M03222150362 large

Architektin, Widerstandskämpferin, Aktivistin Biographie von Mona Horncastle im Molden Verlag

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) – Sicher, in Architekturkreisen ist Margarete Schütte-Lihotzky (23. Jänner 1897 in Wien-Margareten - 18. Jänner 2000 in Wien) international berühmt wegen ihrer Frankfurter Küche und überhaupt wegen der Frankfurter Zeit, wo das NEUE FRANKFURT Maßstäbe für modernen und sozialen Wohnungsbau en masse auf der Grundlage eines umfassenden städtebaulichen Konzepts bot. Hierher war sie 1926 auf Bitten von Ernst May, Leiter des Hochbauamts der Stadt Frankfurt am Main gekommen, der sie von der gemeinsamen Arbeit mit Adolf Loos in Wien kannte.

Adolf Loos, der berühmte ? Ja, aber schon zuvor hatte sie als Studentin Arbeiterwohnungen geplant, war also schon in ihrer Ausbildung auf soziales Bauen gestoßen, wofür sie gleich Preise erhielt. Aber dann kam auch ein Theaterprojekt von Max Reinhardt hinzu, noch spezieller wurde es mit dem Entwerfen von Siedlerhütten für den Österreichischen Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen. Das nur kurz vorneweg. Man staunt, wenn man den Lebensweg dieser gedanklich und in jeder Hinsicht beweglichen Frau sieht, die bodenständig und intellektuell gleichermaßen reüssierte und deren Leben das ganze 20. Jahrhundert nicht nur umschloß, sondern auch prägte: Utopien, Verfolgung, Flucht, Hoffnung, eben: der neue Mensch, immer ging es weiter, sie ließ sich nie zum Objekt machen, blieb immer Subjekt, wenngleich mit vielen Träumen, die der Wirklichkeit nicht standhielten.

Betraf das auch Wilhelm Schütte? Er war ihr Kollege, den Martin Elsaesser nach Frankfurt geholt hatte und den sie 1927 heiratete. „Als ich nach Frankfurt kam, war ich erstaunt und entsetzt über die politische Uninteressiertheit meiner Kollegen…“, liest man und liest es nicht gerne! Immerhin wurde ihre Küche rund 12 000 mal eingebaut, was allerdings aus den Planungen des damaligen französischen Arbeitsministers wurde, der die Frankfurter Küche 260 000 mal einbauen lassen wollte? Das Neue Frankfurt beendeten nicht erst die offiziellen Nazis 1933, sondern schon deren Vorläufer.

Zusammen mit Ernst May ging das Ehepaar Schütte 1930 nach Rußland, in die UdSSR. In der ‚Brigade May‘‘ gab es für jedes Gebiet innerhalb vom Bauen einen Fachmann, allein aus Frankfurt waren 13 Personen dabei, darunter auch Hans Leistikow, dem endlich in Frankfurt eine ganz wunderbare Ausstellung gewidmet ist, denn er war ebenfalls ein Allround-Künstler, den May nun für die grafische Gestaltung vorsah. Die Gruppe wuchs in Moskau an, als der Auftrag innerhalb Stalins Fünfjahresplan kam, eine sozialistische Stadt für rd. 200 000 Einwohnern zu planen, einschließlich der sozialen Einrichtungen. Alles sehr schwierig, die ‚Brigade May‘ löst sich 1933 auf, aber das Ehepaar bleibt bis 1936 im Land, nachdem sie zwischendurch in Japan weilten, der Weg dorthin führte über China!, dann sind ihre Pässe abgelaufen und sie schiffen sich in Odessa ein – nach Istanbul, aber von dort nach Paris, weil sie bei der dortigen Deutschen Botschaft neue, fünf Jahre gültigen Pässe bekommen können. In London schauen sie auch, ob es für sie Arbeit gibt, gehen aber zurück in die Türkei, weil Freund Bruno Taut dort beiden Drei-Jahres-Verträge für Schulplanungen und Kindergärten vermitteln konnte. Wegen Hitler, so wird sie das ausdrücklich sagen, wird sie Mitglied der KPÖ, der Kommunistischen Partei Österreichs, die in der Türkei viel vorhat. Beide arbeiten inzwischen an der Akademie der Schönen Künste in Istanbul, wo ihr aber 1940 gekündigt wird. Das paßt gut in die Pläne der kommunistischen Widerstandsbewegung, denn als Kurier reist sie im Dezember 1940 nach Wien, doch wird sie bald, da verraten, von der Gestapo festgenommen, im berühmten Hotel Métropole vierzehn Mal verhört und wegen Hochverrat angeklagt. Es droht die Todesstrafe und drei der Gruppe wurden hingerichtet. Schütte-Lihotzky wurde mit anderen wegen Hochverrats im September 1942 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. In Aichach wird sie von den Amerikanern dann befreit und ging nach Wien zurück.

In den Jahren der Inhaftierung gab es einen intensiven Briefwechsel zwischen den Eheleuten und es ist typisch deutsch, auch nazi-deutsch, daß diese Briefe alle ankamen und erhalten sind. Aus ihnen wird ausführlich zitiert und das ist gut so, denn die direkte Ansprache der beiden zeigen ein Paar, das sehr liebevoll miteinander umgeht und einander bedingungslos vertraut. Das wird nach der Befreiung 1945 so bleiben, beide sind zurück in Wien,

Nach 1 527 Tagen in Haft und 21 weiteren Tagen Warten auf eine Transportmöglichkeit nach Wien besteigt Margarete Schütte-Lihotzky mit den übrigen Österreicherinnen am 19. Mai einen Lastwagen und sie verlassen Aichach. Die Frauen fahren durch den Frühling, schwenken rote Fahnen und singen die Internationale.“(206) Obwohl es in Wien den russischen Sektor gibt, der bis zum Staatsvertrag am 5.5. 1955 Bestand hat, hat sie als kommunistische Architektin quasi Berufsverbot. Das gilt für den öffentlichen Sektor, aber ihre spezielle Qualifikation und ihr grundsätzliches Interesse ist eben auf das Bauen von Gemeinschaftseinrichtungen ausgerichtet. Und diese grundsätzliche Einschränkung kann auch nicht heilen, daß sie dann 1950 mit ihrem Ehemann zwei Gemeindebauten entwerfen durfte, von dem sie sich 1951 trennte, aber mit ihm befreundet blieb.

Ihr Leben war noch lange, aber das können Sie im erwähnten Buch weiterlesen, das immer wieder herausgehoben im Fettdruck Aussagen von ihr über sich selber dokumentiert: „Die Leute glauben immer, ich bin eine Küchenarchitektin, so wie sie glauben, ich sei eine Frauenrechtlerin. Beides stimmt nicht. Ich bin eine alte Systematikerin und habe mich in meiner Arbeit immer nach den funktionellen Notwendigkeiten gerichtet. „Form folgt also der Funktion“, das gilt auch für das ganze Leben der Margarete Schütte-Lihotzky. Erstaunlich, diese Frau ist absolut beeindruckend. Sie ist so viel mehr als die Frankfurter Küche, aber wie schön, daß sie über diese in die Geschichte eingeht.

Foto:
Umschlagabbild

Info:

Mona Horncastle, Margarete Schütte-Lihotzky. Architektin, Widerstandskämpferin, Aktivistin. Molden Verlag, Wien 2019
ISBN 978 3 222 15036 4