„Einschluss mit Engeln“ von Helene und Wolfgang Beltracchi im Rowohlt Verlag
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, wir können nach dem Lesen seiner Autobiographie einfach nicht die Energie aufbringen, die man braucht, um einen Wolfgang Beltracchi als Kunstfälscher hassen und als bösartigen Betrüger verurteilen zu können, der seinerseits alle kriminelle Energie der Welt hatte, um „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“ zu begehen, der ihm 20 bis 50 Millionen Euro einbrachte.
Wobei das eine derartige Spanne ist, die 20-50 Millionen, das man wieder stutzig wird, wie die Ermittler darauf kommen und warum sie das nicht genauer sagen können. Weil die meisten der über 300 gefälschten Bilder (wie viel es wirklich sind, weiß nur der Wind, im Prozeß ging es nur um 14!!!), noch in den privaten Kunstgalerien hängen oder nach wie vor bei den Auktionshäusern gelagert sind. Denn, auch darum erfährt man aus den Büchern dann doch viele Details, beide Beltracchis hatten nie an private Sammler verkauft, sondern immer nur über den Kunsthandel, dem sie neben den Bildern gefälschte Expertisen zukommen ließen.
Ziemlich durchsichtig das Ganze, aber erfolgreich und so konnte man nach der Eheschließung mit Helene auch das Wachsen der Familie und des Familienvermögens einschließlich des Grundbesitzes in Freiburg verfolgen und des luxuriösen Ausbaus des Hauses in Südfrankreich. Helene wurde zur Komplizin, was den Vertrieb der Fälschungen angeht. Und zwar in großem Stil mit Verkleiden und als eigene Großmutter in den 60er Jahren fotografiert, mit dem jüngst gefälschten Bild an der Wand. Aber genug der Fälschungen und auch der Vermarktungen eines Ehepaares, als das man beide Bücher bezeichnen kann.
Dennoch, dieses Buch, das aus Briefen besteht, die sich die in Untersuchungshaft genommenen Wolfgang und Helene gegenseitig schreiben, ist einfach mehr als nur ein Werbetrick oder Werbegag oder sonst was. Nie hätten wir uns auf drei Artikel über Film und zwei Bücher über ein Fälscherehepaar eingelassen, wenn nicht ein emotionaler Faktor hinzuträte, der einen sprachlos macht und gleichzeitig neugierig, wie es zwei Menschen schaffen, durch solche, dazu noch selbst herbeigeführten Lebenskrisen als Paar gestärkt hervorzutreten.
Daß die fast 500 Seiten gegenseitigen Gefängnisbriefe vom 31. August 20109 bis zum 27. 10. 2011 nicht auf eine Veröffentlichung hin geschrieben worden sind, glauben wir sofort und obwohl nichts darüber gesagt wird, wären wir auch mit einer Überarbeitung des Geschriebenen einverstanden gewesen und sicher sind auch Streichungen vorgenommen worden. Und dennoch strömt aus den vielen Worten und den vielen vielen Seiten eine gegenseitige Liebe und Anteilnahme, die just das Gegenteil dessen ist, was man sich als geschicktes Fälscherehepaar vorstellt.
Diesen Eindruck hatte schon der Film vermittelt, daß hier zwei Leute aufeinandertrafen, die sich einschließlich der beiden Kinder, die ganze Welt sind. Daß sozusagen die Trennungslinie zwischen diesen vier und der Welt verläuft. Sie ist „Mein Engel“, er ist „Hallo, mein Schatz“ oder meist „Mein lieber Muck“. Es wird vom Alltag in der Zelle berichtet, den anderen Häftlingen, die ersten Möglichkeiten wieder zu zeichnen, der eine hat Materialüberfluß, sie Papierknappheit, es ist viel Alltag in den Zeilen, aber dazwischen Liebe, Fürsorge, Sorge, Liebe. Das ist schon beeindruckend.
Aber es ist nichts, was sich länger zitieren ließe. Darum geht es auch nicht. Und sei es noch so vermarktend für zwei, die jetzt mit dem Autorenhonorar eine Menge Schulden abzuzahlen haben, und mit ihren Briefen aus dem Gefängnis kaum einen Ruf wiederherstellen können, den sie als öffentliche Reputation verloren haben, dennoch spricht so viel gegenseitiger Glauben, so viel Hoffnung auf ein Leben nach dem Gefängnis aus diesem Briefkonvolut, das ja mit dem Urteil für ihn von sechs Jahren und für sie von vier Jahren überschaubar bleibt.
Erstaunlich bleibt beim Lesen, daß einem das Geseiere, würde man sonst sagen, nicht über wird. Beiden gelingt es, dies Gefühl von Isolation in der Zelle, beim Schreiben an den Partner auch uns mitzuteilen. Ganz und gar nicht wehleidig übrigens. Vielleicht ist genau dies der Grund, warum man soviel Worte von Zweien, die so viel Mist angerichtet haben, lesen kann. Wobei alles durcheinander geht. Die großen Dramen und die kleinen. Aber das ist wia im richtigen Leben, warum sollte es da wia im Gefängnis anders sein.
Auf der Rückseite des Schutzumschlages lesen wir gerade „Weil zwei Menschen einander fehlen, fangen sie an, einander zu schreiben...Gar alles wird gesteigert durch die Haft, die Isolation, die Einsamkeit. Auch die Liebe. Wir erleben die Geburt der Literatur aus dem Geist der Einsamkeit“. So wird Martin Walser zitiert und uns fällt es wie Schuppen von den Augen: „Genau, genau!“ Schon im Film BELTRACCHI sahen wir ein Paar, das uns bekannt vorkam, wir lasen zwei Bücher von ihnen und lasen immer etwas anderes mit: es war die Liebesfähigkeit einer Susi Gern, wie Walser sie nach einer wahren Geschichte im DER LEBENSLAUF DER LIEBE beschrieben hat.
Ach, diese Beltracchigeschichte von Liebe und Kriminalität, das wäre auch ein wunderbarer Stoff für Martin Walser gewesen. Aber so haben die Zwei ihr Leben durchgezogen, ohne die Literatur zu fragen, und wir bleiben erstaunt zurück.
INFO:
Heute, am 6. März läuft der Film von Arne Birkenstock BELTRACCHI – DIE KUNST DER FÄLSCHUNG an. In unserer Filmkritik finden sich viele Passagen, die sich auch auf die gewonnenen Eindrücke in beiden Büchern beziehen, in der Rezension jedoch nicht wiederholt werden sollen, weshalb die Filmkritik Teil der Buchbesprechungen ist und umgekehrt.
Schon vor dem Film sind im Januar im Rowohlt Verlag diese beiden Bücher des Ehepaares erschienen
Helene und Wolfgang Beltracchi, Selbstporträt, Rowohlt Verlag 2014
Helene und Wolfgang Beltracchi, Einschluss mit Engeln