Lea Adam bringt mit Milo eine taffe Hamburger Ermittlerin, die ein Partnerproblem hat
Claudia Schulmerich8
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Also, wenn nicht diese penetranten Szenen wären, in denen die Autorin, hinter der sich zwei Autorinnen verstecken, Hauptfigur Jagoda Milosevic, genannt MILO, mit ihrer Frau/Freundin lesbisch zu Gange ist, oder sich ständig darüber Gedanken macht, was andere dazu sagen, dann wäre das ein ganz toller Krimi geworden. So ist es ein recht guter, dem es gelingt das Problem mit den Männern und den Frauen, das ja nur dann eines ist, wenn sexuelle und psychische Gewalt im Spiel ist, auf genau dieser Ebene finten-, blut – und leichenreich zu beschreiben.
Ja, wenn man schon Milosevic heißt! Welch Wunder, daß im Roman nur an einer Stelle eine Figur darauf reagiert und die Kommissarin sofort reagiert: Nicht verwandt, nicht verschwägert…., denn als Zeitgenossin muß einem der Name einfach etwas sagen. Warum die Autorinnen ihn gewählt haben? Um Blutiges anzudeuten? Auf jeden Fall stellt der Verlag eine Bemerkung voran: „Dieser Roman enthält explizite Darstellung von körperlicher, seelischer sowie sexualisierter Gewalt und kann traumatisierend wirken. Bitte achten Sie auf sich.“, hat mich das sehr nachdenklich gemacht, weil die Überlegung aufkam, warum schreibt man dann so was, warum veröffentlich man dann so was?
Nach der Lektüre kann ich ‚Ja‘ dazu sagen, und eigentlich aus einem einzigen Grund. Neben der sich entwickelnden Geschichte im Oktober/November 2022 gibt es Einschübe, kursiv gesetzt und mit einem Frauennamen überschrieben, erstmals im Mai 1998, wo über das Martyrium der jeweiligen Frau berichtet wird, die, wenn sie überlebt, als verstörte, gestörte Person zurückbleibt und der Leserin die Tränen kommen oder die Wut oder beides, warum Männer Frauen so etwas antun. (Gerade gestern kam die Meldung, es gäbe neben den 6 700 Frauenhäusern in Deutschland 4 Männerhäuser) Ein Teil der die Sextaten überlebenden Frauen haben sich in einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen, die von Dina Schneider geleitet wird, die im Roman dann noch eine große Rolle spielen wird. Erst einmal warnt sie Milo und deren menschenwarmen, fleischfressenden Partner Vince Frey, die geschändeten Frauen, die in der Gruppe ihr Selbstwertgefühl finden/stabilisieren wollen, zu hart zu befragen. Warum die beiden Kommissare auf diese Gruppe überhaupt kommen, hat mit den ermordeten Männern zu tun, die auf eine Serie schließen lassen.
Der erste wurde im Park tot aufgefunden, mit Kabelbindern gefesselt und mit einer Tüte über dem Kopf, außerdem waren seine Augen ausgestochen. Die nächste Leiche hat keine Ohren mehr. Und dann wird eine Leiche aus dem Wasser gezogen, die dort schon lange lag und die nur, weil sie keine Zunge mehr hat, zur Serie hinzugezählt wurde. Die Hamburger Mordkommission wartet jetzt auf den vierten Fall. Es gäbe nämlich – nie gehört – zu den drei chinesischen Affen, die nicht reden, sehen, hören dürfen, noch einen vierten, dem das Gemächt abgeschnitten wurde.
Nein, man kann die personellen Verwicklungen nicht alle wiedergeben. Im Kern geht es darum, daß die Opfer, die geschändeten Frauen, zurückschlagen und deren Schänder nach und nach umkommen. Längst hat der Roman die persönlichen Belange von Milo hinter sich gelassen, die in dem privaten und beruflichen Verschweigen, daß sie lesbisch ist und so lebt, liegen, und richtig Ermittlungsfahrt aufgenommen. Das ist nicht nur spannend inszeniert, sondern auch logisch und psychologisch nachvollziehbar.
Inzwischen tauchen immer mehr ältere Morde auf, die man damals in keinen inhaltlichen Zusammenhang brachte, die jetzt aber ins Konzept dieser ermordeten Frauenschänder passen. Daß wir in Hamburg sind, wo noch stärker als in München die Haute-Volée rund um die Binnen- ach, was, auch noch die Außenalster in herrlichen weißen Villen wohnen, was aber für Frauen noch per se kein Schutz vor übergriffigen Männern ist, kommt hinzu, genauso wie daß die obere Ebene – absolut glaubwürdig – mauert, die Fälle nicht weiterverfolgen will und sogar im Haus ein Spitzel für viel Geld die Interna an die Zeitungen verkauft, was die Ermittlung erschwert, bis diese auf einmal von oben ganz eingestellt wird.
Es hat sich nämlich eine der Frauen aus den kursiven Einschüben als Täterin des letzten Mordopfers herausgestellt, eine ausländische Putzfrau, die vom Hotelmanager jahrelang vergewaltigt und in anderer Form mißbraucht wurde, die also das eigentliche Opfer ist, die quasi befreit ihre Tat zugibt, der die Behördenleitung aber dann alle anderen Morde in die Schuhe schiebt, weshalb das Kommissariat ab jetzt heimlich ermittelt und die Schuldigen findet. Ein hartes Stück Literatur, das dem harten Leben dieser Frauen folgt.
PS. Ach ja, das Partnerproblem aus der Überschrift. Wir wollten nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das bezieht sich einmal privat auf Freundin Valerie, aber auch beruflich auf den Partner, den armen Vince. Mehr im Buch.
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Umschlagabbildungen
Info:
Lea Adam, Stigma, Ullstein Verlag , Februar 2023
ISBN 978 3 548 06722 3