"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 12
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Samstagabend brachte dem Hessischen Rundfunk ein volles Haus, denn der Sendesaal mit seinen über 800 Sitzplätzen war ausverkauft. Und zwar seit langem. Wer wußte hierzulande schon, daß Polt und Henscheid alte Kumpane sind, einer ein Bayer wie der andere, obwohl Henscheid Wert darauf legt, Unterfranke zu sein.
Und damit wir das nicht zu erwähnen vergessen, gleich weitersagen, daß die Aufzeichnung des Abends zweimal in hr 2 zu hören ist: Am Sonntag, 27. April ab 12.05 und am Samstag, 3. Mai ab 18.05 Uhr. Der Titel des Abends heißt „Heimgeräumt und Weggetan“ und gilt als Gipfeltreffen zweier Ausnahmekünstler (mein Gott, der Begriff nutzt sich inzwischen ab). „Autor Eckhard Henscheid und Kabarettist Gerhard Polt werfen sich mit Spitzfindigkeiten und allerlei bayerischem Gegrantel rund um DIE VOLLIDIOTEN und andere Texte gegenseitig die Bälle zu. Eine höchste seltene Gelegenheit, das 'polternde Tandem' (Der Spiegel) live zu erleben. 'Heimgeräumt und weggetan' – was zum Abschluß von FRANKFURT LIEST EIN BUCH noch gesagt werden muß.“
Wir geben zu, wie sind einfach nicht objektiv, da hätte auf der Bühne passieren können, was will, kein Wort hätte fallen müssen, allein die Mimik des Gerhard Polt zu verfolgen, lohnt für uns einen ganzen Abend! Hier kam aber das Beisammensein mit Eckhard Henscheid hinzu. Der Abend wurde von diesem leicht dirigiert, war ja auch schließlich sein Lesefest, zu dessen Abschluß Freund Polt an den Main gekommen war. Da betraten also zwei ältere Herren, etwas schwergewichtiger der eine, schmal der andere die Bühne. Der eine war so bodenständig in schweren Tretern mit Cordsamthose und einem grünen Pullover über grünlich kariertem Hemd mitsamt braunem Jackett angetan, wie der andere leichtfüßig im Ensemble von Hose und farbigem Jackett daherkam, das die zwei Wochen über durchaus die Farbe wechselte, so in der Art der Angela Merkel oder auch der gewesenen OB Petra Roth.
Das anzumerken war notwendig, damit das nicht immer nur den Frauen passiert. Den Anfang machte Henscheid mit dem Anfang. Er las nämlich das, was leicht zu kurz kommt, aber das Verständnis des Romans erleichtert: das Vorwort „Von Seiten des Autors“. Darin nimmt dieser auf einen Schlag und äußerst geschickt alle möglichen Einwände gegen das fertige Buch vorweg: seltsame Ereignisse, merkwürdige Vorkommnisse, die einerseits völlig belanglos erscheinen, andererseits von großer Wichtigkeit sind. Der Autor stellt sich an die Spitze der Bewegung der Auflistung von Problemen, denn so sieht es aus, daß er von Widerständen umgeben ist. Darf er einfach über die Gefühle anderer schreiben? Darf er sich in sie hineinversetzen? Schließlich geht es im tiefsten Kern um eine Liebesaffaire, „die man zwar bei der anschließenden Überstürzung der gesamten Vorkommnisse leicht vergessen könnte, und oft war es ja wirklich scheinbar keine Liebesaffaire mehr, sondern nur noch der reinste Saustall und ein mächtiges Affentheater.“ (11)
Nein; so können wir nicht fortfahren. Lesen Sie gefälligst diese Einleitung selbst, deren Schlußsatz lautet: „So. Und nun zur Sache!“ Um die bemühte sich dann Gerhard Polt und las - den dritten Tag! Immer wieder hatte sich dieser als Gesellenstück des Romans bewährt und so war es auch hier. Denn, wer dieses Kapitel nicht kannte, lachte eh und die anderen schon im Vorgriff, weil sie wußten, was gleich kommt. Das ist urkomisch, das mit den Männern und den Frauen sowieso, aber die Geschichte mit den Glasreinigern eben auch, die mit dem erneuten Hören ihre Komik nicht verliert, sondern immer noch zulegt. Echt ein Phänomen. Und der Herr Kloßen, inzwischen aller Welt Lieblingsfigur, hatte wieder seine großen Schnorrerauftritte, die auch dem ernsthaft lesenden Polt ein Schmunzeln abnötigten.
Dann las wieder Henscheid, es ging um den Schluß im 6. Kapitel und dann war Pause. Danach war mit den VOLLIDIOTEN Schluß, allerdings nur mit dem Vorlesen. Henscheid kümmerte sich um die sprachliche Würdigung, bzw. plauderte aus dem Nähkästchen, wie viel Kunstabsicht in manchem Satz stecke und daß sich dies auch immer wieder als ein Zuviel erweise. Es ging um Vorbilder (Ganghofer) und Stabreime, aber auch Eric Ambler und Shakespeare waren nicht weit; nur von Goethe sprach keiner, dafür mußte Kleist ran. Es ging aber auch um sprachliche Manierismen und abwegige Metaphern.
Gerhard Polt las einen weiteren Text, aber eigentlich fand er erst im Stehen vor dem Mikrophon und ohne Papier in der Hand zu der Form und dem Inhalt, in denen ihn das Volk sehen und hören will: man hörte Benedikt XVI. im sanften Singsang aus Italienisch und Latein in einer 3:1 Mischung, wie er sich – man verstand das ganz deutlich – auch um die Probleme von und mit dem Ex-Bischof von Limburg Franz-Peter Tebartz-van Elst – nein keine Heinscheidfigur, obwohl sie durchaus idiotisch agiert – kümmert und dessen finanzielles Desaster beim Luxusbauern herunterrechnet und schließlich sogar als Schnäppchen bezeichnet. Dies dann auf Deutsch.
Nach dem heftigen Beifall hatten die beiden Urgesteine Mitleid mit dem Publikum und gewährten die Gunst zweimaliger Zugaben. Darunter befand sich dann für das staunende Plenum das auswendige Aufsagen der Meistermannschaft Eintracht Frankfurt 1959 sowie das der deutschen WM-Elf in Bern und als unbestrittener Höhepunkt sogar das der Ungarn. Nun gut, letzteres hätte schon wegen der Aussprache niemand überprüfen können, aber die von Henscheid aufgesagte Mannschaft von Eintracht Frankfurt war völlig korrekt. Das waren: Egon Loy, Hans-Walter Eigenbrodt, Hermann Höfer, Dieter Stinka, Friedel Lutz, Hans Weilbächer, Richard Kresse, István Sztani, Ekkehard Feigenspan, Dieter Lindner, Alfred Pfaff. Denn das gehört für Frankfurter zur Allgemeinbildung. In Zukunft gilt das auch für Eckhard Henscheids DIE VOLLIDIOTEN.
INFO:
Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014
Ein zusätzlicher Lesetip: Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, Reclamverlag