Begleitband zur Ausstellung im Vonderau Museum Fulda, Teil 2//2
Klaus Hagert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In den Folgeartikeln wird Hessen als Labor der Demokratie bezeichnet und die Amerikaner als Geburtshelfer. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und könnte zum Lebensgefühl eines Neuhessen durchaus meinen Teil beitragen. Denn wir Kinder haben uns sofort als Hessen gefühlt, wir wußten ja nicht, daß wir erst ‚neugebildet‘ wurden. Wir sind gleich mit einer hessischen Identität aufgewachsen. Wer weiß denn noch, daß das Schlagwort HESSEN VORN nicht nur ein Wort, sondern gesellschaftliche Realität war.
Wenn es im Band im nächsten Kapitel heißt BESETZUNG. DIE AMERIKANER KOMMEN ALS SIEGER, so waren wir Kinder damit einverstanden, denn die Amerikaner, die wir im einzigen deutschen Haus in einer durch Amerikaner besetzten Häuserreihe in Frankfurt kennenlernten, Offiziere mit Familien, waren kinderlieb, gaben uns viel Schokolade und nahmen uns mit ins benachbarte PX (heute Polizeipräsidium), was für uns wie Schlaraffenland war. Hershey-Schokolade usw.
Aber das sind persönliche Erinnerungen, der Band bringt die geschichtlichen Verläufe, wann die Amis, wie wir sagten, als Sieger, Besatzer oder Befreier in die verschiedenen Landesteile kamen. Gerade, wenn man sich – naja, nicht daran,aber doch zehn Jahre später – an die Zeit erinnert, tut diese objektivierende Lektüre gut. Und begeistert lesen wir den Reprint so vieler deutscher Zeitungen von damals. Unmöglich, das alles nun an die Leser zu transportieren, was dann über das Zusammenspiel von amerikanischen und deutschen Behörden berichtet wird. Sie finden auch, ganz wichtig, Auslassungen über die Menschen, die sich beim demokratischen Aufbau Hessens und dem Aufbau der Demokratie in Hessen, das sind Zweierlei, hervortaten. Nie hatte ich von Leopold Bauer gehört, der als KPD-Mitglied und Verfolgter des Naziregimes intensiv bei der Demokratisierung mitarbeitete, dann aber sein Mandat 1949 niederlegte und in die DDR übersiedelte. Da wünscht man sich sofort Studenten der Zeitgeschichte, die so ein Leben in eine Uni-Abschlußarbeit aufarbeiten. Was man hier liest, ist filmreif und doch ein Leben: 1952 wird Bauer in der DDR von einem sowjetischen Militärgericht als US-Spion zum Tode verurteilt, stattdessen erhält er 25 Jahre Lagerhaft in Sibirien, 1955 schiebt ihn die DDR in die BRD ab. Bis zu seinemTode arbeitet er als Journalist u.a. für den ‚Stern‘ und die SPD. Unglaublich.
Vermissen tue ich auf Anhieb nur den Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Stimmt, der kam auf Betreiben des Hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn erst 1956 nach Hessen, aber die von ihm bewirkten Auschwitzprozesse setzten für die Jugend die Forderung und Förderung demokratischen Lebens stärker in Gang als es jede Verfassung kann. Außerdem finden sich ja auch am Schluß noch Bilder vom gegenwärtigen Ministerpräsidenten von 2011 zur Schuldenbremse. Also echt: Bauer fehlt in diesem sehr aufschlußreichen Begleitband zu einer Ausstellung, die vorbei ist, aber zu einem Leben in Hessen, das weitergeht.
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Info:
Als die Demokratie zurückkam, 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda, Begleitband zur Ausstellung im Vonderau Museum Fulda, Michael Imhof Verlag 2021
ISBN 978 3 7319 1152 4