Attica Locke mit PLEASANTVILLE, neu auf Platz 3

Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Dezember 2022, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diesen Monat bin ich von der Auswahl der Krimibestenliste wirklich beeindruckt. Kaum lese ich einen guten, kommt mit dem nächsten schon der bessere, zumindest genauso gut und worauf Sie sich freuen dürfen, sind die deutschen Autoren, die im Dezember einfach fabelhafte Kriminalromane vorlegen. Jetzt aber erst einmal in die USA.

Ja, ja, schon wieder die USA und oft genug ärgere ich mich darüber. Nur diesmal nicht. Wenn der Jury-Sprecher Tobias Gohlis formuliert: „Der Vergleich zwischen Attica Lockes PLEASANTVILLE (Platz 3) und Sara Paretskys SCHIEBUNG (Platz 9) lohnt sich. Hier der dritte Roman einer jüngeren Schwarzen Autorin, die selbstbewusst Rassismus und Rechtspopulismus bekämpft, weniger explizit für Frauenemanzipation. Auf der anderen Seite der 19. Roman des Weltstars und Mitbegründerin des feministischen Kriminalromans: Plot und Eleganz der Schülerin sind der Routine der Meisterin überlegen.“ Was nicht heißt, dass Paretskys Vic Warshawski ein Feigling wäre und Sara Paretsky keine tolle Erzählerin.“ , so kann ich ihm nur darin zustimmen, daß es zwei besonders spannende Romane sind, die sich aber überhaupt nicht vergleichen lassen. Das fängt schon mit den unterschiedlichen Ermittlern an. Wer als Rechtsanwalt einen Mord aufklärt, einfach, weil sein Mandant des Mordes angeklagt wird, so setzt das einfach eine andere Ermittlungsmethode voraus, als diejenige, die als Privatdetektivin berufsmäßig ermittelt. Und wenn in beiden Romanen Familienzusammenhänge eine entscheidende Rolle spielen, so sind es doch völlig andere Familien. Lassen wir den Vergleich und sprechen endlich vom Fall, der es in sich hat.

Pleasantville ist ein Stadtteil von Houston, der nach dem Zweiten Weltkrieg speziell für die schwarzen Bürger gebaut wurde, die auf der sozialen Leiter vorangekommen waren und einen stabilen Mittelstand bildeten, der sich gegenüber dem schwarzen Proletariat abgrenzt. Meinungsführer ist seitdem Sam Hathorne, der alles zusammenhält und auch dafür sorgte, daß bei den Wahlen 1996 auf allen Ebenen die Demokraten siegen. Für Clinton ging dies auf. Aber Hathornes Bürgermeister-Kandidat muß erst gewählt werden. Es ist sein eigener Sohn, der Polizeichef Axel Hathorne, dessen Gegenkandidatin für die Republikaner die örtliche Staatsanwältin ist. Der kommt durchaus gelegen, daß der Mord an einer jungen Wahlkampfhelferin der Demokraten dem Wahlkampfchef der Demokraten in die Schuhe geschoben wird, der zudem der Sohn des Kandidaten und Enkel von Sam Hathorne ist. Mitgekommen?

Ohne Jay Porter wäre das Manöver aufgegangen, der Enkel verurteilt und die Staatsanwältin zur Bürgermeisterin gewählt worden. Aber Jay Porter verhindert genau das. Er ist nicht nur aus dem Vorgängerroman BLACKWATER RISING bekannt, sondern eine arme Haut, beruflich und privat. Seine Frau ist gestorben und für die beiden jugendlichen Kinder hat er nicht die Zeit, die sie bräuchten. Beruflich hat er einen Klotz am Bein. Er versucht seit vielen Jahren eine Sammelklage gegen die Firma, die für die Krankheiten des Stadtteils verantwortlich sind, zum Erfolg zu führen, bekommt aber mit, wie immer mehr Mandanten abspringen. Tja, soll man jetzt verraten, daß das alles mit Sam Hathorne zu tun hat, der ein doppeltes, ja ein dreifaches Spiel spielt.

Aber nicht die Lösung ist das Entscheidende, sondern, wie Attica Locke den Anwalt aus aussichtsloser Position heraus durch so mühselige wie nicht nachlassende Recherchearbeit die verwickelten Verhältnisse aufdröseln läßt und die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten klären kann. Steinchen für Steinchen, Akte für Akte, es geht langsam, aber konsequent zum Erfolg, der ein System von Lügen und Verbrechen zutage fördert, wo bisher Wohlanständigkeit vermutet wurde. Ein Komplott und schlimmer.

Wie sich das Geschehen minutiös entwickelt, ist das große Erlebnis in diesem Krimi.