Elisabeth de Waal, Donnerstags bei Kanakis, Buch im Zsolnay Verlag, Audio CDs bei Hörbuch Hamburg, Teil 1

 

Anna von Stillmark

 

München (Weltexpresso) – Würde auf den Umschlagseiten nicht eindeutig stehen: „Wien, Anfang der 1950er Jahre“, so hätten wir beim Lesen und Hören des Romans sozusagen automatisch an die Zeit nach 1900 gedacht, also die Personen nicht einmal nach dem ersten Weltkrieg vermutet, erst recht nicht nach dem Zweiten.

 

Das bezieht sich allerdings rein auf die Personen, ihre Beschreibung, ihre Gefühle und Handlungen und auch den Umgang der Geschlechter miteinander. Das bezieht sich auch darauf, daß so selbstverständlich von Adel die Rede ist, von 'altem Adel' sogar, wo der Adel in Österreich doch nach mit dem 3. April 1919 die Aufhebung per Gesetz beschlossen wurde. Damit wurde untersagt, das Recht zur Führung des Adelszeichens, das Recht, sich Edler, Durchlaucht oder Hoheit anreden zu lassen, aber eben auch adelige Standesbezeichnungen wie Ritter, Freiherr, Graf und Fürst. Letzteres kommt im Roman aus den 50er Jahren, der erst 2013 auf Englisch erschien, gehäuft vor.

 

Übrigens spricht das Gesetz auch von Strafen bei Übertretungen nach diesem Gesetz, das sind sogenannte Verwaltungsübertretungen, die damals Geldstrafen von bis zu 20 000 Kronen oder Arrest bis zu sechs Monaten kosteten, was nach einigen Novellen des Gesetztes, die letzte Änderung am 1. Januar 2008, erst die Summe von 4 000 Schillingen und heute rund 290 Euro bedeutet. Warum wir das bringen? Weil uns der Roman, den wir nicht ohne Rührung und Anteilnahme lasen, wie aus einer fernen Zeit vorkommt. Dazu gleich mehr.

 

Die 50er Jahre in Wien, dazu gehört noch der 1949 nach Graham Greene entstandene DER DRITTE MANN von Carol Reed mit dem verführerischen ins Verbrechen abgeglittenen Harry Lime, dessen Verkörperung durch Orson Welles einem unvergessen ist. Dazu gehören auch die vielen kleinen Kabaretts: Bronner, Kreisler, Qualtinger u.a., die frech und direkt gesellschaftliche Schieflagen auf die Bühne und damit in die Öffentlichkeit brachten, was im Roman sogar eine Rolle spielt, daß die jungen Leute abends das Kabarett besuchen. Aber nun wollen wir nicht drumherumreden, denn schon auf den ersten Seiten weiß man genau, daß es um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geht, in den Fünfzigern, aber es beginnt auf jeden Fall noch vor dem 15. Mai 1955, als der Staatsvertrag Österreich zu einem geeinten neutralen und unabhängigen Staat machte.

 

Wir kehren mit Professor Adler aus dem Exil nach Hause, nach Wien zurück. Er kommt aus New York, wo seine Frau, eine erfolgreiche Unterwäscheunternehmerin, eine Corsetière, eine Korsettmacherin, auch bleiben will und bleibt, während wir seine Bedenken, wie er Wien erleben wird, wie es ihm gehen wird, auf der Zugfahrt durch die Schweiz miterleben.Und gut verstehen. Sollte er besser hierbleiben und nicht nach Wien zurückkehren? Der Zug fährt und er kommt an und trifft auf Unverständnis, nachgereichten Antisemitismus genauso wie auf ein freundliches Willkommen. Elisabeth de Waal, die keine erfahrene und schon gar keine routinierte Schreiberin ist, drückt das in der abendlichen Einladung eines alten Kollegen sehr angemessen aus.

 

Hallo, da ist Kuno Adler – ja, Adler – wieder da aus Amerika. Bist Du es, Hermann?“ Und dann die Begeisterung, das beklemmende Gefühl, die Antwort zu hören: „Kuno? Bist das wirklich du? Wie wunderbar! Bist also wieder da! Das sind ja herrliche Neuigkeiten. Du musst uns besuchen kommen, du und deine Frau. Oh, deine Frau ist nicht mit? Na ja, es war sicher besser, dass in in New York geblieben ist, bis du siehst, wie sich die Dinge hier entwickeln“ ( S.57) Und dann am Sonntagabend. „'Kuno, alter Freund, wie schön, dich zu sehen! Komm rein, komm rein, lass dich anschauen!' Einen Moment standen die beiden Männer da, sahen einander an und wußten nicht, was sie sagen sollten. Helblings rötlicher Bart war grau gesprenkelt; Adlers schwarze Haare waren von den Schläfen zurückgewichen und mit Silberfäden durchzogen. 'Du hast zugenommen!' - 'Du siehst kaum einen Tag älter aus!'-'Aber geh, das stimmt nicht.'...“

 

Zuerst verlebt Kuno Adler einen angenehmen Abend, doch: „Je weiter der abend fortschritt, desto deutlicher meldete sich der anfänglich nagende Zweifel wieder ins Adlers Unterbewusstsein.“ Er fürchtet nämlich, daß sein alter Freund und Gastgeber nicht ehrlich ist und ihm deucht: „dass die Helblings bei all ihrer Freundlichkeit eigentlich nicht das geringste Interesse an ihm gezeigt hatten.“ Das nun allerdings ist das Grundmotto des Buches, wenn man die Geschichten in der Geschichte verfolgt. Irgendwie interessieren sich die Leute gar nicht füreinander, sie spielen ihre Rollen und nur der Dritte im Bunde der Heimkehrer, besagter Theophil Kanakis, ein Schwerreicher, bei dem die Donnerstagsrunde aus Künstlern, jungem Adel, Zeitungsleuten, Schauspielern sich vergnügt, handelt aus Verantwortung, aber auch aus der Lust heraus, ein deus ex machina sein zu können. Hybris ist ein Kennzeichen der Zeit, in der am Neubeginn eines Staates noch alles möglich scheint, in der in diesem Roman aber die Leute von gestern ihre Rollen spielen. Fortsetzung folgt.

 

 

INFO:

 

Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis, Paul Zsolnay Verlag, Wien, 336 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-552-05672-5.

 

Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis, Gekürzte Lesung, 5 CDs, 370 Minuten, gelesen von Hanns Zischler, Hörbuch Hamburg