Berliner historische Krimis von Susanne Goga, erschienen bei dtv
Elisabeth Römer
Berlin (Weltexpresso) – Es ?????? zu nennen, wäre etwas zu bombastisch, auf Neudeutsch nennt man es ein gutes Timing und eigentlich liegt uns Koinzidenz am meisten. Auf jeden Fall paßt der neue Krimi MORD IN BABELSBERG zur Berlinale wie die Faust aufs Auge. Was glauben Sie, wie begeistert die ausländischen Regisseure von den Filmstudios Babelsberg sprechen.
MONUMENTS MEN wurde dort gedreht und auch DIE SCHÖNE UND DAS BIEST und die Worte des französischen Regisseurs hängen einem noch nach, wenn er von der dortigen einzigartigen Atmosphäre spricht in Erinnerung an all die Wunderwerke der Filmkunst der Zwanziger Jahre, der Stummfilmzeit. Und genau davon handelt der neue Krimi von Susanne Goga, der uns so gut gefiel, daß wir uns gleich den Vorgänger DIE TOTE VON CHARLOTTENBURG. Ein Fall für Leo Wechsler auch noch reinzogen, wobei wir eigentlich mit den beiden ersten, mit LEO BERLIN und TOD IN BLAU hätten beginnen müssen, die beide 1922 spielen. Bei der TOTEN VON CHARLOTTENBURG sind wir im Jahr 1923 und in MORD IN BABELSBERG im Jahr 1926 angelangt.
Dies ist also der vierte Kriminalroman um den Berliner Kriminalkommissar Leo Wechsler, der einen Hang zur Melancholie hat, was auch seinem Leben geschuldet ist und dem frühen Tod seiner Frau. Längst aber hat er in Clara eine neue Gefährtin und zwischen dem 3. und 4. Krimi ist sie auch seine Frau geworden, die sich trotz ihrer Vollzeitbeschäftigung als Leiterin einer Bibliothek um seine beiden Kinder kümmert, was zuvor Ilse, seine herbe Schwester tat, die jetzt bei einer Ärztin arbeitet und ganz neue Züge entwickelt.
Waren es bei der TOTEN IN CHARLOTTENBURG vor allem die fachlichen Hintergründe von Pflanzengiften und die geschichtlichen von Frauenrechtlerinnen, so geht es bei MORD IN BABELSBERG um die bessere Gesellschaft und denen, die in sie hineindrängen. Der erste Mord geschieht nämlich in einer guten Wohngegend in Kreuzberg. Dort trifft es eine elegante Lebedame, die zudem, wie es das Schicksal oder die Romanautorin so will, vor Jahren locker mit Leo Wechsler liiert war, jetzt aber aus solchen Verhältnissen ein Geschäft macht. Machte, muß man deutlich sagen, denn sie ist tot und auf so merkwürdige wie sinnfällige Art gemordet worden, mit einer roten Glasscherbe nämlich.
Während Leo Wechsler und sein Team – ach ja, wichtig ist, daß der grundsolide, kreative und berühmte Ernst Gennat – eine wirkliche historische Figur - ab 1926 die „Zentrale Mordinspektion“ im Polizeipräsidium am Alexanderplatz leitet, wo er für Leo Wechsler als Leiter und dessen bewährte Mitarbeiter Walther und Sonnenschein eine Abteilung Reserve A 1 einrichtet – noch an diesem Fall arbeiten, der sich dadurch auszeichnet, daß man nichts weiß, nichts hört, keine Indizien hat und im Nebel stochert, während also noch jegliche Orientierung fehlt, wer der Schönen und Reichen ans Leben wollte, passiert der nächste Mord.
Und zwar in Babelsberg, wo wir in der Villa des hochbegabten Regisseurs Viktor König den zweiten Toten finden, ebenfalls mit einer roten Glasscherbe erstochen. Leider ist der Tote der Hausherr, was wir deshalb so bedauern, weil von seinen Regiekünsten gerade die Premiere seines Films kündete und von ihm noch viele gute Filme zu erwarten gewesen wären. Das finden wir eine tolle Idee der Susanne Goga, diese Glanzzeit des Deutschen Films im Krimi als eigentlichen Hintergrund eine Rolle spielen zu lassen, denn das Jahr 1926, in dem dieser Krimi spielt, war beispielsweise das Produktionsjahr von METROPOLIS, womit Fritz Lang und seine Schauspieler weltberühmt wurden. Was wenige wissen und was mit dem Genre Krimis auf jeden Fall zu tun hat, ist, daß Alfred Hitchcock in Babelsberg 1924/25 seinen ersten Film drehte und später schwärmte: „Alles, was ich über das Filmemachen wissen mußte, habe ich in Babelsberg gelernt.“ Aber zurück zum toten Viktor König, der nichts mehr lernen kann.
Der hat - als wir ihn noch lebendig kennenlernen - eine Nervensäge als Frau. Elly. Das wenigstens ist unsere Meinung. Er allerdings behandelt sie durchaus lieb, aber er „behandelt“ sie eben, wo er es doch ihrem Geld verdankt, daß er diese teuren Filme drehen kann, denn Babelsberg ist das BABEL der neuen Filmindustrie und von Anfang an die technisch perfekteste Produktionsstätte, zudem das größte Filmstudio Europa. Auch heute noch, übrigens. Die Autorin hat gut recherchiert und die Hysterie und Gier wiedergegeben, die Geschäftsleute damals im Filmgeschäft sahen.
Sie hat aber auch die künstlerischen Absichten gut wiedergegeben und damit Viktor König ein Denkmal gesetzt, der zur rechten Zeit wußte, wie man echte Gefühle auf die Leinwand bringt. Die Szenen mit seinen Stars Rudolf von Hagen, der längst in Hollywood Karriere macht, und der noch jungen und wahnsinnig talentierten, auch moralisch integren Carla Vasary, die dennoch zum Eifersuchtszipfel für die untalentierte mollige Madame König wird, werden in der pathetischen Weise beschrieben, die die Stummfilme so einzig macht.
Damit ist das Szenario längst nicht abgesteckt, in dem die Mördersuche vom unbeugsamen Leo Wechsler stattfindet. Mit ihm machen wir peinliche Visiten bei hohen Herren der Politik, hier einem Abgeordneten und hohen Staatsbeamten, der auf Grund der Polizeiergebnisse seinen Hut nehmen muß und auf ein Strafverfahren warten darf. Aber nein, der Mörder ist er nicht, denn der gute Viktor König kam noch auf ganz andere Ideen, wie er seine Leidenschaft für gute, aber teure Filme durch schlechte finanzieren kann.
Doch da sind wir schon mitten im Gestrüpp der Aufklärung der Morde, die für den Leser natürlich jetzt noch ein Geheimnis bleiben sollen. Uns haben diese Kriminalromane richtig gut gefallen, weil sie uns das gesellschaftliche Umfeld der damaligen Zeit vor Augen führen. Nur, liebe Autorin, es langt nicht, die korrupten Verhältnisse eine Rolle spielen zu lassen und Sozialkritik daran zu üben, wie verderblich das Handeln der Reichen, Unschönen und Mächtigen ist. Wenn dann am Ende immer wieder der kleine Mann, die auch eine Frau sein darf, der Schuldige wird, also private Gefühle die Morde auslösen, dann bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Wir hätten als Täter auch gerne einmal ein hohes Tier!
INFO:
Susanne Goga, DIE TOTE VON CHARLOTTENBURG. Ein Fall für Leo Wechsler, dtv 2012
Susanne Goga, MORD IN BABELSBERG. Ein Fall für Leo Wechsler, dtv 2014