Zu Besuch im binooki-Verlag in Berlin
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - „Achtung! Klischeefreie Zone“, warben die zwei deutsch-türkischen Verlegerinnen des binooki-Verlags vor zwei Jahren bei ihrem Debüt auf der Frankfurter Buchmesse, denn die türkische Kultur ist vielfältiger als Döner- und Kopftuchklischees suggerieren. Nach der Verlagsgründung vor drei Jahren verlegen sie regelmäßig auf Deutsch übersetzte Bücher junger türkischer Autoren.
Die Verlagsräume liegen im Norden Kreuzbergs zwischen alten Fabrikgebäuden und Lagerhäusern, nebenan ist die Berliner Metall-Innung. Genauso hart wie die Menschen in der Nachbarschaft arbeiten auch die beiden Verlegerinnen, ihre Terminkalender sind voll mit Messen, Lesungen, Türkeireisen. „Wir hatten ja noch nie einen Verlag“, sagen sie, „vieles mussten wir zum ersten Mal machen.“
Begeistert erzählen die Frauen von ihren Büchern und kichern mädchenhaft über Romanfiguren, wie den Fünfjährigen, der lieber Schostakowitsch hört als im Kindergarten „Alle meine Entchen“ zu singen. Sie freuen sich über Besuche von Journalisten - es macht sie sympathisch, dass sie ihre Euphorie so offen zeigen und nicht die coolen Editorinnen mimen. Gleichwohl haben sie ihr gerade drei Jahre altes Verlagskind äußerst professionell organisiert: Inci Bürhaniye (47) ist Wirtschaftsjuristin, ihre jüngere Schwester Selma Wels (35) Betriebswirtin. Beide entwickelten einen soliden Business-Plan, ihre Kredite sind langfristig abgesichert und sie gewannen bisher einige Preise, etwa 2013 den Kurt-Wolff-Förderpreis. Bürhaniye muss noch als Anwältin arbeiten. „Der Tag müsste 48 Stunden haben, denn das hier ist Erfüllung!“, schwärmt sie.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern werden hierzulande kaum türkische Schriftsteller verlegt. „Die großen Verlage drucken nur bekannte Autoren wie Pamuk“, sagt Wels, „und kleinere Verlage sind meist gescheitert, weil sie Marketing und Gestaltung vernachlässigt haben.“
Knapp zwei Dutzend Romane und Erzählungen haben Bürhaniye und Wels bis jetzt herausgebracht. Die beiden verlegen nur was sie selbst begeistert, doch bei ihren Titeln wird bereits die Vielfalt der jungen türkischen Literatur deutlich. Manche Autoren haben eine unendliche, geradezu südamerikanische Lust am Fabulieren. Einige sind sprachlich atemberaubend gut („Unsere große Verzweiflung“), andere erzählen eher gradlinig, fast journalistisch ihre absurden Geschichten („Die Begleitung“). „Aber wir haben eine deutliche Sympathie für die ‚verrückten’ Autoren, die ‚jungen Wilden’ der türkischen Literatur“, gesteht Bürhaniye.
In den binooki-Büchern gibt es keine Folklore, wohl aber die bisweilen irritierende Vielfalt osmanischer Namen, am Rande mal eine keusche Muslima oder brutale Polizisten. Doch viele Geschichten aus Ankara oder Istanbul könnten auch in westeuropäischen Metropolen spielen.
Die Bücher sind liebevoll gemacht, jeder Band hat ein Lesezeichen in der Farbe des Umschlags mit der verkleinerten Titelgrafik. „Wir sind an die Gestaltung heran gegangen wie Bücherkundinnen“, sagt Wels. Die immer von der gleichen Designerin gestalteten, farbenfrohen Einbände haben einen hohen Wiedererkennungswert, so wie einst die legendäre regenbogenfarbene Edition Suhrkamp. Außerdem werden alle Bücher auch als E-Books herausgegeben.
„Wir wollen unsere beiden Heimaten verbinden“, sagen die Schwestern, „und den jungen türkischen Autoren eine deutsche Stimme geben.“ Dazu werden die Bücher dicker als im Original, denn manch türkische Worte können nur mit vielen deutschen Worten umschrieben werden: „Yakamoz“ etwa bedeutet „Mondlicht, das auf dem Meer schimmert.“
FOTO: Hanswerner Kruse
Drei Kurzrezensionen
Yazgülü Aldoğan „Die Begleitung“
Eine erfolgreiche Istanbuler Geschäftsfrau nimmt gelegentlich die nicht sexuellen Dienste von Escort-Männern in Anspruch. Das geht eigentlich immer ganz cool vonstatten, doch eines Tages verlieben sich ein neuer Begleiter und sie ineinander. Es entwickelt sich eine hocherotische aber katastrophale Affäre mit extremen Überraschungen für die Leser.
Alper Canıgüz „Söhne und siechende Seelen“
In einem fünfjährigen Jungen steckt ein Intellektueller, der nicht erwachsen werden will. Der Kleine betrachtet kritisch die Erwachsenenwelt, löst einen Kriminalfall und philosophiert unter Drogeneinfluss. Ein absurdes aber auch verwirrendes Buch, ganz in der Tradition und mit Zitaten des (fast) vergessenen französischen Literaten Boris Vian.
Barış Bıçakçı „Unsere große Verzweiflung“
Zwei Männer wohnen zusammen, nehmen eine jüngere Frau auf und verlieben sich in sie. In diesem Briefroman erinnert der eine Mann den anderen an diese Zeit, in der nicht viel passiert ist. Die wunderbare Sprache beschreibt Erinnerungen, Abschweifungen und zarte Fantasien - und macht die Leser auf fast jeder Seite neu in dieses Buch verliebt.
Verfilmt als „Our Grand Despair“ von Seyfi Teoman
Alle Bücher jeweils 14,90 Euro, als E-Book je 9,99 Euro