gluckGeschichten über die Liebe von John Burnside, Penguin Verlag

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Glauben Sie John Burnside nur nicht! Um ‚die Liebe‘ soll es gehen. Die Hauptzeile seines Titels ist da schon ehrlicher, da sind die Wörtchen „So etwas wie…“ ja schon die Distanzierung zum folgenden „Glück“. Glück ist Glück, „so was wie“ bleibt ein Surrogat, ein Ersatz für Glück, für echtes Glück. Und schon hat uns Burnside überführt. Was soll das denn sein, echtes Glück? Das zeigt doch auch, daß man dem Glück nicht über den Weg traut. Dann muß es auch noch echt sein, als ob es falsches Glück gäbe. Ja, gibt es in der Tat. Aber auch das falsche Glück wäre für John Burnside SO WAS WIE GLÜCK. So kommen wir nicht weiter.

Aber der Untertitel GESCHICHTEN ÜBER DIE LIEBE ist ja noch schlimmer. Beginnt man die Kurzgeschichten zu lesen – wichtig, es sind Kurzgeschichten, die man bisher von Burnside, dem Romancier, hierzulande gar nicht kannte – so schüttelt man den Kopf und sagt sich, was ist denn daran Liebe. Und schon wieder ist man dem Autor auf den Leim gegangen. Denn, was Liebe ist, ist weder wissenschaftlich zu beweisen, noch zu quanti- und qualifizieren. Da langt, daß einer das für Liebe hält, was er fühlt. Und schon sind die Geschichten lebensnah, denn die Personen in ihnen sehnen sich alle nach Liebe und das ist schon die halbe Miete. Unmöglich, die zwölf Geschichten auf 252 Seiten wiederzugeben, und das literarische Personal auf seine Liebesfähigkeit bis Liebessehnsucht abzuklopfen.
Bei manchen schüttelt es einen, andere bedauert man, tauschen möchte man mit keinem einzigen. Mich interessieren am meisten die, wo ich mich schüttele. Aus der Kunstgeschichte weiß ich, daß man an seinen Widerständen arbeiten muß. Und den größten Widerstand empfand ich beim Lesen von Roccolo, Seiten 207-238. Ich kann mich in die geschilderte Frau, die von sich als erwachsener Frau immer noch als Tochter spricht, einfach nicht hineinversetzen. Na, ja, muß ich auch nicht, es langt ja, ihre Existenz zur Kenntnis zu nehmen. „Eloise Sereni trank gerne am Nachmittag. ..“. Mit der zweiten Flasche ließ sie sich dann Zeit. Sie besitzt in Italien ein Haus, das ihr Vater Wohnung für Wohnung zusammengekauft hat. Ihr Vater? Er ist allmächtig, erscheint ihr als Drohung wie als Schutz. Dafür, daß er keinen Auftritt hat, tritt er zu häufig in ihren Überlegungen, Gedanken, Gefühlen auf.

Jedes Jahr sucht sie sich einen aus, einen Kandidaten, der für sie der Junge per se wird, der einzige, der im jeweiligen Sommer alle ihre Gefühle bindet und Objekt ihrer seltsamen Phantasien wird. Seltsam? Phantasien? Ja, schon, denn der Höhepunkt ihrer durch diszipliniertes Verhalten zustande gekommenen Vertrauensstellung gegenüber dem jährlichen ausgewählten Jungen, ist es, ihn in den Roccolo – das ist eine große, mit Netzen ausgestattete Vögelfanganlage, was erst seit 1992 verboten ist – zu führen, wo dann den gefangenen Vögeln, hier ein armer kleiner Wicht, die Augen ausgestochen werden sollen. Schon beim Lesen kann man das kaum ertragen, und so ist man froh, daß der Junge auf und davon rennt und der Vogel dann tatsächlich die Freiheit findet und davonfliegt. Eine grausliche Geschichte, an der man, d.h. ich ganz schön zu knabbern habe. Schließlich lebt auch diese Frau nur einmal und bringt ihr Leben mit solch Häßlichem zu, was für sie der Inbegriff von Glück ist?
Und was ist in der zweiten Kurzgeschichte los, die dem ganzen Band den Namen gab: SO ETWAS WIE GLÜCK. Das liest sich deshalb spannend, weil man lange nicht weiß, worauf das überhaupt hinausläuft, wenn die sympathische Erzählerin sich über den Bruder des Freundes ihrer Schwester, Arthur McKechnie ausläßt, der vor ihrem Bankschalter auftauchte – sie ist gerade dort eingestellt worden – und jeden Penny einzahlt, den er wie auch immer ergattert. Sein Bruder Stan ist gewalttätig, kriminell geworden schon als Junge, aber für Marie, die Schwester der Ich-Erzählerin attraktiv. Und dann passiert es, daß Stan seinen kleineren Bruder auf der Straße halb tot schlägt, weil dieser seinen Pullover angezogen hat, der Stan nicht mal steht, wie Marie bissig bemerkt. Er ist nun ein gesellschaftlich Ausgegrenzter, Geächteter – ‚der eigene Bruder‘ – und Marie ist verzweifelt, weil sie sein Verhalten für schlimm hält, aber keine ist, die einen anderen im Stich läßt, wenn’s ihm dreckig geht.
So steht es, als die Erzählerin nach Hause kommt, ihre gedrückte Schwester erlebt und erst einmal sechs Scheiben Toast mit Butter und Marmelade zubereitet. Das weiß sie aus Erfahrung, Essen stärkt. Doch ihre Schwester ist am Tisch eingeschlafen, also ißt sie den Marmeladentoast selber, bereitet noch einmal sechs Scheiben für Maire zu, die jedoch alle wieder selber ißt, „solange sie noch warm waren“. Schluß.

Die Icherzählerin -die Geschichten wechseln die Erzählerebene - erwartet nichts mehr vom Leben, aber sie hat eben beim Verschlingen des Toasts so etwas wie Glück erlebt. Da rieselt es einem kalt den Rücken runter. Von dieser Qualität sind die Erzählungen von John Burnside, in denen man Menschen kennenlernt, die man im eigenen Leben einfach nicht mitbekommt.. Vergessen wird man sie nicht!

Foto:
Umschlagabbildung

Info:
John Burnside, So etwas wie Glück. Geschichten über die Liebe, Penguin Verlag, Oktober 2022
ISBN ‎978-3-328-60264-4












Hilde Moll kennen. In der Folge entwickelte sich eine wilde "Amour fou", mit der ein unbändiger Schaffensdrang einherging: Kokoschka schuf bis zum Ende der Zwei Brüder streiten über einen Pullover. Ein Mann zieht seiner Frau den kranken Zahn. Zwei Versehrte kommen ins Gespräch. Zwischen Gewalt und Glück, Liebe und Lieblosigkeit bewegen sich die Erzählungen und bieten magische Momente der Gegenwärtigkeit.Liebe und Lieblosigkeit bewegen sich die Erzählungen und bieten magisch Zwei Brüder streiten über einen Pullover. Ein Mann zieht seiner Frau den kranken Zahn. Zwei Versehrte kommen ins Gespräch. Zwischen Gewalt und Glück, Liebe und Lieblosigkeit bewegen sich die Erzählungen und bieten magische Momente der Gegenwärtigkeit.r 1915 etwa 450 Zeichnungen und Gemälde, Oskar Kokoschka lernte Alma am 12. April 1912 bei einem Abendessen im Hause ihres Stiefvaters Carl Moll kennen. In der Folge entwickelte sich eine wilde "Amour fou", mit der ein unbändiger Schaffensdrang einherging: Kokoschka schuf bis zum Ende der Liaison im Jahr 1915 etwa 450 Zeichnungen und Gemälde, die in Zusammenhang mit Alma und seiner Passion für sie stehen..