Serie: Der Deutsche Buchpreis 2021, hier die Auswahl der Zwanzig, die letzten Sechs, Teil 15
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Mann kann erzählen. Und wie! Die 445 Seiten mit all den Haupt-, kaum Nebenfiguren, mit den Schauplätzen zwischen Tirol, Texas, der mexikanischen Grenze und dem Skilift in der Heimat, dem er seinen geheimen Reichtum verdankt, mühelos bekommt der jährige Autor, der in Hamburg lebt, das alles unter einen Deckel, bzw. zwischen zwei Buchdeckel. Es gibt nur ein Problem. Mich interessiert der Icherzähler, der alternde Schauspieler, der hier sich hier seelisch und körperlich entblößt, einfach nicht!
Was tun? Die Kunst des Erzählens langt nicht, wenn einem Jakob und seine Wehwehchen, seine Alterseinsamkeit und Altersfurcht so gleichgültig bleiben. Was heißt hier alt? Der Mann wird gerade mal Sechzig, das ist doch kein Alter zum Jammern oder doch nur eines, wenn man so konsequent an seinem eigenen Leben vorbeilebt, wie es dieser Schauspieler Jakob tut. Ein großer Teil der Handlung spielt in den USA, wer müßte da nicht an andere österreichische und deutsche Schauspieler denken, die in den USA reüssierten, besondern wenn sie aus der Steiermark stammen. Aber mit solcher Berühmtheit ist es bei dem Tiroler Jakob nicht weit her. Er war mal bekannt, was er vor allem seinem amerikanischen Freund Stephen O‘Shea verdankt, der wirklich eine Leinwandgröße ist und sich bei seinen Verpflichtungen seinen österreichischen Kumpel zum Mitspieler wünscht. Daß der nun ausgerechnet immer wieder auf Serienmörderrollen engagiert wird und davon dann zu viel bekommt, weshalb er die Paraderolle der Verfilmung des steirischen Mörders und Literaten Jack Unterweger, die dann John Malkovich (in ‚echt‘) übernimmt, ablehnt und auch nach dessen Erfolg froh ist, den Frauenmörder nicht gespielt zu haben, das klingt ganz schön eitel und unglaubwürdig dazu.
Da spielt der Autor mit uns, aber ich finde die Vermutungen, die Literaturkritiker dem Zweiten Jakob, bzw. der Schreibkunst des Autors im Nicht- oder Halbgesagten zuschreiben, ob und daß Jakob selber der Frauenmörder sei, der in den USA herumspukt, reichlich übertrieben, denn das verwundete Seelchen des Zweiten Jakob ist das eine, aber seine Reaktionen das andere. In der Regel zieht er sich zurück, sobald es ungemütlich wird. Im Leben sowieso und in den Filmen auch. Nur ein Film, will sagen, die Dreharbeiten zu einem Film sind es, auf denen die gesamte Erzählung ruht, die also immer wieder eine Rolle spielen. Dazu gleich. Daß die Erinnerung an diese schreckliche Geschichte während der auch zuvor schon schrecklichen Filmaufnahmen wieder hoch kommen, hat mit seiner Tochter zu tun. Lucie ist das so haltlose wie stabile Kind, seine einzige Tochter und der einzige Mensch, der ihm wirklich etwas bedeutet, ja, gerade so, daß er sein Leben gäbe, wenn er ihres retten könnte. Luzie ist die ‚Frucht‘ - ja so nannte man das früher, wobei man merkt, wie sich ein Sprachgebrauch ändert, veraltet - seiner dritten Ehe, ein verhuschter, verunsicherter kleiner Mensch, der aber außerhalb der Beziehung mit dem wachsweichen und darum auch konturlosen Vater ganz gut zurechtkommt. Und Lucie fragt ihn eines Tages: „Was ist das Schlimmste, was Du je getan hast.“ Und wofür er sich geschämt habe.
Jakob überlegt kurz und erzählt dann eine schreckliche Geschichte, wie er mit der damaligen Freundin Xenia seines Kumpels Stephen während der Pause zur Aufnahme in El Paso in die Wüste gefahren sei, als ihr Schutz auf dem Beifahrersitz, weil sie gerade vom Erotikausflug der beiden tag zuvor in die mexikanische Wüste gehört hatte, mit sexuellen mündlichen Dienstleistungen junger Mexikanerinnen an den beiden Freunden, ekelhaft auch in der Darstellung, und sich durchs Wegfahren in dieselbe Wüste abreagieren mußte. Es war schon dunkel geworden, kein Wagen unterwegs, dann aber sahen sie einen stehen, genau vor der einzigen Baum-, Gebüschgruppe weit und breit und eine Frau winkend am Straßenrand. Eine Panne. Oder eine Falle? Auf jeden Fall fährt Xenia weiter und kann nicht ausweichen, als die Frau in ihr Auto läuft und sie sie überfährt. Zwar halten sie an, aber sie kümmern sich nicht wirklich darum, ob sie noch lebt und zu retten ist, sondern lassen sie einfach liegen, eine, wie sie später erfahren, Farmersfrau mit zwei Kindern, die sich vor ihrem sie prügelnden Mann mit ihrem Wagen retten wollte, der aber einen Platten hatte. Und nun ist sie tot.
Im Ernst. Mit einer solchen Schuld wollte ich auch nicht leben. Aber seine zarten Versuche der Aufklärung enden sofort, wenn es um ihn selbst geht und er immer das Wohl von Xenia, der Täterin, vorschieben kann, wobei er sich schon eingesteht, genauso schuldig zu sein, denn er war ausgestiegen, hatte die Überfahrene berührt und hätte etwas tun können. Hat er aber nicht. Und nun das Geständnis seiner Tochter gegenüber, die darauf reagiert, indem sie die geplante USA-Reise mit dem Vater zwar durchführt, aber nicht mit Jakob, sondern Freund Mirko.
Jakob ist gewohnt, alles zu kaufen. Nicht nur Gegenstände, sondern auch das Verhalten der Menschen. Dem ersten Freund von Luzie zahlt er 5 000 Euro, damit er aus deren Leben verschwindet, was er tut. Hier geht es auch gar nicht um Aufzählungen, sondern die Grundhaltung, die er zum Geld hat, das alles seins ist. Daß wir es unter moralischen Kategorien um einen äußerst selbstsüchtigen, egozentrischen Egomanen zu tun haben, wird sowieso schnell deutlich. Nur wie gesagt, interessiert einen das nicht sonderlich. Aber der Korrektheit wegen sei wiedergegeben, daß er seinen Reichtum, den er – weil er wohl von Steuer CDs mit Recht Angst hat – in verschiedenen Staaten, natürlich auch der Schweiz, als jeweilige Währung gehortet hat – seiner Großmutter verdankt, die ihrem labilen Sohn Jakob, nun achtzig geworden, ein Leben lang ein behütetes Leben sichern wollte und darum ihrem Enkel Jakob das viele Geld vermachte, damit er auf seinen Onkel Jakob, warum er eben auch nur der Zweite Jakob ist, gut achtgebe und ihm ein gutes Leben bereite. Stattdessen läßt er diesen im Heimatort, in den er zurückkehrt, als für ihn dort eine riesige Statue erworben und aufgestellt wird, vor sich hinleben.
Doch so ist er eben, dieser Zweite Jakob, wie ihn Autor Gstrein erschaffen hat, mit schlechtem Gewissen, das schon, aber ohne Konsequenz für sein Handeln. Und er wird leider auch nicht interessanter dadurch, daß der Autor ihn uns als sich widersprechend ans Herz legt. Da wäre ja durchaus der Zugang gewesen, Interesse zu entwicklen, wenn einer sich immer wieder selbst in die Irre führt, etwas behauptet, was dann nicht stimmt. Das ist nur das Problem mit den Schwätzern, die was sagen und dann war es nichts, wobei dieser Jakob das Gegenteil von einem Schwätzer ist, ein Schweiger, ja, ein Verschweiger auch, leider eben auch ein Verschwiemelter dazu.
Was bleibt? Die Handlung während der Dreharbeiten in El Paso ist Hauptteil des Buches, kommt hier zu kurz, weil die Erwähnung des Films und der Rollen der beiden Freunde auch die beiden weiblichen Hauptrollen nach sich zieht. Darum nur kurz, daß ich gerne mehr erfahren hätte über die rassige Alma, die überaus bekannte mexikanische Schauspielerin, die gerne in der englischsprechenden Welt reüssieren möchte, weshalb ihr Beschützer, Enrique Brausen, genannt El Aleman, Schuft, Verbrecher, Mafioso, das bleibt alles ungesagt, hier mitproduziert. Das Kalkül geht nicht auf, in den USA ist der Film ein Flop, Jakob endgültig aus dem Rennen, daß der Film in Mexiko ein Hit wird, wirkt sich für ihn nicht aus.
Dann gibt es noch eine interessant erzählte, ja Gstrein kann erzählen, wie oft denn noch!, Beziehung zwischen einer jungen Schauspielerin, die wirklich berühmt wird und ihm, aber als es so weit ist, ist er schon abserviert. Na und?
P.S. Wie unwichtig im Kern das einkleidende Thema des Romans ist: nämlich die geplante autorisierte Biographie, die im Auftrag eines Verlages Elmar Pflegerl schreiben soll, den Jakob auch mehrere Mal empfängt, bis er ihn rauswirft, autorisiert wird hier gar nichts, aber aus dem Manuskript des Pflegerl wird zitiert, Jakob schlägt ihn auch einmal zusammen, aber dann verschwindet Pflegerl und die Biographie im Nirgendwo und Jakob erzählt uns einfach weiter. Viel Lärm um nichts.
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Info:
Norbert Gstrein, Der Zweite Jakob, Hanser Verlag 2021
ISBN 978 3 446 26916 3