valmcEin Fall für Journalistin Allie Burns von Val McDermid

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie schade! Den Vorgängerkrimi 1979 – JÄGERIN UND GEJAGTE fand ich richtig gut, freute mich auf die Fortsetzung 10 Jahre später und die Geschichte selbst hat ja auch was, aber das Drumherum, die Wahrnehmung des Ostblocks, insbesondere der DDR in ihren letzten Zügen, ist so was von primitiv und einfach unwürdig für jemanden, der sich im Buch auf John le Carré beruft. Der wußte zu differenzieren und hat keine Schwarz-Weiß-Märchen erzählt.

Und da wir schon dabei sind, auch die ewigen Liebesschwüre und verbrachten Nächte von Allie mit ihrer Frau, der, wie ständig betont wird, besonders attraktiven Ronan, ebenfalls Journalistin und besser bezahlt dazu, diese Erwähnung ständiger Zärtlichkeiten gehen auf die Nerven. Das will ich auch über Heteropaaren nicht ständig lesen, was die miteinander treiben, wenn es doch um eine Krimihandlung geht. Auf die hätte sich doch die Autorin verlassen können, auf die eigentliche Handlung, deren Hintergrund und böses Geheimnis, man sehr schnell ahnt, wogegen ich nichts habe.

Erst geht es um Aids und die miese Behandlung der Kranken in Schottland, die nach England fliehen, weil sie dort von Krankenhäusern noch aufgenommen werden, aber unter wiederum miesen Bedingungen, was Allie Burns recherchiert und worüber sie schreibt. Sie lebt inzwischen mit ihrer Frau Ronan in Manchester, weil die schottischen Zeitungen aufgekauft sind. Dann gibt es die Suche nach einem Wunderheilstoff, der von West-Pharmafirmen in Ostberlin – wir sind im Jahr 1989!! - erforscht wird, weil wissenschaftliches Forschen dort billiger ist, was Allie nach West- und Ostberlin bringt, doch dann überlagert der Zeitungsmogul Wallace „Ace“ Lockharts – der eigentlich der polnische, das Massaker der Nazis überlebende Jude Chaim Barak ist – das Geschehen, der sich im Zeitungskampf mit Rupert Murdoch Schlachten liefert und im Aufkauf von Zeitungen seine finanziellen Mittel völlig überzogen und den Pensionsfond seiner Angestellten ausgeräubert hat.

Doch bisher ist immer alles gut gegangen, sagt er sich und seiner Tochter Genevieve, seinem einzigen Kind. Sie leitet sein Vorzeigemagazin Pythagoras Press – Teil der Ace Media – das nun vom Ace ausgesucht wird, die politische Widerstandsbewegungen im gesamten Ostblock, die spürbar ist und explosiv scheint, zu umgarnen und zu nutzen, um rechtzeitig mit den potentiell neuen Machthabern Kontakt zu haben. Bisher dagegen war Aces Verlag dafür bekannt, über die kommunistischen Machthaber im Ostblock Hagiographien schreiben zu lassen und so gute Karten bei den dortigen Machthabern zu haben.

In Berlin nun finden die bisher zwei Stränge – Aids und politische Bewegung im Ostblock – zusammen. Denn Genevieve, die in West-Berlin in einem feinen Hotel residiert, wird von ihrem Vater aufgefordert, die in Ost-Berlin festgehaltene Allie aus der Stasi-Haft zu holen. Dahin ist sie gekommen, weil sie einer DDR-Aidsforscherin, die in den Westen wollte, ihren Paß überließ, was für diese gut ausging. Doch jetzt kommt eine neue Geschichte, denn Genevieve ist hin und weg von Dr. Frederika „Fredi“ Schröder, eine schöne, charismatische und lesbische Frau, radikaler Flügel der Umweltbewegung, wobei sie von ihrem Freund Hans Weber unterstützt wird. Dessen Unterstützung geht so weit, daß er Beischläfer von Genevieve wird, die, nachdem sie Allie aus Ost-Berlin geholt hatte, auf die Idee kam, sich von Fredi und Hans offiziell entführen zu lassen, damit ihr reicher Vater Geld für ihre Befreiung der Bewegung zukommen läßt.

Kommen Sie noch mit? Während Allie, die längst wieder in Großbritannien ist, von Ace erneut nach Berlin geschickt wird, diesmal soll sie Genevieve befreien, was ihr leicht gelingt, so tumb stellen sich die ‚Entführer‘ und vor allem Genevieve an, stirbt Lockhart an einem Herzinfarkt. Doch die Todesursache ist die Einnahme von Zyanid, was offiziell als Selbstmord gewertet wird, aber alle, die ihn kannten, sprechen von Mord. Nun hat Ace seit Monaten seltsame Nachrichten erhalten, die immer von einem, der auch das Massaker in der Nähe von Białystok überlebt hat, gezeichnet sind. Nein, von dieser dramatischen und alles umstürzenden Entdeckung, die Allie aufdeckt und die auf den Mord an Ace hinausläuft, erzählen wir jetzt nichts.

Man ahnt die Wahrheit schon früh, aber dies bleibt eine spannende Geschichte, die Val McDermid nur mit so viel Stoff anfüllt, daß dauernd Nebenwege den eigentlichen Hauptplott verwässern. So spielt auf einmal das schreckliche Fußballunglück, die Hillsborough-Katastrophe eine Rolle, in das Allie hineingerät und sofort zu ermitteln und zu helfen beginnt. Das war während des Halbfinalspiels zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest mit 97 Toten und 766 Verletzten am 15. April 1989. Und Allie vermutet und berichtet, was erst 27 Jahre später Gewißheit wurde, daß es Fehler der Polizei waren, die zu diesem entsetzlichen Geschehen führten.

Noch einmal: die Hauptgeschichte um Ace Lockhart ist interessant, wird aber mit soviel Nebengeschichten angefüllt, plus Privatem – so arbeitet Ronan jetzt wieder in Schottland, weil Ace ihr einen sensationellen Job anbot, der viermal so gut bezahlt wurde, wie ihre alte Tätigkeit in Manchester – das das alles viel zu viel ist. Die Personen bleiben blaß oder einfach zu unsympathisch. So sind auch Fredi und Hans Abziehbilder, was schon für die DDR-Forscherin Wiebke und ihren englischen Freund Colin galt.
Mit einem Wort: weniger wäre mehr gewesen und die Autorin sollte John le Carré echt lesen und nicht nur zitieren.

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Umschlagabbildung

Info:
Val McDermid, 1989 - Wahrheit oder Tod. Ein Fall für Journalistin Allie Burns, Knaur Verlag, erschienen am 3. 7. 2023
ISBN: 978-3-426-52984-3