"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 11

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam, die eigentliche Fragestellung des Abends fand am Abend selbst eigentlich gar keine Antwort, weil viel zu viele andere Fragen bei der Veranstaltung bei Hugendubel auftraten, wo Martin Maria Schwarz für den hr 2-Kollegen Alf Mentzer eingesprungen war und mit Eckhard Henscheid eine etwas holprige Unterhaltung über DIE VOLLIDIOTEN führte, wobei den meisten Beifall Mechthild Großmann für ihre Lesungen des dritten Tages bekam.

 

Die Schauspielerin ist den meisten bekannt als Staatsanwältin im Münsteraner Tatort, wo sie Professor Boerne (Jan Josef Liefers) und Frank Thiel (Axel Prahl) hintereinander oder miteinander die Leviten liest. Ihr tiefe, dunkle, rauchige Stimme ist auch durch viele Hörbücher bekannt. Auf jeden Fall war Eckhard Henscheid geradezu hin und weg, denn so wie sie habe noch niemand die eigentliche Hauptperson, den Herrn Jackopp, nachgeahmt, so tief in seinem Schweizer Idiom. Dabei artikulierte sie das Schweizerische nicht besonders, wahrscheinlich war es die dunkle tiefe Färbung der Stimme, die Henscheid zum Leuchten brachte: nicht einmal Hanns Zischler bekäme das in der Hörbuchfassung so hin! Diese nun wird derzeit im Hessischen Rundfunk gelesen, ist aber nicht mehr zu erwerben, weil die Rechte nicht verfügbar sind.

 

Das Holprige tat der abendlichen Vergnüglichkeit keinen Abbruch – und ist mitnichten allein dem hr-Kollegen anzulasten. Eher hatte Eckhard Henscheid, der nun schon eine Woche lang mit sagenhafter Geduld die vielen Veranstaltungen – am Schluß wird er an ca. 20 der 70 persönlich teilgenommen haben – absolvierte, seine ständige Aufgeräumtheit und öffentliches tadelloses freundliches Verhalten einmal eingestellt, allerdings nur – und das auch nur hin und wieder, aber halt potentiell - dem Fragesteller gegenüber. Wie ungut es manchmal ist, wenn bei Dreien einer in der Mitte sitzt, mußte Martin Maria Schwarz dann auch noch auf seiner Rechten erleben. Er mußte Raum und Mikrophon mit Mechthild Großmann teilen, was zu deren ausdrucksstarker und keineswegs einverstandener Mimik ins Publikum führte.

 

Aber das haben ja die Leute, die zahlreich in den ersten Stock des Buchkaufhauses gekommen waren, gerade gern, wenn da nicht aalglatt etwas vor ihnen abläuft, sondern man die Menschen bei ihrem Tun hinter ihren Rollen auch noch verspürt. Auf jeden Fall wollte Eckhard Henscheid viel lieber über Fußball reden, der Samstagabend mit seinem Star lag ihm noch in den Knochen, denn der Ex-Eintrachtler Bum Kun Cha, der bei der samstäglichen Lesung als Überraschungsgast dabei gewesen war – unsere Kollegin Claudia Schubert hatte ihn beim siegreichen Spiel der Eintracht gegen Mainz am Samstagnachmittag dort ebenfalls erlebt - steht auf der emotionalen Gunstleiter des ebenfalls nach der Rückkehr ins heimatliche Amberg Ex-Eintrachtfans Henscheid ganz ganz oben, was man gut verstehen kann, wenn man die Ode oder Hymne an Bum Kun Cha liest, die Henscheid damals verfaßte und die wir deshalb als Teil 10 unserer Serie abgedruckt hatten.

 

Auf jeden Fall setzte sich Henscheid mit seiner weiteren Lobeshymne auf Bernd Hölzenbein durch, die ihm historisch auch zusteht, kann er doch vermitteln, daß allein er Hölzenbein in die Nationalmannschaft hineingeschrieben habe, was sich für Deutschland bei der WM 1974 ausgezahlt habe, wo Hölzenbein im Endspiel gegen Holland das entscheidende Tor schoß. Noch dazu auf ganz extreme Weise. Er ließ nämlich schießen. Denn beim Rückstand von 1:0 wird Hölzenbein böse vom Gegner in dessen Strafraum gefoult, der fällige, von Paul Breitner – nicht von Hoeness!!!, werter Fußballfachmann Henscheid - geschossene Elfmeter wandelt das Ergebnis zum 1:1, das Bomber Gerd Müller noch vor der Halbzeit zum 2:1 für Deutschland festzurrt. Uns auf jeden Fall macht das Spaß, wenn Henscheid so nonchalant sich als den Urheber der deutschen Weltmeisterschaft bezeichnet. Wenn nun GELD, LIEBE und FUSSBALL im Gespräch als die Säulen des Lebens bezeichnet werden, sind wir gleichzeitig mitten drin im Roman, wo es auf Seite 214 um „die glänzende Einheit von Geld, Liebe und Fußball“ geht und wir hören, daß Herr Jackopp zwar nicht besonders gut Fußball spielte, aber theoretisch ordentlich beschlagen war und die berühmte Breslauer Elf langsam und auswendig hersagte, was er aber wohl nur im betrunkenen Zustand schaffte.

 

Das ist nun kein Problem, denn die Jungs und auch die Fräuleins bechern beim Mentz und oder Krenz ununterbrochen, durch alle sieben Tage, aber der an diesem Abend gelesene dritte Tag schält sich im Lauf der zwei Wochen doch immer wieder zum Lieblingskapitel heraus, was sicher auch an der abenteuerlichen Geschichte der Verpflichtung des Erzählers als Werber für die Glasreiniger liegt, Passagen, die auch nach dem fünften Vorlesen nichts von ihrer Komik verloren haben. Überhaupt empfinden wir im Lauf dieser Lesetage, daß der Roman immer besser wird, denn, wenn man beim wiederholten Mal und noch dazu an den selben Stellen immer wieder herzhaft spontan lachen muß, obwohl man das doch schon kennt, dann muß das einfach für das Buch und nicht gegen den vielleicht zu leicht zu gewinnenden eigenen Verstand zählen.

 

Länger wird dann bei Dostojewski verweilt, den Henscheid grundsätzlich immer, aber eben auch für DER IDIOT zum exquisiten und ausufernden Schwätzer erklärt, seinen eigenen Erzähler in den VOLLIDIOTEN natürlich eingeschlossen, weshalb eben beide Bücher genial seien oder doch zumindest dicht dran. Henscheid betont erneut, was uns entgegenkommt, weil wir es genauso empfinden, daß es sich bei seinen VOLLIDIOTEN nicht um eine Satire handele, sondern um einen humoristischen Roman, wobei der Titel wörtlich zu nehmen ist in der Bedeutung der alten Griechen, wo ein Idiot noch wertfrei als derjenige bezeichnet wurde, der sich auch in der Öffentlichkeit rein als Privatperson gebe und weder politisches-gesellschaftliches Interesse zeige,noch Ämter annehme, was also just auf die VOLLIDIOTEN zutrifft.

 

Auch die folgenden Passagen über den Plapperstil, den er, Henscheid, von Dostojewski übernommen habe – während Stefan Zweig in seiner Würdigung von Dostojewski im Jahr 1918 so ungefähr den größten Blödsinn erzählt habe - waren für die Zuhörer spannend, denn, daß der Roman als historischer Roman aus dem Jahr 1972 bezeichnet wird, kann man ihm tagesaktuell – bis auf den Fußball! - nicht anmerken, denn hier geht es um nichts Politisches, dieses ist allenfalls als „Hintergrundflirren“ und „Nebengeräusche“ wahrnehmbar, aber die Suche nach politischen Standpunkten – Nachstudentenbewegung, RAF, Willy Brandt und die SPD, Häuserkampf im Westend... - sei vergeblich, wenn man einmal von Erwähnungen wie dem Weiberrat absähe.

 

Sehr kurz wurde dann noch gestreift, daß die meisten Männer im Roman gut vorstellbare Personen seien, eben auch die eigentlichen VOLLIDIOTEN, während die Frauen zwar angeschmachtet werden, aber äußerst blaß bleiben. Ganz im Gegensatz zu Herrn Kloßen, der auch an diesem Abend für seine phantasievollen Ausreden beim Geldschnorren den Vogel in der Sympathie der Zuhörer abschoß. Wie der sich allein die Beträge, die er nun allen schuldet noch merken kann beim erfolgreichen Versuch, diese Leihgaben aufzustocken, ist eine schriftstellerische Klasse für sich. Ein Roman über eine Szene, aber kein Szenejargon, wenn man mal vom Flachlegen und sonstigen sprachlichen Freizügigkeiten im Alltagsjargon absieht.

 

 

INFO:

 

Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014

 

Ein zusätzlicher Lesetip: Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, Reclamverlag