"Im Kopf des Bruno Schulz" aus dem Verlag Kiepenheuer &Witsch
Helmut Marrat
Hamburg – (Weltexpresso) - Immer wieder gibt es Zeitgenossen, die, das Thema Holocaust betreffend, einen sogenannten Schlußstrich fordern, doch, wäre das überhaupt möglich? Gibt es nicht viel zu viele ungeklärte Fragen? Und sollten die dann unbeantwortet liegenbleiben müssen?
Nun geht jedes Land mit seinen "Albträumen" sehr unterschiedlich um, sei es etwa Frankreich mit dem Algerienkrieg, seien es die USA mit dem Wüten in Vietnam, aber mir ist nicht bekannt, dass man irgendwo einen "Schlußstrich" zu ziehen beabsichtigt. Ob sich Großbritannien eingehender mit seinen Wunden beschäftigt, weiß ich nicht, noch, ob man welche bis heute überhaupt entdeckt hat.
In der Bundesrepublik bemüht man sich jedenfalls seit Jahrzehnten darum, und es mag tatsächlich stimmen, dass dies Juden ermöglicht hat und ermöglicht, hier zu leben.
Der Autor Maxim Biller lebt seit 1970 in der Bundesrepublik. Er wurde als Kind jüdischrussischer Eltern 1958 in Prag geboren, und man darf annehmen, dass die Judenvernichtung, zumindest mittelbar, auch seine Familiengeschichte prägt.
Es ist schon erstaunlich, wie umfangreich Billers literarisches Schaffen ist, obschon er doch erst Mitte 50 ist, und obwohl er erlebte, was für einen Schriftsteller sicherlich mit zum Schlimmeren gehört: Einer seiner Romane ("Esra") darf bis heute nicht vertrieben werden. Er soll die Persönlichkeitsrechte zweier Menschen verletzt haben, und das wird höher bewertet als das Recht schriftstellerischer Freiheit.
Bruno Schulz, in dessen Kopf sich Biller aufmacht, gab es tatsächlich. Aber weil sich Biller in ihn hineindenkt und weil er ihm einen Schreibversuch an den bewunderten und wohl auch beneideten Kollegen Thomas Mann erfindet, ist es, trotz aller biografischen Übereinstimmung, ein Roman und keine Biografie.
Wer war Bruno Schulz? Ein polnisch-jüdischer Schriftsteller, Grafiker und Zeichner, von, wie es hieß, großer Begabung, der tatsächlich in jener Stadt mit dem beinah unaussprechbaren Namen Drohobycz lebte. .
Biller liefert eine Novelle .. .Eine Novelle folgt bestimmten Gesetzen, und unter anderem sollte sie auf ein Ziel hinführen, also auf einen "Höhepunkt". Das tut Billers Erzählung. Man kann sagen, er geht diesen Weg geradezu leichtfüßig, wodurch es ihm gelingt, eine beachtliche Erzählung vorzulegen. Was ist das Ziel? Es ist der drohende und von Schulz längst befürchtete Einfall der Deutschen in Rußland, und, auch in seinem Fall, der todbringende. Bruno Schulz übrigens starb in keinem KZ, er wurde auf offener Straße von einem Gestapo-Mann erschossen. Das war 1942.
Billers Erzählung spielt im Jahre 1938, also auf einem der Höhepunkte hitlerscher Macht. Man hielt damals alles für möglich. Und lag man da so falsch?
Info:
Maxim Biller: "Im Kopf des Bruno Schulz" Verlag Kiepenheuer &Witsch, 2013
Helmut Marrat