dispositionen eines später als Terrorist gesuchten Mitschülers: Holger.

 

LITERARISCHE STREIFZÜGE

Jeanette Winterson erzählt von der Liebe und von einer leidenschaftlichen erotischen Beziehung in Paris: Am 23. Mai 1907 begegnete Gertrude Stein ihrer späteren Geliebten Alice B. Toklas. "Gertrude: fett, sexy, genial, einflußreich. Alice: ein niedliches Einhorn, nervös, clever, wachsam, entschlossen." 1946 mußten sie Abschied nehmen. Gertrude Stein hatte Magenkrebs. "Die Liebe ist nicht sentimental. Die Liebe ist nicht das Zweitbeste. Frauen werden für die Liebe die Waffen aufnehmen müssen." Über Affären, Romantik, Sexobjekte, Feminismus: Alles, was ich weiß von der Liebe ...

 

Thomas Knauf reist durch Italien, auf den Spuren von Dichtern und Filmemachern. Sein Cicerone ist der Poet Guido Ceronetti. Am Lido von Ostia fand 1975 in einer sternenlosen Nacht Pier Paolo Pasolini ein brutales Ende; seine Leiche wurde bis zur Unkenntlichkeit entstellt: Die Hintergründe blieben bis heute im Dunkeln. Wir reisen weiter, ins Reich eines gebauten Futurismus; wir begegnen Gefühlsdiagnosen Michelangelo Antonionis und den Architekturträumen Mussolinis, flanieren auf Fellinis Via Veneto, besichtigen die vom Erdbeben zerstörte Provinzhauptstadt L'Aquila und besuchen den Campo Imperatore, auf dem Mussolini versteckt wurde, bis ihn ein SS-Kommando befreite. Trotz Ceronettis poetischer Anleitung hat unser Reisender der Gewalt des Konsumterrors und Massentourismus nur Wut und Trauer entgegenzusetzen. Und dennoch findet er sie, die Spuren von Bella Italia.

 

Marko Martin reist zum Bartleby von Lissabon. Der tschechische Dichter Frantisek Listopad, Jahrgang 1921, wurde nach dem Prager Putsch 1948 zum lebenslangen Emigranten. Er begegnete Artur London, Albert Camus, Louis Aragon, Louis-Ferdinand Céline, Jean-Paul Sartre, Alexander Dubcek und Mário Soares; er erlebte den Spanischen Bürgerkrieg, die Salazar-Ära und die Nelkenrevolution. Er überlebte beide großen Diktaturen als Utopist und als Kritiker der "engagierten Literatur", als subjektiver Antikommunist und Freund der Ausgebürgerten und Versteckten im Untergrund. Dieser Solitär liebt es, im Mittelpunkt der Stille zu verweilen. Ein steinalter Mann als glücklicher Mensch spricht über die Erfahrungen seines Lebens.

 

Welche Gewürze braucht eine delikate Gruselgeschichte? Was läßt die Zähne klappern, wie ruft man Gänsehaut hervor? Gruseln sich Chinesen anders als die Europäer? Der argentinische Schriftsteller Eduardo Berti spürt in GespenstergeschichtenLemuren, Phantomen, Geistern nach, forscht nach Untoten, Wiedergängern, umherschweifenden Seelen und begegnet unsterblichen Gespenstern als Hyperbel unserer Angst vor dem Unbekannten. Es gruselt von der Antike bis heute und rund um die Welt. Ein kleiner Globus des erzählten Grauens

 

WISSEN UND MACHT

"Wenn auf der Welt die gesamte Architektur des 20. Jahrhunderts zerstört würde, könnte sie durch den genetischen Code von Leonidows Architektur wieder zum Leben erweckt werden", so der niederländische Architekt Rem Koolhaas über seinen Kollegen Iwan Leonidow. Lutz Marz skizziert die atemberaubende Karriere des sowjetischen Baukünstlers und das poetische Zusammenspiel seiner fünf Prinzipien: "Minimalismus, Natureinbettung, Stadteinbettung, Dynamik, Sozialfunktion". Leonidow gehörte zu einer ästhetischen Avantgarde, die ihre Poesie der Zukunft abgewinnen wollte und der eine Raum- und Zeitstruktur vorschwebte, die historische Offenheit verkörpert. Über eine architektonische Poesie der reinen Form zwischen Realismus und Utopie

 

Stalin am Apparat: Macht und Mythologie des Telefonsystems in der Sowjetunion erforscht Lars Kleberg. Welche Rolle spielte das Telefon in jener Epoche? Wem stand es zu, wer besaß es, wie wurde es benutzt? Grundsätzlich ein allen zugängliches, horizontales Kommunikationsinstrument, wurde es jedoch von "vertikalen" Kräften kontrolliert. Es brachte den Modernisierungsgrad zum Ausdruck und repräsentierte Status und Macht. Telefonanrufe, das konnten Geschenke sein, Gesten der Gnade, Akte der Willkür oder der Bedrohung. Majakowski, Bulgakow oder Pilnjak, Solschenizyn, Grossman oder Tarkowski - auch im Leben ihrer literarischen Protagonisten spielte das Telefon eine schicksalhafte Rolle. Ein Dichter: "Stalin, das war Dschingis Khan mit Telefon."

 

Alan Lightman, Wissenschaftler am MIT, beschreibt in Zufallsuniversum eine Glaubenskrise der Naturwissenschaft. Dramatische Entdeckungen der kosmologischen Beobachtungen und Theorien haben einige führende Physiker zu der Annahme veranlaßt, daß unser Universum nur eines aus einer Unzahl von Universen mit extrem unterschiedlichen Eigenschaften sei, und daß die grundlegendsten Merkmale unseres besonderen Universums bloße Zufälle seien. Über das "anthropische Prinzip", "dunkle Materie" und die "ewige Inflation des Raums", über subatomare Teilchen, String-Landschaften und über den Wurf des kosmischen Würfels.

 

Für Alexander Schießling ist die Optogenetik Inkarnation einer Wissenschaft, die zur Kolonisierung des Körpers beiträgt. Lustige Algen, Labormäuse, Fliegenembryos und Zebrafische, sie alle werden in Experimenten durch Licht ferngesteuert und manipuliert. Die Optogenetik ermöglicht es erstmals, die neuronale Aktivität eines lebenden Gehirns in Echtzeit zu beobachten. Gehirnbereiche werden durch Licht selektiv an- und ausgeschaltet, das Gehirn wird zum Schaltkreis und Computer. Medizinische Fortschritte sind möglich, doch welche Risiken liegen in der Transformation eines Gehirns zu einem ferngesteuerten hybriden System? Sollte Optogenetik unterbunden werden?

 

BRIEFE UND KOMMENTARE

Den besten Rat bekommt Ann Jones zuletzt: "Folgen Sie dem Geld!", schlägt ihr ein wütender Heeresoffizier vor. Die Kinder in Uniform, welche die Drecksarbeit des Militärs im Krieg leisten und vielfach traumatisiert oder als Invaliden in ihr Heimatland zurückkehren, gehören zum untersten einen Prozent der Nation; sie befolgen nur Befehle. Ein anderes "ein Prozent" verdient am Krieg, am großen Transfer von Vermögen aus der Staatskasse in die Taschen der Kriegsprofiteure. Bis Ende Mai 2013 wurden bei 247.000 Veteranen aus Afghanistan und Irak posttraumatische Belastungsstörungen diagnostiziert. 745.000 Veteranen haben Invalidenansprüche eingereicht. Ann Jones über das Schicksal von Soldaten

 

Tom Engelhardt beschreibt eine unvergleichliche Machtentfaltung der Vereinigten Staaten. Washingtons Militärs haben den Planeten in sechs Regionalkommandos aufgeteilt. Ihr nukleares Arsenal in Silos, Bombern und Unterseebooten könnte gleich mehrere Planeten zerstören. Washington gibt mehr für sein Militär aus als die dreizehn nächstmächtigen Staaten zusammen. Und doch taugt dieses Militär nicht dazu, Politik durchzusetzen. Es vermag zu destabilisieren, versagt jedoch stets bei der Konstruktion einer neuen Ordnung. Doch der Krieg als Option bleibt eine große Versuchung, wenn die Welt nach der eigenen Pfeife tanzen soll. Zu erwarten sind Kleinstkriege und Mikrokonflikte.

 

Robert Behrendt war in Rumänien. Dort spricht man von der Tötung aller wilden Hunde in der Hauptstadt. "Wenn euer Gekläffe nachts durch die leeren Straßen hallt, ahne ich, daß Europas Rand nicht mehr fern sein kann. (...) Als streunende Hunde werdet ihr, wie vor euch andere Existenzen der Straßen, zu Kriminellen, deviant, delinquent, disqualifiziert. Ihr haust nicht umsonst auf der Nachtseite unseres Bewußtseins ... Und mit eurer Tötung einhergehen wird eine Entwilderung der Stadt. (...) Ihr Straßenhunde aus Bukarest seid zu einer wilden Projektion geworden." Hunde von Bukarest

 

Karim Saab besucht Antwerpen und erinnert sich angesichts eines Bildes an die deutsche Invasion in Belgien 1914. Schlamm und Materialschlachten in nie gekanntem Ausmaß, größte Opfer und Verluste, Blausäure, Senfgas und Dicke Berta, Pferde mit Gasmasken, 25 Millionen Kriegsgeschädigte - eine Apokalypse, die Ausdruck findet in der Malerei, in den apokalyptischen Landschaften von Ludwig Meitner, in Alptraumlandschaften von Otto Dix, in Weltbrandgemälden von Willi Stöwer. Franz Marc, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, starb mit 36 Jahren vor Verdun, August Macke als Kriegsfreiwilliger schon am 26. September 1914 an der Westfront. Gedanken zum Urgemetzel des 20. Jahrhunderts

 

KORRESPONDENZEN

Wolf Reiser berichtet aus München. "Es wird bitter enden", hieß es schon im Film Zur Sache, Schätzchen. Auch ein föhnblauer Bayernhimmel ändert daran nichts, wenn eine "Generation Wellness", ausgestattet mit Gucci-Brillen und Yoga-Ratgebern, das Carpe-diem-Glas leerrschlürft, fliederfarbene Design-Fahrräder umherschiebt, von bevorstehenden Housewarming-Partys auf Bajuwarisch erzählt, und das Penner-Laminat ihrer Vorbewohner durch sündhaft teures Erstweltholz ersetzt, welches zuvor in Bangladesch auf Vintage-look umgeschliffen wird: Schwabinger Parkett.

 

Urvashi Butaliaaus Neu-Delhi fragt: "Wer übernimmt die Führung unseres Landes?"und schildert die Schwierigkeit Indiens, zwischen seinen Premierministerkandidaten zu wählen: einem Politiker, der 2002 Ministerpräsident des westindischen Bundesstaats Gujarat war, als dort mehr als tausend Muslime von fanatischen hinduistischen Schlägertrupps ermordet wurden; und einem anderen Kandidaten, Sproß jener Familie, die Indien seit der Unabhängigkeit mit geringen Unterbrechungen regiert hat. Über Karriere und Verbrechen

 

Der Philosoph Mikhail Ryklin wird von bösen Ahnungen überfallen, wenn er sich vor Augen führt, wie viele seiner Landsleute weiterhin dem russischen Sonnenkönig huldigen. Die "Handsteuerung" von Putins vertikaler Macht droht zu versagen, doch klammert er sich an die Macht, denn für einen Putin kann es angesichts seiner Herrschaftspraktiken keinen ungestörten Rückzug ins Privatleben geben. Und es gibt nur wenig Anlaß zur Hoffnung. Im Internet blühen Nationalismus, religiöser Fanatismus und Homophobie, Nazisymbole und Zarenbildnisse sind beliebt: Eine Gesellschaft droht zu verrohen.

 

KUNST UND PHOTOGRAPHIE

Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini setzt sich in ihren Skulpturen, Installationen und Videos mit Machtstrukturen auseinander, Rebellion und Dekonstruktion gehören zu ihren Prinzipien. Ihre Collagen für Lettre evozieren Bildwelten aus Krieg, Terrorismus, Mode, Pornographie oder Konsumrausch. Nacktheit und Verwüstung, Gliedmaßen und Rümpfe verknäulen sich zu Gebilden von Masse und Macht. Ein aus der verstümmelten Integrität Einzelner entstehender anonymer kollektiver Körper ist gefährlich.

 

Der argentinische Photograph Rodrigo Abd porträtiert Latin American Clowns. In Guatemala überleben diese Clowns nur am Rande der Gesellschaft. Sie leben in Blechhütten in von Straßengangs kontrollierten Stadtvierteln. Sie entlocken sich selbst ein verletzliches Lächeln in fahrenden Bussen und an Straßenkreuzungen - für ein paar Münzen. Seine Aufnahmen wurden mit einer Holzkamera im Stil des 19. Jahrhunderts gemacht. Minutenlang mußten die Photographierten unbeweglich in die Linse schauen, und so erlauben die großartigen Porträts für einen Moment einen Einblick in ihr Inneres.

 

LETTRE-KUNSTEDITIONEN

Einige Exemplare der Lettre-Kunstedition The Way We Live Now mit Originalgraphiken internationaler Künstler wie Ai Weiwei, John Baldessari, Monica Bonvicini, Olafur Eliasson, Leiko Ikemura, Ilja und Emilia Kabakow, Robert Longo, Tobias Rehberger, Daniel Richter und Rosemarie Trockel sind noch zu haben. Die zehn Arbeiten in variierenden Drucktechniken reichen von Lithographien bis zum Archival-Inkjet-Print auf hochklassigen Papieren. Die Auflage beträgt 30 Exemplare im Druckformat von 500 mm mal 700 mm. Die Arbeiten sind numeriert und signiert. Der Preis der Mappe in Leinen beträgt 11.000,- Euro (zzgl. 7 Prozent MwSt.). Interessenten senden wir gerne eine Informationsbroschüre zu. www.lettre.de/kiosk/kunsteditionen

 

Bitte beachten Sie auch die Photoedition Berliner Schule von Pico Risto: www.lettre.de/artikel/lettre-photoedition-pico-risto-berliner-schule

sowie die Edition Niveau sans frontièresdes Schweizer Künstlers Max Grüter zum 25-jährigen Jubiläum von Lettre International: www.lettre.de/kiosk/kunsteditionen

 

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Wir wünschen Ihnen schöne Weihnachtstage und ein gutes und gesundes Neues Jahr!