Die Henning Juul Romane von Thomas Enger aus dem Verlag Blanvalet
Claudia Schulmerich
Hamburg (Weltexpresso) – Am 11. November hat der Verlag Blanvalet den dritten Kriminalroman um den Osloer Journalisten Henning Juul veröffentlicht: VERLEUMDET. Schon zuvor waren von den beiden ersten Fällen 125 000 Exemplare verkauft worden. Was macht die Bücher erfolgreich, so daß sich auch die englischsprachige Welt für die Übersetzungen interessieren und die Verfilmung der Serie schon in Planung ist?
Zuvor jedoch ein Wort zum norwegischen Autor. Thomas Enger. Wie sein Held lebt er in Oslo und ist in Jessheim aufgewachsen, das, wie wir aus dem dritten Krimi wissen, 40 Kilometer von Oslo entfernt ist. Geboren ist er 1973 in Oslo und studierte Publizistik sowie Sport und Geschichte. Alle drei Disziplinen tauchen in seinen Kriminalromanen als Fachwissen auf, wobei er auch selbst in einer Online-Redaktion gearbeitet hatte, die nun der professionelle Hintergrund von Henning Juul ist. Die Ähnlichkeiten zwischen Autor und literarischem Helden gehen noch weiter, die Liebe zur Musik zum Beispiel. Henning ist verhinderter Pianist, weil ein schreckliches Unglück ihn aus der Lebensbahn geworfen hat und er glaubt, im Leben alle schönen Dinge nicht mehr ausüben zu dürfen. Thomas Enger dagegen hat neben dem Romaneschreiben Filmmusik komponiert und sich an Musical-Produktionen beteiligt.
STERBLICH war sein erster Thriller und wir haben uns entschlossen, es so zu machen, wie der Autor: nämlich die Reihenfolge bei den Besprechungen einzuhalten, auch wenn es uns juckt, mit VERLEUMDET, dem neuesten Fall zu beginnen. Enger hat tatsächlich beim Schreiben in positivem Sinne Routine entwickelt und der neue, der dritte Fall des Henning Juul läßt diesen selbstbewußter auftreten in einer Geschichte, die noch dazu auch geschickt konstruiert ist. Zwei Dinge muß man vorausschicken. Einen Journalisten als Ermittler von Kriminalfällen auszusuchen, wo ansonsten die Kommissare die Mehrheit in Kriminalromanen stellen, ist nicht neu. Und im übrigen liegt das auch nahe, vor allem, wenn es Polizeireporter oder Verbrechensberichter sind. Spontan fallen uns als journalistische Ermittler Mikael Blomkvist aus der Millennium Trilogie des Stieg Larsson ein, im deutschen Raum zum Beispiel Felix Disselhoff, Georg Rubin, Siggi Baumeister, für den skandinavischen Krimi zählen vor allem weibliche Journalistinnen und Schriftstellerinnen zu den Krimi-Heldinngen: die schwedische Annika Bengtzon, die finnische Erica Falck oder die dänische Camilla Lind.
Diese Journalisten sind allerdings m Rahmen ihrer Arbeit zu dem geworden, was sie sind: engagierte, erfolgreiche Rechercheure, Macken hin oder her. Da sieht es bei Henning Juul dann doch etwas anders aus. In STERBLICH wird erst einmal viel vorausgesetzt und peu a peu mit immer mehr Informationen gefüttert, nämlich in welcher verheerender Lage Henning steckt, die ihn sogar täglich den eigenen Tod ersehnen läßt. Er war verheiratet, liebt irgendwie Nora, eine erfolgreich Journalistin, immer noch, mit der er ein Kind hatte: Jonas. Er hatte es. Denn eines Abends war der Neunjährige außerplanmäßig von der Mutter zu ihm gebracht worden und durch einen Wohnungsbrand, den Henning mit Narben im Gesicht gezeichnet überlebte, verbrannt.
Ein Trauma nennt man so etwas. Der Vater gibt sich die Schuld, die Brandszenen spielen sich immer wieder vor seinem inneren Auge ab und das Ganze ist eine Mischung aus Versagensgefühlen, Trauer, aber auch dem Unverständnis, wie das geschehen konnte, was wir über den ganzen Roman mitverfolgen. Denn der erste Roman hat als roten Faden das sich Einlassen des Henning auf das erst einmal blockierte und weggedrückte Geschehen, so daß er zunehmend auch Trauer zulassen kann. Wie raffiniert allerdings Thomas Enger seinen Juul auf eine Traumaaufarbeitung geschickt hat, das weiß der Leser erst auf Seite 410, wenn Henning sich vorhält, 'seit Jonas' Tod scheintot gewesen“ zu sein und nun mit voller Pulle das anzugehen, was ansteht, selbst wenn es in den Abgrund führt: aufzuklären, wer den Brand gelegt hat und wer seinen Sohn umgebracht hat.
Da man allerdings die 399 Seiten zuvor von keinem Verbrechen ausging, sondern von Fahrlässigkeit oder sonst was, zeigt sich wie stark der Autor seine ganze Serie vorherbedacht und geschickt konstruiert hat, denn mit der letzten Frage des Buches, wer seinen Jungen umgebracht hat, ist klar, daß dies im nächsten Buch eine Rolle spielen wird. Übrigens ist bei allen drei Kriminalromanen auffällig, wie oft Familien eine Rolle spielen und vor allem Kinder vorkommen und tragende Rollen spielen.
STERBLICH läßt uns nach zwei Jahren Auszeit dabei sein, wenn Henning Juul seine alte Arbeit in der Online-Redaktion von 123nyheter wieder aufnimmt und gleich zur Pressekonferenz ins Polizeipräsidium muß, weil eine 23jährige wunderschöne Filmstudentin, die ihm nach ihren Bild klug vorkommt, besonders bestialisch ermordet worden ist. Frauenmord kommt immer an, bestialischer erst recht, hier aber greift Enger eine aktuelle politische Diskussion auf, lassen doch die Details auf einen Ehrenmord schließen, eine regelrechte Scharia, was auch naheliegt, da die junge Norwegerin mit einem Pakistani liiert war und alle ersten Zeichen auf Untreue und Rache weisen.
Nein, wir wollen die Geschichte nicht durcherzählen, die erst mal langsam beginnt und uns erst ab Seite 130 ff richtig zu interessieren beginnt, als Juul den Bruder des in Haft sitzenden Pakistani besucht und eine saubere, schöne Wohnung, behaglich und sympathisch vorfindet, wo der Bruder ihm Milch anbietet und wir mit Juul das Drehen der Geschichte miterleben, denn nichts ist, wie es scheint. Ein Wirbel von technischen Details von Emails und sms überfordert manchmal unsere Ermittlerqualitäten, aber es zeigt sich, daß Henning immer mehr durchblickt und derjenige ist, der den Fall mit weiteren Toten, die alle mit dem Filmgeschäft und Filmausbildung zu tun haben, abschließend klärt, was nicht heißt, daß der Schuldige schon bestraft ist.
Als Leser ist man manchmal aufgebracht, wie naiv Juul sein Handwerk angeht und in die Fallen tappt, die der Mörder ausgelegt hat. Man kann es nur auf die depressive Verfassung des Journalisten zurückführen, wenn er so leichtsinnig sich selbst in Gefahr bringt. Auf den Seiten 360/61 holen ihn seine Unvernunft und Unvorsichtigkeit ein, aber auch diese wird eine Waffen gegen den Mörder, denn der Erzähler Enger hat ein Herz für seinen Journalisten und läßt ihn überleben. Schließlich braucht er ihn ja auch noch für die nächsten Romane.