bkolzwergSerie: KINDERBÜCHER für kleine und große Menschen, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Noch nie hatten wir von den Leipziger Buchkindern gehört, was man, lernt man diese so ernsthafte wie phantasievolle Unternehmung am Stand kennen, gar nicht fassen kann, denn hier stehen kleine Kunstwerke herum. Jedes Buch hat ein anderes Format, jedes wirkt schon durch die Zeichnungen oder Farben als Unikat, alle sind in der Leipziger Buchmanufaktur handgebunden und haben kleine Auflagen von 10 bis 20 Exemplaren.

bk 2seitenHätte ich ein Kind bei den Leipziger Buchkindern, würde ich die gesamte Auflage aufkaufen und die Bücher meines Kindes dann an alle, die es wert sind, zu den nächsten Geburtstagen verschenken. Wenn man liest, daß im Frühjahr 2021 schon insgesamt 651 Bücher produziert worden sind, kann man erst einmal so richtig ermessen, wie aus einer guten Idee verdammt viel Arbeit wurde, die einen wunderbaren Erfolg brachte, der wiederum archiviert werden muß, was alles vorbildlich geschieht.

bk swAber das sind nur Hintergrundgedanken, denn ich stehe hier am Stand und greife – natürlich – nach dem größten Buch. Aber beileibe nicht, weil es das größte ist, sondern, weil die rein schwarz-weiße Gestaltung mir sofort signalisiert: KUNST! Mein Großvater aus Eibenstock im Erzgebirge, der reichste Mann am Platz, hatte um 1900 in seinem Jugendstilhaus in der Schulstraße 6 in der Oberstadt ein maurisches Zimmer. So ist es familiär überliefert, wo alles in Schwarz-Weiß gestaltet war. Wir denken bei dieser, ja durchaus strengen Farbgestaltung dann eher an Art Deco, wo die Strenge doch etwas aufgehoben ist, aber noch wirkt! Na und der doch reichlich farbige, eigentlich insbesondere lilastichige Jugendstil hatte das mit den Zeichnungen von Aubrey Beardsley, der Oscar Wilde illustrierte ja vorgemacht, wie die Linie in reinem Schwarz-Weiß wirken kann.

Daß der deutsche Holzschnitt mit den Expressionisten auf frühe Modelle zurückgriff, sieht jeder und wer sich damit beschäftigt, weiß auch, warum da die schwarz-weißen Linien durchaus materialgerecht streng sind. Aber die Kinder hier, die arbeiten mit dem Linolschnitt, das kann man an den Bildern erkennen und diese Kinder wissen schon einmal sehr viel mehr als ich!

IMG 4798Ich vertiefe mich in DER DRACHE BESIEGT DIE RITTER, den der damals sechsjährige Jurek erfunden und gestaltet hat. Wie, was ? Sind die Heldengeschichten sonst nicht umgekehrt? Besiegen nicht die Ritter die Drachen, wie es seit dem Heiligen Georg doch Brauch ist. Denn der hat gemäß christlicher Überlieferung doch einst den Drachen erschlagen, der die schöne Prinzessin gefangen hielt. Und da Frauen, erst recht Prinzessinnen auch in alten Zeiten einen hohen Wert besaßen, avancierte dieser Georg zum wichtigsten Heiligen der Ostkirche, aber auch in Rom war und ist er sehr anerkannt und einfach ein Lieblingsmotiv der mittelalterlichen Malerei, schon wegen seiner schimmernden Rüstung und dem attraktiven Pferd, von dem aus er agiert.

Nein, das interessiert Jurek nicht und wenn er diesen roten Klacks auf dem Titel hinhaut, da denke ich sofort an Blut. Also, warum siegt hier der Drache? Weil Kinder realitätstüchtig sind und der Starke siegt – oder weil sie im Herzen zu den Drachen halten? Auf jeden Fall ist Jurek Herr der Geschichte und läßt seinen Drachen Grünbuch in einer richtig gemütlichen Drachenwohnzimmereinrichtung wohnen, wo sogar ein Drachenofen steht. Ja, ja, er hält einen Ritter gefangen, aber was ist das gegen das Drachenei, das gerade ausgebrütet wird, seine Schalen abwirft und wo ein Drachenbaby herausschlüpft, das in Sekundenschnelle – das suggerieren die Bilder – riesengroß wird. Doch dann kommen die Monster...

Pepe, auch sechs Jahre, haben es die Rammautos angetan, die machen, was sie wollen und alles können, zumindest sehr viel: „Sie sammeln Rauch ein, zerschießen Berge, schmelzen Steine, werfen brennende Stacheln oder schießen lila Laser.“ Bilder auf dem Titelblatt braucht er nicht, das große O wird fast IMG 4799zum Strichmännchen. Ida interessiert, „Wie die Sonne ihren Namen bekam“, aber nicht nur die Sonne, auch andere Dinge. Und beim Buch vom Sem, schon wieder sechs Jahre, gefällt einem im Titel ein jeweils fehlendes „E“ und „C“, wenn dort auf neutralem Untergrund grüne Bäume stehen und es heißt: DER GRÜNE WANDERER ENTDEKT DI BUNTEN WÄLDER. Sem hat erst mit Nadel und Faden große Papierbögen zusammengeklammert und mit Nadel und Faden zum Buch zusammengebunden – und erst dann fing er an zu malen und Geschichten zu schreiben. Wie das mit sechs Jahren? Das geht alles, denn schließlich sind die Erwachsenen dazu da, den Kindern zu helfen. So kann Pepe seine ausgedachte Geschichte erzählen und eine Erzieherin schreibt sie nieder, den kinderbucherfahrenen Lesern kommt sie etwas bekannt vor, was kein Problem ist, denn Sem hat ein Lieblingsbuch, das ihn zum Nacherzählen anregt. Und dann die Bilder! Hier geht‘s nicht um Teufel komm raus um Originalität, sondern darum, daß Kinder sich ihre Bücher gestalten.

Die Buchproduktion ist für jeden, der mehr über das Geheimnis des Lesen- und Schreibenlernens weiß, auch deshalb so interessant, weil das eine das andere anregt. Das haben schon in den Siebziger/Achtziger Jahren in den Freien Schulen die Pädagogen mit der notwendigen Geduld erfahren. Geduld, weil die Reifungs- und Lernprozesse zwei unterschiedliche Phänomene sind, soll heißen, bestimmte Fähigkeiten setzen Reifungsprozesse aus, wie als Beispiel die Rechts-Links-Dominanz, also das Auseinanderhalten der beiden Buchstaben: d + b, während die bk olzweig von vorneSchulpädagogik beim Schreiben vom Üben der Buchstaben und Wörter ausgeht. Seit ich jedoch einmal in solch einer Freien Schule miterlebte, wie ein Mädchen in der dritten Jahrgangsstufe, die seit der Einschulung kein Wort geschrieben hatte, bei Geschichten diese der Lehrerin mündlich erzählte, wie dieses Mädchen ohne jegliche Vorübung an einem Tag den Bleistift in die Hand nahm und fehlerfrei und ästhetisch ansprechend die Schreibschrift verwendete, ist mein Weltbild, was kindliches Lernen angeht, sowieso im freien Fall.

Es muß in den Kindern der Wunsch entstehen, etwas können zu wollen und sie entscheiden, wann sie liefern. Hier am Stand wurde kräftig geliefert. Man möchte wirklich jedes der Bücher einpacken und von den Kindern erzählt bekommen, warum und weshalb und dies und das! Aber dazu müßte man nach Leipzig fahren, denn hier werden nur Bücher vorgestellt, nicht Kinder vorgeführt. Und im übrigen ist es Künstlerbrauch, daß das Werk spricht und nicht noch ständig vom Künstler interpretiert werden muß. Halten wir es auch bei den Kleinen so!

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