Bernhard Aichner TOTENFRAU, erschienen bei btb und als Lesung im 'der Hörverlag', Teil 2
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) - Blum ist also adoptierte Tochter eines Innsbrucker Unternehmerpaares. Früh wird sie mit der Bestattung gequält, muß als Kind schon den Leichen die Münder zunähen und sonstige Gemeinheiten, Mißhandlungen und Widerwärtiges von den Eltern erdulden. Gott sei dank gehen diese über Wasser, als die Familie wieder einmal Segeln geht.
Dort ist flugs ein Polizist namens Marc zur Stelle, der sie tröstet. Beide verlieben sich, sie übernimmt das Geschäft, das floriert, sie bekommen Kinder und die Welt ist heil, da passiert es: Marc hat auf dem Motorrad einen Unfall. Die Rückblende auf die gemeinsame Liebe, die wurde uns dann beim Hören etwas zu viel. Etwas viel zu viel. Bis wir viel später erkannten, daß aus dieser heilen, nun zerbrochenen Welt für Blum die Kraft erwächst, in dieser neuen zerstörten Welt aufzuräumen.
Sie gerät nämlich durch Zufall an sein mobiles Telefon, in dem sie seine Stimme hören kann, dann aber auch auf Gespräche mit einer Frau stößt, die sie erst neugierig, dann eifersüchtig machen, dann alarmieren, weil hier ein Verbrechen vorliegt. Tatsächlich findet sie diese Frau aus Moldawien, die ordentlich nach Österreich gekommen war und dort entführt und in einen Keller verschleppt wurde und von fünf Männern gequält, sexuell mißbraucht und in jeder Hinsicht geschändet wurde, weil einer der Männer ihre Angst, Schmerzen und Verzweiflung im Porträt fotografierte. Nicht nur sie, auch den anderen Frauen ging es so. Sie aber entkam, lebt als Obdachlose und hat sich nur Marc geöffnet.
Das setzt die Rache, zu der Blum fähig wird, in Gang. Sie will Marcs Arbeit zu Ende führen. Das nun inszeniert Autor Aichner grandios. Die Biedermänner sind doch die Brandstifter, das wissen nicht nur die Schweizer. Die Österreicher auch. Was sich im beschaulichen und schönen Innsbruck in diesem Keller tut, wo fünf honorige Bürger ihr Unwesen treiben, die bei ihren Taten Masken tragen, weshalb die Frauen ihnen infolge ihres auffälligen Verhaltens jeweils Rollen zuschreiben: der Jäger, der Clown, der Fotograf, der Priester, der Koch. Und natürlich war auch Marcs Tod kein Unfall, sondern Mord.
Das Erstaunliche ist der Schreibstil des Autors, der von Kürze und vielen Dialogen lebt und sich solche Unverschämtheiten leistet, uns immer wieder Realität vorzuspiegeln, wo sich das Gehörte/Gelesene dann als Traum erweist, wir also auf dem Holzweg waren. Dabei jubelt er uns seine Blum in keiner Weise als sympathisch unter. Eher wird sie als Verletzte, als kühle Schönheit geschildert, die warmherzig nur denen gegenüber ist und entsprechend handelt, die ihr nahestehen: Kinder, Mitarbeiter, Freunde, für die sie alles tut. Eine streng getrennte Welt. Doch der Eindruck täuscht, denn das, was sie von ihrem Schützling vom Keller erfährt, macht sie zur Rächerin an jeder geschundenen Kreatur. Zwar kann sie den Schützling nicht retten, aber alle anderen auffliegen lassen, wobei im Doppelsinn des Wortes deren Seelen sicher nicht im Himmel, sondern in der Hölle schmachten werden. „Ja, sie haben es verdient. Es ist besser, daß sie fort sind. Dann ist es gut.“, hören wir Blum am Schluß. Wir wünschen Blum ein langes Leben.
P.S. Lieber Autor, man darf ja nichts verraten. Aber wer der allerschlimmste der fünf Täter ist, das vermutete ich ganz früh beim Hören. Ich hatte mich in der Redaktion mit Wetten festgelegt – und habe gewonnen! Nun bin ich gespannt, ob es anderen auch so ging?
INFO I:
Bernhard Aichner, Totenfrau, btb Verlag
ISBN 978-3-442-75442-7
Bernhard Aichner, Totenfrau, mp3 vollständige Lesung von Christian Berkel, der Hörverlag, Laufzeit 8 h 28 min
INFO II:
Dem SprecherChristian Berkel wollen wir unseren Respekt ausdrücken. Das Beste was man über einen Sprecher sowieso sagen könnte, wäre, daß man ihn gar nicht gemerkt habe. Das klingt nur nicht so nett, soll aber ausdrücken, daß man so vom vom Sprecher Gelesenen gefesselt wurde, daß man atemlos zuhörte. Und Letzteres stimmt nun wieder. Was uns trotzdem auffiel, war, daß wir ja immer wieder Blums Stimme hören, wobei Berkels Stimme dann in die Höhe geht und heller und leichter wird. Durchaus etwas manieriert. Aber passend. Doch fiel uns dabei auf, daß in der Regel Bücher, die von Frauen handeln, von Frauen als Ichpersonen gelesen werden. Hier ist es anders, kommt aber der Intention, diese Blum als beherrschte, überlegene Person wirken zu lassen, entgegen, wobei wir genauso mithören, wie die Geister in ihrem Inneren toben.
INFO III:
Am Mittwoch, 14. Mai findet in HAMBURG in derBuchhandlung Cohen + Dobernigg, Sternstraße 4 eine Lesung des Autors statt.