Die Henning Juul Romane von Thomas Enger aus dem Verlag Blanvalet

 

Claudia Schulmerich

 

Hamburg (Weltexpresso) – Inzwischen, beim dritten Krimi um Henning Juul kommt einem dieser schon wie ein guter Bekannter vor. Nein, ein Freund nicht, aber ein von einem selbst als Journalistin äußerst respektierter Journalist, weil er ausgesprochen intelligent Zusammenhänge erspürt, die richtigen Fragen stellt und auch noch weiß, an wen er sie richten muß, damit er Antworten und damit die Lösung der Fälle erhält.

 

 

Noch immer unterliegt auch dem dritten – und potentiellen vierten und weiteren?- Romanen um Henning Juul sozusagen als Subtext die Aufklärung darüber, wer den Brand in seiner Wohnung gelegt hatte, in dessen Folge sein neunjähriger Sohn Jonas verbrannte und er selbst deutlich gezeichnet die Brandwunden im Gesicht trägt. Schon in den letzten Romanen fing Henning an, sowohl das Geschehen als von ihm nicht vermeidbares Verbrechen zu interpretieren, als auch den eigenen Schmerz über den Tod seines Sohnes und damit Weinen und Verzweiflung zuzulassen. Er kann ihn wieder auf Fotos ansehen und bei aller Künstlichkeit, die Kriminalromane meist, was das Sujet angeht, aufweisen, indem sie nicht mit unserer Lebenswelt und unseren Lebenserfahrungen zusammenhängen, so ist das hier anders.

 

Denn sicher hat jeder schon im Umkreis von Todesfällen erfahren, wo Kinder vor ihren Eltern sterben, was sich zuspitzt, wenn dies im Kindesalter und als Verbrechen geschieht. Wir alle fühlen instinktiv, daß sich dies wider die Natur richtet. Insofern finden wir jetzt im dritten Kriminalroman die Grundsatzentscheidung des Autors, sich diesen durch Sohnesverlust Gekennzeichneten zum Helden zu machen, als klug vorausgedacht, denn dieser Mord hält alle weitere Geschichten zusammen, bleibt aber nicht vordergründig Hauptthema, also der Fall, der dem jeweiligen Buch seinen Namen gibt.

 

Das, womit Juul unmittelbar aktuell als journalistisches Tagesereignis befaßt ist, wird zum Fall, wobei Thomas Enger bei VERLEUMDET noch eins draufgibt und Henning viele weitere Fälle offiziell für seine Zeitung recherchieren läßt, zu denen die Vorfälle um die norwegische Justizministerin noch hinzukommen. Für deren journalistische Begleitung ist er von der Redaktion aus ganz dezidiert nicht vorgesehen und soll sich heraushalten, denn die Ministerin heißt Trine Juul-Osmundsen und ist Hennings Schwester.

 

Zwar hatte er jahrelang keinen Kontakt zu ihr, was von ihr ausgeht – nicht einmal zur Beerdigung ihres Neffen Jonas ist sie gekommen -, aber er wird im Roman derjenige sein, der aus der Ferne die richtigen Tips gibt, wie man die fängt, die eine so unglaubliche Intrige um die Justizministerin gesponnen hatten, was durch Henning auffliegt. Gerade in diesen Passagen bewundert man die Kombinationsfähigkeiten des Journalisten, der keinen deus ex machina braucht, sondern einfach sensibel Dinge aufnimmt, sie speichern kann und beim Bearbeiten der Informationen Stück für Stück die Wirklichkeit rekonstruiert.

 

Die Fälle, für deren journalistische Begleitung er selbst vorgesehen ist, sind ganz andere, da Henning aber ein Workaholic ist, ein Privatleben erübrigt sich zudem nach dem Tode des Sohnes, schafft er es spielend, auch hier die geschehenen Morde in einen Zusammenhang zu bringen und den Mörder zu überführen. Dabei zieht uns Thomas Enger tief in vergangene Dorfgeschichten und in jugendliche Freundschaften und Feindschaften hinein, die in einem ganz bestimmten Menschen unauslöschliche Wunden geschlagen haben, die ihn im eigenen Verständnis und innerer Stimme zum Töten zwingen. So geht diesem VERLEUMDET ein Prolog voraus, der einem zu schaffen macht. Wenigstens uns.

 

Da spricht jemand, wie zu Eis erstarrt, davon, wie in seiner Jugend ein Geschehen eintrat, infolgedessen sein kleinerer Bruder unterm Schnee erstickte, wobei er ihn hätte retten können. Diese Passage ist so furchtbar, weil dieser Sprechende auch im Roman selbst, wo er dann als Erwachsener nach und nach uns in seinen Handlungen vorgestellt wird, ein erstarrter Schattenmensch bleibt, dessen einzige Lebensmaxime ist, sich an denen zu rächen, die ihm das Gefühl von Minderwertigkeit gegeben haben. Und das waren viele. Er selbst sieht die Welt als eine von Erfolgreichen und Loosern, zu denen er gehört.

 

Da wird eine pensionierte Lehrerin in einem Altersheim auf ganz schreckliche Weise ermordet, weil ihr nach dem Tod Stricknadeln in die Augen getrieben werden. Das hätte nicht sein müssen, Autor Enger, denn das symbolische Muster, was Augen alles sehen, wird beim Täter gar nicht ein wirkliches Motiv, das eben nur um seine attestierte Unterwertigkeit geht. Diese Lehrerin bleibt in allem doch ein Abziehbild einer engstirnigen, strengen und ungerechten Lehrerin; aber wie hätte er sie gestalten sollen, gibt es doch genau diese analen Charaktere – in Erziehungseinrichtungen verschärft. Hier geht es also um den Typ.

 

Denn daß Enger Frauen beschreiben kann in ihrer Vielfalt, was das Äußere und Innere angeht, kann man in diesem Roman besonders gut verfolgen, wo einmal mit den alten Freundinnen Emilie und Johanne zwei junge Frauen eine Rolle spielen, die völlig gegensätzlich sind, wobei keine dem Klischee einer jungen Frau entspricht. Das gilt nicht ganz so für Katarina, die rechte Hand von Justizministerin Trine Juul-Osmundsen, aber ganz sicher für diese selbst, die im Roman die wichtigste Rolle spielt. Daß sie am Schluß doch zurücktritt, obwohl der öffentliche Vorwurf, sie habe einen Jungpolitiker sexuell genötigt, sich als unwahr und eben Verleumdung infolge spezifischer Interessen herausstellt, hat mit ihrem Privatleben zu tun und ihrer Entscheidung, daß sie nicht öffentlich zu etwas Stellung nehmen darf, was sie privat entgegengesetzt handhabt.

 

Wir müssen darumherumschreiben, denn der Plot soll nicht verraten werden. Wir aber wissen, daß mit dem Eingreifen von Henning Juli in der abgerissenen familiären Beziehung wieder etwas in Gang gekommen ist, was die Aufklärung der rätselhaften Distanz von Trine zu Henning zum Ziel haben wird. Rätselhaft für Henning, denn es hängt mit dem Tod des Vaters zusammen, die sie dem Bruder anlastet, genauso wie es die Mutter getan hat. Henning aber weiß von nichts und da wir ihn als ehrenwerten Menschen kennengelernt haben, wissen wir nun, daß in dieser Familie ein Geheimnis verborgen ist, was für weitere Fortsetzungsromane sorgen wird, wie es schon zur Klärung der Mörder seines Sohnes nötig ist.

 

VERLEUMDET faßt die bisherigen Ansätze zusammen und weist gleichzeitig nach vorne. Thomas Enger wird immer stringenter, sein Held Juul immer sicherer und wir immer gespannter.