"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 5

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kurzweilig wurde der Eröffnungsabend, vor dem man ja der vielen Redner und Reden wegen immer ein wenig Luft holt. Auf dem Podium sechs Männer und eine Frau, was so in etwa dem Geschlechterverhältnis im Roman entspricht. Von ihnen wird jeweils aus einem der in sieben Tage unterteilten Geschichte vorgelesen, denn tatsächlich ist in einer Woche alles vorbei. Im Roman.

 

 

In Frankfurt dauert das Lesefest FRANKFURT LIEST EIN BUCH dagegen zwei Wochen, die also heute eröffnet werden, wozu Hausherrin Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin der deutschen Nationalbibliothek begrüßt und die Chose artig und listig in Gang setzt, die Lacher auf ihrer Seite, wenn sie die Podiumsteilnehmer teils mit ihren echten, teils mit den Romannamen anredet. Sie als oberste Bücherfrau muß mitteilen, daß es keine Originalausgabe im Bestand der Deutschen Nationalbibliothek gibt. Die Geschichte des Erstdrucks durch Zehnmarkseinlagen, also eine Subskriptionsausgabe, für die man dann später ein gedrucktes Buch erhielt, ist so oft erzählt worden, ist aber immer noch gut, weil diese Zweitausenderauflage heute viel wert ist. Daß dieses große Haus mit 27 Millionen Büchern auch noch zum Nordend gehört, vergißt man fast, aber damals stand es noch nicht und hätte ganz sicher kein MENTZ ersetzt.

 

Der Frankfurter Kulturdezernent Semmelroth ist dann der, der ein eröffnendes Grußwort spricht und als auch persönlich literarisch Interessierter Verleger Klaus Schöffling lobt, der die Idee von FRANKFURT LIEST EIN BUCH nicht nur hatte, sondern tatkräftig mitumsetzte. Auch er wußte die Geschichte der Auflagen, in der 2001 die wichtigste Rolle spielt, genau und verwies auf die eigene aus dem Jahr 2001. Da diese schon die 22. Auflage gewesen sei, muß der Erfolg grandios sein, war seine Schlußfolgerung. Das allerdings wäre abhängig von der Höhe der Auflage, dachte so mancher bei sich. Nein, es sei kein echter Schlüsselroman, Martin Mosebach hätte aber recht, wenn er zum Buch meine, „ein Schlüsselroman aus dem Milieu der leicht promiskuitiven, alkoholseligen, arbeitsscheuen Wohngemeinschaftswelt“, herauszustellen sei das „eigentümlich verträumte Personal, das in einer für diese Jahre verblüffenden Politikabgewandtheit in einem Limbus absurditätsgetränkter Zeitlosigkeit herumrudere“.

 

Verleger und Initiator Klaus Schöffling gratulierte zum kleinen Jubiläum, immerhin ist FRANKFURT LIEST EIN BUCH im fünften Jahr. Daß er die Idee in einer (seiner?) Badewanne im Dichterviertel geboren habe, war uns neu, nicht aber, daß er deutlich machte, daß er damit nur eine Idee nach Frankfurter holen wollte, die in den USA entstanden war.

 

Bernd Eilert begann mit den zwei Motti dieses historischen Romans aus dem Jahr 1972, die immer zu kurz kommen, weil die Verwicklungen der erzählten Geschichte einen dann in Bann schlagen. Aber zuvor läßt der Dichter andere Dichter sprechen: Das ist einmal Svevo, in Senilità, der sagt: „Obwohl er bereits blind vor Liebe war, gefiel er sich immer noch in der Rolle eines scharfsichtigen Beobachters.“ Womit wir mitten im Roman wären, wohin aber strikt auch das zweite Motto führt: „In der Tat, ich muß mich selbst darüber wundern, was für eine Klatschbase ich doch geworden bin.“, sagt Dostojewski, besser: läßt Dostojewski in DER SPIELER sagen.

 

Nikolaus Jungwirth, im Buch Herr Jungwirth und Büromaler, las vom hübschen Gesichtchen des Herrn Jackopp aus der Schweiz, was deshalb witzig wurde, weil er selbst ziemlich grimmig dreinschaute. Aber es taucht auch schon Herr Rösselmann auf und vor allem Herr Kloßen. Pit Knorr, der im Buch als Peter Knott und Ibiza-Reisender vorgestellt wird, las vom Weiberrat, den seine eigene Frau , Frau Johanna Knott „dessen Gattin und Tänzerin“ vorantrieb. Elsemarie Maletzke trug aus dem dritten Tag diese klarsichtige Glasreinigerpassagen vor. Und beim Lesen erlebt man erneut, wie viele Höhepunkte diese 265 Seiten haben.

 

Denn, daß die Horkheimergeschichte eine der absurdesten ist, konnte Martin Mosebach dankbar als Leser des Fünften Tages sicher sein. „Herr Mentz behauptete nachdrücklich, daß der Alte nur deshalb immer soviel gewinne, weil er – 'und jetzt habe ich es selbst gesehen' – immer von oben durch einen Schlitz Bier in den Automaten schütte und so den Apparat vollkommen beherrsche – 'und ich, die Wirtschaft, muß jetzt einen neuen Automaten kaufen!', 'Wer ist denn dieser Alte eigentlich?', fauchte der junge Mentz nach einer kleinen Pause, während der er hektisch mit einem Lappen den Thekentisch rieb, als wolle er das unsittliche Verhalten des Alten gleichsam aus seinem Lokal fegen, - niemand kenne diesen Mann, niemand wisse seinen Namen, mit niemandem rede er an der Theke, immer nur spiele er am Automaten...Aber das sei doch, raunte Herr Domingo nun fast beschwörend, das sei der alte Max Horkheimer. 'Wer? Was? Hockenheim?', fragte der junge Mentz scharf und ungnädig zurück. Ja freilich, der Professor Horkheimer, 'einer der wertvollsten und stichhaltigsten Köpfe unserer Zeit', erklärte Herr Domingo. 'Das ist mir ein schöner Professor, der da...', konterte Herr Mentz“. Die Geschichte geht im Buch noch weiter.

 

Auch Oliver Maria Schmitt und Hans Zippert lasen noch aus dem sechsten und siebten Tag, und auch hier lachten sich die Leute ob der Schulden des Herrn Kloßen kringelig. Baff erstaunt war die Gemeinde zum Schluß. Eckhard Henscheid beschied die Anwesenden kurz und knapp, daß mit den zwei Wochen gehe in Ordnung, aber das eigentlich Ereignis sei, daß Bum Kun Cha aus Korea komme und er werde die Welt wissen lassen, ob dies am Mittwoch oder am Donnerstag sein werde. Da konnte man im Geflüster der Leute wieder einmal erleben, wie vergänglich Ruhm ist. Denn hätte Eckhard Henscheid nicht von sich aus noch zwei Sätze zur historischen Situation erzählt, in der Bum Kun Cha Eintracht Frankfurt durch seinen Spielereinsatz vor dem Abstieg rettete, das Lesevolk wäre unaufgeklärt nach Hause gegangen.

 

 

INFO:

 

Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014