Lisbeth 4849"Lisbeth- mein Weg" von Jörg Sielaff

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - Jörg Sielaff (81) hat ein neues Buch geschrieben. Auf die Frage, ob er mit seinem dritten Werk nun auf dem Weg zum Schriftsteller sei, antwortet er bescheiden: „Nee, nee, ich sehe mich eher als Autor.“ Doch „Lisbeth - mein Weg“, das Buch das wir vorstellen, ist ein spannend verfasstes Zeitbild mit literarischer Qualität.

In Ich-Form beschreibt Sielaff das Leben von Lisbeth, die in den 1930er-Jahren in Pommern aufwächst, einem Soldaten nach Berlin folgt und dort bleiben möchte, auch als die Liebe vorbei ist. Mit Hilfe ihres Onkels, später auch mit Unterstützung eines Kneipenbesitzers, schlägt sie sich tapfer durch den Großstadtdschungel im aufziehenden Nationalsozialismus. Sie lernt den katholischen Leo kennen, der erst nach der Hochzeit mit ihr Sex haben darf und will. Also heiratet sie ihn...

„Nach der gemeinsamen Vereinigung in der letzten Nacht, kam mir der Gedanke, wer nie das Glück hatte, bewusst körperlich zu lieben und auch geliebt zu werden, der ist wohl am Leben einfach vorbeigegangen.“


...Nach Ausbruch des Krieges wird Leo eingezogen und Lisbeth während eines Heimaturlaubs schwanger, zur Sicherheit geht sie wieder nach Pommern zurück. Dort arbeitet sie hart in der Landwirtschaft und steht ihren Mann. Sie bringt einen Sohn zur Welt, doch zum Kriegsende stirbt der zweijährige Wilfried, sie muss mit ihrer Familie vor den anrückenden Polen und Russen fliehen. Zwischen den brutalen Kämpfern beider Nationen wird sie fast zerrieben, erstaunlicherweise helfen ihr gerade ein sowjetischer Major und eine Ärztin, deren Angehörige von Deutschen ermordet wurden. Ihre abenteuerliche Flucht führt sie am Ende in ein Dorf nach Niedersachen.

Als Leo aus der Gefangenschaft zurückkehrt, kann er mit der Autonomie seiner Frau nicht umgehen, dennoch bleiben die beiden „als Zweckgemeinschaft“ zusammen. In den 1950er-Jahren war es in Westdeutschland undenkbar, sich scheiden zu lassen. Beide bekommen sogar noch eine Tochter, Margitta, die heute Jörg Sielaffs Frau ist. Diese filmreife aber wahre Geschichte ihrer Mutter, die 1990 starb, spielte eine große Rolle in der Familie. Durch zahlreiche Gespräche mit Verwandten, „erzähl doch mal von Lisbeth“, und zwei Reisen der Sielaffs nach Pommern kam ein umfassendes Lebensbild dieser mutigen Frau zustande. Schon länger wollte der Autor ihre Abenteuer aufschreiben, aber erst als er die Idee hatte, das als Lisbeth zu tun, konnte er loslegen.

Das Hineinversetzen in eine Frau fand er nicht schwer, möglicherweise durch sein enges Verhältnis zur verwitweten Mutter: „Bereits mit neun, zehn, elf Jahren war ich immer ihr Ansprechpartner. Doch ich war selbst überrascht wie gut es funktionierte, in die Figur hineinzuwachsen.“ Margitta Sielaff, die geduldige Überarbeiterin seines Textes meint: „Das ist so geschrieben als würde meine Mutter es erzählen.“

KN Lisbeth Cover
Die üblen Lebensbedingungen für Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden sinnlich erfahrbar. Ebenso die Entwicklung der weiblichen Stärke als die Männer im Krieg waren und die Konflikte die daraus entstanden, als die Geschlagenen zurückkamen. Hochaktuell sind die Fluchtgeschichten auch durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Jedoch der Humor kommt in dem Buch nicht zu kurz, Lisbeths Weg ist keine Tristesse.

Sielaff fantasiert oder dichtet nichts zum Leben seiner Schwiegermutter hinzu. Dennoch ist der Text mehr als Oral History , wie seine ersten beiden Schriften. Er changiert zwischen Lebensbericht und Erzählung, manchmal kann man die komischen oder abenteuerlichen Geschichten kaum glauben. Das lesenswerte Buch wird zur Literatur durch die Form, die eindrücklich beschriebene Atmosphäre und die angemessene Sprache.

Hoffentlich laden regionale Buchhandlungen den Autor bald zu Lesungen ein.


Foto:

(c) Hanswerner Kruse: Jörg und Margitta Sielaff

Info:
Jörg Sielaff „Lisbeth - mein Weg“, 250 Seiten, broschiert, BoD-Verlag, ISBN 978 375 571 5283
13 Euro

Zur Person:

Mitte der 170er-Jahre kam Jörg Sielaff „wehmütig“ von Berlin nach Hessen, weil es dort kaum Arbeitsmöglichkeiten für Architekten gab. Für die Hessen-Agentur arbeitete er ein Vierteljahrhundert an der Stadtentwicklung von Stadtallendorf und Sanierungen in Hessisch Lichtenau, Schlüchtern und Gelnhausen. 2001 machte er sich als Kommunalberater selbständig. Über diese Jahre schrieb er sein zweites Buch „Geschichten aus der Provinz.“
Siehe hier 
Spät kam Sielaff noch zur Politik, trat bei der Bürgermeisterwahl 1998 in Schlüchtern an und bekam 22% der Stimmen. Von 2006 bis 2013 delegierten ihn die Grünen in den Schlüchterner Magistrat. Kulturell war er schon immer interessiert und engagiert, beispielsweise seit 2010 im KulturWerk. In seinem ersten Buch setzte er sich mit seinem Vater auseinander: „Gespräch mit  meinem vermissten Vater.“