"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 6

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schon im letzten Jahr war der Abend in der Oper als Bestandteil des Lesefestes, hier als musikalisch-literarische Soiree, vergnüglich, als es um Offenbach ging. In diesem Jahr hieß es „Warum Frau Grimhild Alberich außereheliche Gunst gewährte...“ Soiree mit Texten von Eckhard Henscheid und Musik von Richard Wagner, Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini.

 

Und wie immer war bei all der guten Auswahl der Texte, die zwischen Arien und Duett durch Margit Neubauer distinguiert mit einem Schuß Laszivität rezitiert wurden, der Gesang der Nachwuchskünstler aus dem Opernstudio das eigentliche Ereignis. Das waren Natascha Djikanovic, Sopran, Nora Friedrichs, Sopran, Michael Porter, Tenor und am Klavier Nikolai Petersen, der kurzfristig für den erkrankten Kollegen eingesprungen war – was man nicht merkte!

 

Nora Friedrichs begann mit Richard Wagners 'Adieux de Marie Stuart', eine junge Frau im quergefälteten schwarzen Kleid, mit schönem Schmuck, der wie Granatschmuck aussah, aber glitzerte, und zurückgenommenen langen dunklen Haaren, legte allen Schmerz in diesen Abschied, den sie deutlich artikulierend selbstsicher vortrug. Margit Neubauer brachte dann in literarischen Ausschnitten aus Werken von Eckhard Henscheid, mit Anekdoten den inhaltlichen Kontext Wagner.

 

Daß dieser in die Schweiz geflohen war, weiß jeder, daß er in der Villa Wesendonck bei Hausherrin Mathilde stets ein geneigtes Ohr gefunden, auch. Dann aber wurde ihr der kleine Wicht von 152 Zentimeter – wie das, der Gute maß doch immerhin 1,66 Meter? - über und sie empörte sich über diesen Schmarotzer, der von sich sagt: Gerne habe ich die Frauen geküßt. Er aber erfand den Tristanakkord, wurde danach steinreich und brachte es zu einer eigenen Frau: Cosima.

 

Der junge amerikanische Tenor Michael Porter fuhr mit der Arie des Alfredo aus dem 2. Akt der Traviata „Dei miei bollenti spiriti“ fort. Die Traviata in Frankfurt. Wer müßte da nicht an diese wundersame, die Seele berührende Inszenierung von Axel Corti aus dem Jahr 1991 denken, die in einer lichten Bildwelt die Not der Liebenden so ergreifend nahebrachte, wie sie die Bedenken und Forderungen des Vaters ernstnahm. Wir müssen uns zurückhalten, hier nicht weiterzuschreiben, aber es bleibt ein tiefes Unverständnis, warum diese wirklich zeitlose und ästhetisch so überzeugende Inszenierung – allein die Mariannen und Pickelhauben im Zwischenakt, die aus dem privaten Drama ein politisches des 2. Weltkrieges machten, wird man sie vergessen - seit Ende 2012 aus dem Repertoire der Oper Frankfurt genommen wurde.

 

Aber auch hier wird die Traviata ernst genommen, denn es folgen als Duett von Violetta und Alfredo aus dem 1. Akt „Un di, felice, eterea“, gesungen von Natascha Djikanovic und Michael Porter. Die Musik ist sowieso wunderschön, aber die beiden machen es auch wirklich gut. Sehr ansprechend. Er lächelt verliebt und entrückt, sie läßt sich erobern und spielt so ein wenig mit ihm. Die junge Sängerin aus Serbien strahlt eine besondere Vitalität der Stimme aus. Es kommt einem vor, daß sie im Nu große Säle füllen könnte und sich hier im Holzsaal der Oper Frankfurt fast ein wenig zurücknehmen müsse.

 

Gab es zwischen den Traviaten eine kleine Opern-Geographie, nämlich die Schauplätze von Opern, wie sie auf der Bühne wirken und in Wirklichkeit sind – keiner kann sich wie die Tosca von der Engelsburg hinunterstürzen - , so folgten Assoziationen zu „Des Volkes wahrer Himmel, die alljährlichen sommerlichen Stimmkämpfe in der Arena von Verona“. Launige Worte über den gestirnten Himmel über uns und die Stimmen unter uns.

 

Auch die nächste Musiknummer ist Verdi, Michael Porter singt die Arie des Fenton aus dem 3. Akt des Falstaff. Wie zuvor wirkt er leicht entrückt und macht etwas auf naiven Burschen. Aber das macht er gut und singt mit ausladender Stimme wohltönend. Nach einem Opernquiz dramatisiert Nora Friedrichs die Arie der Gilda aus dem 1. Akt des Rigoletto, „Caro Nome“. Für uns könnte sie gleich weitersingen, denn diese jungen Stimmen haben eine eigene Ausstrahlung, was sicher auch an der Situation liegt, daß hier Mitglieder des derzeit siebenköpfigen Opernstudios – dreimal Sopran, zweimal Mezzosopran, ein Tenor, ein Bariton - vor Publikum singen, also auch das Üben können, was dann auf der Bühne von ihnen als professionelle Sänger erwartet wird.

 

Nach Puccinis Turandot mit der Arie der Liù aus dem 3. Akt, die Natascha Djikanovic stolz und bewegt vorbrachte, machte Margit Neubauer sich und uns mit “Von Gossensaß nach Mottl“ einen gehörigen Spaß, der sich einfach aufgrund der Schüttelreime zwingend ergibt, was so schnell geht, daß man noch verstehen und lachen kann, aber nichts mehr notieren. Puccinis waren auch die beiden letzten Arien. Aus La Bohème die Arie der Mimi aus dem 1. Akt „Sì, mi chiamano Mimi“, von Natascha Djikanovic geboten und aus Gianni Schicchi die Arie der Lauretta „O mio babbino caro“, mit der Nora Friedrichs, die den Abend begonnen hatte, ihn auch abschloß. Unter lautem Beifall für alle, das muß gesagt sein.

 

Zuvor waren in einer Rundreise 'Allerlei Musicalia' vorgetragen worden, von der typischen Lulu über Lale Andersen, aber auch Lotte Lehmann kam vor, von Brigitte Bardot ganz zu schweigen. Das sprachliche Potpourri endete mit dem Kurt Tucholsky Zitat, demnach Puccini der Verdi des kleinen Mannes sei und „Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini“.

 

 

INFO:

 

Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014

 

Ein zusätzlicher Lesetip: Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, Reclamverlag