KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für März 2014

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hält sich ja in Grenzen, „nur“ drei Neue auf der Liste, dafür aber ist Gary Victors SCHWEINEZEITEN. Ein Vodookrimi, erschienen bei Litra Dukt nach nur einmaligem Auftritt im Februar von der Liste verschwunden. Weil wir mit ihm einen Heidenspaß hatten, fangen wir diesmal mit dem Verschwundenen an.

 

Immerhin war er auf dem achten Platz bei seinem Debüt im Februar. Uns hat das Buch angerührt, was sicher auch daran liegt, daß wir Haiti vor vielen Jahren mehrmals besuchen konnten. Wir allerdings hatten nur die besten Erfahrungen mit den Einheimischen gemacht, die hier den Inspektor Dieuswalve Azémar mehr als nerven, denn sie wollen ihm ja dauernd ans Leder. Naja, nicht alle, aber bedrohlich wirkt das gesamte Szenario in Port-au-Prince schon.

 

Es gelingt Gary Victor spielend, ein allgegenwärtiges Klima von Angst, Unheil und drohendem Untergang herbeizuschreiben. Das ist gewissermaßen so, als ob ein Vulkan erst kleine Wölkchen losläßt, dann spuckt er hin und wieder Glühendes, dann bricht er richtig aus und läßt alles im Ascheregen verenden, aber bevor er richtig ausbricht, hat Inspektor Azémar dem Spuk ein Ende bereitet und die haitianische Gesellschaft ist gerade noch einmal davongekommen, weiß aber, der nächste Ausbruch findet statt!

 

Sehr schade, daß wir nicht viel mehr schreiben können, denn natürlich gibt’s noch anderes über andere. Aber daß der Polizeiheld derart viel Zuckerrohrschnaps trinkt, daß er eigentlich nur noch aus diesem besteht, aber wohl im Halbnebel des Alkoholdunstes seine Eingebungen hat, das ist schon erwähnenswert wie auch, welche Exzesse die selbst ernannten Evangelikalen in Haiti treiben. Das ist die Realität, in die das Okkulte miteingebunden wird und viele viele literarischen Bezüge zeigen, wie fit Autor Victor im Krimilesen und überhaupt der Literatur ist. Bitte mehr davon!

 

Vom neuen Ersten kennen wir nur den guten Namen. MitGB84, erschienen bei Liebeskind, ist – so heißt es - David Peace zurückgekehrt an den Ursprung: in die von Industrie und Kohle geprägte Region Yorkshires, in der er aufwuchs. GB84 ist im Original 2004 erschienen, 20 Jahre nach den Ereignissen, von denen es handelt. GB84 ist ein Buch über das Ende einer Epoche. Großbritannien, dem Mutterland der Industrialisierung, wird der Kern ausgetrieben. Mehr das nächste Mal.

 

Auf den zweiten Platz – vom siebten - hochgeruscht ist Jan Costin Wagner mit TAGE DES LETZTEN SCHNEES aus dem Verlag Galiani, ein Roman, in dem Trauer und Glück verschmelzen. Das ist fast so wie die Figuren im Roman, denen etwas je eigenes passiert, was auf einmal wie eine Konsequenz des Schicksals aussieht, nur das deren Schicksal von einem einzigen in Gang gesetzt wurde: dem Mörder. Daß Finnland Wagners zweite Heimat ist, ist bekannt. Aber das einer wie er im finnischen Polizisten Kimmo Joentaa eine finnische Lichtgestalt .erschafft, ist schon bemerkenswert.

 

Auf den nächsten Plätzen Jesper Steins UNRUHE von KiWi, von uns schon oft gerühmt, wie auch BRIXTON HILL von Zoë Beck, die beide das dritte Mal dabei sind . Auf Platz 5 neu In Almas Augen von Daniel Woodrell, ebenfalls im Verlag Liebeskind erschienen. Daniel Woodrell wurde hierzulande berühmt mit dem Roman Winters Knochen. Es heißt, In Almas Augen sei Woodrells persönlichstes Buch, was wir das nächste Mal besser wissen. Bleibt auf Platz 6 Dennis Lehane zu begrüßen aus dem Diogenes Verlag mit IN DER NACHT. Eine irre Geschichte, wie das Leben sie hierzulande nicht schreibt. Martin Cruz Smith ist mit TATJANA, verlegt von C.Bertelsmann, das vierte Mal dabei, was einfach zeigt, daß der Nichtrusse die russischen Verhältnisse dicht eingefangen hat. Ein Buch, das einem vorkommt, als ob man die literarisierten aktuellen Politikmeldungen läse.

 

Uta-Maria Heim hat uns mit WEM SONST ALS DIR. aus dem Verlag Klöpfer &Meyer besonders gut gefallen. Auch sprachlich und gerade sprachlich eine Wucht. Um was es geht? Ums Leben und Überleben oder doch lieber heimlich sterben und unheimlich leben? Was Uta-Maria Heim im dem 261 Seiten starken Band, für den wir längere Lesezeit brauchten als sonst für 600 Seiten, an sprachlichem Ausdruck uns vor die Augen knallt, das hat es in sich. Das ganze Buch ist eine Komposition, wo Fortbewegungen sich mit Hinbewegungen kreuzen, wo es dann jeweils Funken sprüht. Eigentlich geht es um den

Verurteilten, was des Muttermords wegen geschah, der auch passierte, aber ihm nie nachgewiesen werden konnte.

 

Es sah nur so aus und darum hatte Richter K. kein Problem mit Urteil und Strafe. Nun, nach verbüßter Schuld und wegen Lebensunfähigkeit einer Einweisung ins Heim hat Richter K. endlich sein Problem: ja, auch mit dem Verurteilten, aber vor allem mit sich selber. Die eigenwillige Sprachkraft der Autorin, bei der jedes Wort auf die Goldwaage zu legen ist, hat ihren Höhepunkt in der Beschreibung der Entwicklung des Richter K., die auf der Seite 40 beginnt und nur im Buch endet, aber in uns weiterwirkt, weil da was in Gang gesetzt wurde, was sich nicht aufhalten läßt. Die Lösung am Ende, ja schon originell. Aber traurig auch.

 

Zu Friedrich Ani, der mit M, herausgegeben vom Droemer Verlag, sagen wir jetzt nichts mehr. Daß er das fünfte Mal dabei ist, ist sensationell und kommt nur zustande, daß einige der Juroren nicht aufgeben, weil es usus ist, daß nach monatelangem Benennen die Neuen eine Zukunft bekommen. So wie jetzt auf  Platz 10 Entfliehen kannst Du nie von Karim Miské. Dazu wissen wir heute nur, daß Karim Miské, geboren 1964, ein Dokumentarfilmer französisch-afrikanischer Herkunft ist und sein Krimi ein Debüt ist, das gleich mit dem wichtigsten französischen Literaturpreis, dem Grand Prix de la Littérature Policière ausgezeichnet wurde. Inhaltliches dann das nächste Mal.

 

 

Die KrimiZEIT-Bestenliste März 2014

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(-)

David Peace: GB84

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 544 S., 24,80 €

Großbritannien, großer Streik. Gewerkschaft NUM und Bergarbeiter gegen Thatcher und Zechenschließung. An der Schwelle zum Bürgerkrieg wuseln Gewerkschafter, Politiker, Einpeitscher, Spitzel, Streikbrecher, Mörder. Das Ende der Kohlewelt: kolossal noir.

2

2

(7)

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees

Galiani, 320 S., 19,99 €

Turku/Helsinki/Ostende. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Ein Kind stirbt bei einem Autounfall. Ein Banker macht sich zum Liebeskasper. Eine rumänisch-ungarische Prostituierte tut, was sie tun muss. Ein Junge will Massenmörder sein. Kommissar Kimmo Joentaa wird vielleicht glücklich.

3

3

(3)

Jesper Stein: Unruhe

Aus dem Dänischen von Patrick Zöller

KiWi, 478 S., 12,99 €

Kopenhagen 2007. Der Tote auf dem Friedhof ist als Autonomer drapiert. Er wurde erwürgt, als Straßenschlachten um ein Jugendzentrum tobten. Lokalreporter Jesper Stein schickt mit Kommissar Steen einen kranken Mann zwischen die Fronten. Interessantes Debüt.

4

4

(6)

Zoë Beck: Brixton Hill

Heyne, 382 S., 8,99 €

London. Als Kollegin Kimmy in Panik aus dem Fenster springt, bekommt Emmas stabile Welt aus Facebook-Kontakten und SMS einen Knacks. Das, was ihr sicher schien, wird Instrument der Verfolgung: Social Media. No way out? Wahnsinn bricht durch, offline wie online.

5

5

(-)

Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Missouri 1929. Alma, die Magd, hat miterlebt, wie Bankier Glencross sich in ihre Schwester Ruby verliebte und sie verriet. Alma weiß auch, wie es zu der Explosion kam, bei der 42 Menschen starben. Familiengeschichte aus einer Stadt, die fast ein Jahrhundert lang schwieg.

6

6

(2)

Dennis Lehane: In der Nacht

Aus dem Englischen von Sky Nonhoff

Diogenes, 592 S., 22,90 €

Boston/Ybor, Florida. Joe Coughlin kann keiner was. Denkt er. Dann fickt ihn Emma Gould, er landet im Knast, und wäre er nicht doch recht clever, hätte er es danach nicht zum Alkoholschmugglerkönig gebracht. Prohibitions-Panorama: Gangster bauten die Nation mit.

7

7

(5)

Martin Cruz Smith: Tatjana

Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle

C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €

Kaliningrad/Moskau. Journalistin Tatjana wurde vom Dach gestürzt. Ihre Leiche ist weg. Arkadi Renko, Leitender Ermittler wie schon in Gorki Park, stöbert ganz rücksichtslos in Putins Gier- und Geierparadies Monströses auf.

8

8

(10)

Uta-Maria Heim: Wem sonst als Dir.

Klöpfer & Meyer, 264 S., 20,00 €

Stuttgart/Knitzingen/Tübingen. „Wem sonst als Dir.“ - Hölderlins Widmung an Diotima leitet die Selbstbefragung des irrenden Richters K. Muttermord, Totschweigen, Bruderliebe - Tricks, sein Leben zu verfehlen? Grantig, liebevoll, atemlos bis zum letzten Zug.

9

9

(4)

Friedrich Ani: M

Droemer, 366 S., 19,99 €

München. Der Geliebte einer Lokaljournalistin ist verschwunden. Tabor Süden und seine Kollegen aus der Detektei geraten in die Spinnennetze bayerischer Nazis. Ihre Recherche führt in einen Strudel der Vernichtung. Ungeheuer.

10

10

(-)

 

Karim Miské: Entfliehen kannst Du nie

Aus dem Französischen von Ulrike Werner

Bastei Lübbe, 336 S., 8,99 €

Paris/New York. Salafisten und Chassiden in La Villette: Zusammenknall der Fundamentalisten. So scheint es, als Laura, abtrünnige Tochter von Zeugen Jehovas, auf ihrem Balkon ausblutet. Im Kern dieses Rohdiamanten von Roman stecken Wut, Drogen, Freud und Ellroy. Arab Jazz!

 

 

 

 

INFO:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 6. März 2014 mit Tobias Gohlis gegen 8.10 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 6. März 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, »Penser Pulp bei Diaphanes«, »culturmag«, »DRadioKultur«

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

INFO II:

Auf der LEIPZIGER BUCHMESSE wird die KrimiZEIT-Bestenliste am Stand von AUSGEZEICHNET vorgestellt. Tobias Gohlis spricht mit Friedrich Ani und Conny Lösch über die KrimiZEIT-Bestenliste und Qualität in der Kriminalliteratur.

Am Freitag, 14. März 2014, Stand 13/Ausgezeichnet in der Glashalle, 16:00 Uhr.