Ganz neu: Arne Dahl, NEID, Piperverlag und Osterwold Audio, Teil 1
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) - „Gerade sitze ich an einem Krimi“, erzählt die Nebenfigur Janne auf Seite 364 und lachte laut: „Es gibt kein geeigneteres Genre, um von der Kulturelite verachtet zu werden.“ Wenn das mal kein 'Fishing for Compliments ist', Meister Arne Dahl, der nach GIER und Zorn mit NEID den dritten Opcop-Thriller vorlegt.
Hochachtung allein vor der schriftstellerischen Idee, in einem zusammenwachsenden Europa diese europäische Sondergruppe, eine Euro-Polizei-Elite, literarisch zu einer Zeit ins Leben zu rufen, wo dies Europa erst in den Anfängen steckt. Wirklich eine Sache, die man erfinden müßte, hätte dies Arne Dahl nicht so frühzeitig schon getan. Seine Idee war für ihn der Ausweg , nach der zehnteiligen so erfolgreichen Serie um die Stockholmer Sonderermittlergruppe A, mit demselben Personal auf europäischer Ebene weiterzumachen, weiterzuschreiben und auf dieser Ebene auch ganz neue und internationale Fälle möglich zum machen, denn der Chef von Stockholm, Paul Hjelm, wurde zum Chef dieser neuen geheimen Gruppe und bringt einige Kollegen nach Den Haag mit, während seine Lebensgefährtin Kerstin Holm in Stockholm die Stellung hält, aber dauernd – wie auch hier – zu Besuch ist und am Schluß den rettenden Schuß abgibt.
Wenn wir es uns recht überlegen, ist sogar die gegenwärtige politische Struktur Europas für verbrecherische Vorhaben viel geeigneter, als wenn ein Europa in geordneten Bahnen liefe. Dies bewahrheitet sich auf jeden Fall in diesem Krimi, wo es als Hauptstrang um eine französische EU-Kommissarin für Umwelt geht, die auf der Rückfahrt von Berlin mit dem eigenen Auto angesichts eines dramatischen Autounfalls auf Deutschlands gefährlichster Autobahn, der A 2 zwischen Helmstedt und Peine, ein Aha-Erlebnis hat, dem sie politisch Flügel verleiht, was sie zur Todeskandidatin macht.
Sie hatte nämlich inmitten der Massenkarambolage, wo die Autos in Flammen aufgingen, einsam und heil ein kleines weißes Auto erkannt, ein Elektroauto und wußte spontan, das ist es, was Europas Straßen brauchen. Wer sollte dagegen sein? Auf jeden Fall die Mineralölindustrie und diejenigen, die von ihr abschöpfen. Damit sind die Gegner bekannt. Aber was werden diese tun, welche Gegenstrategie wählen und wer muß glauben? Als Erstes derjenige, der im Geheimverfahren für diese Kommissarin die wissenschaftliche Forschung vorantreibt in Richtung eines Volkselektroautos, das deshalb so genannt werden kann, weil diesem Forscherteam in Schweden die Lösung des bisherigen Hauptproblems von E-Autos gelungen ist, weshalb es noch nicht massentauglich werden konnte, nämlich wie man sinnvoll und schnell die Batterie auflädt.
Wir haben also einen Wirtschaftskrimi, einen Europakrimi, einen Blindenkrimi, einen Wissenschaftskrimi, einen Chinesenkrimi und einen um die Roma, hauptsächlich aus Rumänien, denen es egal ist, ob sie Zigeuner oder fahrendes Volk genannt werden, so lange man sie nicht aus ihrer jeweiligen Heimat abschiebt, was der vorherige französische Staatspräsident gemacht hatte, weshalb sie, die Französin auf der EU-Ebene – sich derb mit ihm anlegte und neue gefährliche Feinde hinzugewann.
Schon an diesem Beispiel sieht man, wie schnell Arne Dahl gerade stattgefundene Ereignisse, zu denen im Roman weitere kommen, in einem 510 Seiten starken Kriminalroman zusammenbindet. Der Leser muß schon aufmerksam bleiben bei den vielen Standorten quer durch Europa – die Niederlande mit vielen Schauplätzen, Zentrale ist Den Haag, auch in Schweden mehrere, Berlin wird auch aufgesucht und natürlich bleibt Brüssel zentral, aber auch Griechenland spielt eine Rolle, wo einer der ehemaligen Ermittler wieder tätig wird, sehr erfolgreich zudem, selbst Ungarn ist Zielort und von Italien hört man Schlimmes. Was einem beim Lesen auffällt, ist etwas vom Autor sicher nicht Gewolltes: dieses politische und administrative Europapersonal gehört nicht an den westlichen Rand Europas, sondern in seine Mitte. Historisch gewachsen im Antikommunismus, hätte ein geeintes Europa EU heute ganz andere Standorte nötig als Den Haag, Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Das nur nebenbei. Fortsetzung folgt.
Zum Buch und Hörbuch:
Wir haben wieder einmal Lesen und Hören gemixt, je nach Gelegenheit und haben dann beim Lesen doch gestaunt, daß wir Passagen überhört hatten, was aber beim Nachhören gar nicht der Fall war, weil die 8 CDs mit der Laufzeit von 600 Minuten dennoch eine gekürzte Fassung des Buches sind. Wolfram Koch, der vom Frankfurter Schauspiel kommt und heute als freier Schauspieler auf verschiedenen Bühnen wirkt, und der der neue Frankfurter Tatortkommissar wird, hatte schon GIER und ZORN gelesen. Er macht auch in NEID seine Sache so gut, daß man beim Hören nicht weiter nachdenkt, sondern sich voll auf die gelesene Inhalte und die in seiner Stimme zum Ausdruck kommende zusätzliche Information verläßt.
Arne Dahl, Neid, Piperverlag 2014, 510 Seiten, ISBN: 978-3-49205537-6
Arne Dahl, Neid, Osterwold Audio, gekürzte Lesung, 8 CDs, Laufzeit 600 Minuten
ISBN: 978-3-86952-198-5, Erscheinungsdatum: 17. Februar 2014
LESEREISE:
14. März 2014, 20 Uhr: Autorenlesung und Gespräch, Evangelisch-Stiftisches-Gymnasium, 33330 Gütersloh
15.März 2014, 19 Uhr: Autorenlesung und Gespräch im Rahmen von Leipzig Liest, LVZ-Kriminacht, LVZ-Kuppelhalle Leipzig
20. März 2014, 19.30 Uhr: Autorenlesung und Gespräch im Rahmen der Stuttgarter Kriminächte, Ebner Stolz (Kronenstr. 30), 70174 Stuttgart