Bildschirmfoto 2023 07 27 um 01.00.37Bernardo Zannoni zeigt, daß Tiere die besseren Menschen sein können, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Tiergeschichten! Tiergeschichten? Zwischen BAMBI, dem Disneyfilm von 1950, der auf Felix Saltens Kinderbuch BAMBI von 1923 beruht, folgte dann auch noch ein Buch – und den moralisch belehrenden Fabeln seit Äsop (um 600 v.Chr.) , aufgenommen von Jean de La Fontaine (1621 – 95) und vielen anderen, liegen Welten. Die Tiere in den Geschichten geben verkappt die Menschenwelt wieder, weil das Gemüt des Lesers beim Lesen über Tiere direkt reagiert und er nicht rationalisiert.

Anthropomorphismus (griechisch ἄνθρωπος ánthropos ‚Mensch‘ und μορφή morphē ‚Form, Gestalt‘) nennt man die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften auf Tiere und auf die Natur überhaupt. Aber diesen klassischen Erzählformen stehen heute – und das seit der Romantik – neue Modelle des Erzählens, meist in Romanform gegenüber. Und ich hätte über MEIN ERSTAUNLICHER HANG ZU FEHLTRITTEN bestimmt noch stärker gestaunt, hätte ich mich nicht zuvor in Michael Köhlmeiers Meisterwerk MATOU – der Kater mit den vielen Leben lernt sprechen, lesen, schreiben - regelrecht verliebt, wobei man die Lebens-Ansichten des Katers Murr von E.T.A. Hoffmann nicht vergessen darf, der Urkater, der über das Leben räsoniert. Wichtig ist also, deutlich zu unterscheiden, was Fabeln leisten sollen und können und solchen Romanen wie MEIN ERSTAUNLICHER HANG ZU FEHLTRITTEN, wo ein Tier die Gedanken und Gefühle äußert und sogar niederschreibt, die sonst den Menschen vorbehalten sind.

Mich hat dieser Roman tief bewegt, auch in einem Ausmaß traurig gemacht, daß ich über mich selber immer wieder den Kopf schütteln mußte, wie sehr mich das Schicksal des erfundenen Steinmarders Archy mitgenommen hat. Denn in seinem Leben geht es hart her, viele Leichen pflastern seinen Weg, an manchen ist er selber beteiligt. Dieser Roman vom 1995 geborenen Italiener Bernardo Zannoni ist ein Debut. Man liest vom Siegeszug des Buches durch die Welt, aber das alles interessiert einen gar nicht, weil der Icherzähler Archy einen von Anfang an packt, wenn er in einem Wurf von sechs Welpen der zweitschwächste (der schwächste ist Giosuè, der bald stirbt) ist, mitten im Winter im Schnee geboren, der Vater von Menschen gerade erschossen, die Mutter mit Füttern völlig überfordert ist.

Übrigens in einem Punkt fließen doch Fabeleigenschaften in diesen Roman ein. Auch hier wird bestimmten Tieren eine typische Eigenschaft zugeordnet. Das Schwein ist dumm und dreckig auch. Der Fuchs ist schlau und listig dazu, aber das wollen wir besser gleich am Handlungsgeschehen weitertragen, wobei bisher Steinmarder wenig Charakteristiken haben. Ob der Vorschlag des Bruders Leroy, den er gegenüber Archy äußert, den kleine Bruder Otis gemeinsam zu verspeisen zu den Gewohnheiten von Mardern gehört, weiß ich nicht. Aber darauf kommt es auch nicht an. Denn wir lesen Tiergeschichten immer mit einem allegorischen Impetus, es geht ja nicht um das Töten und Aufessen des Bruders, sondern darum, daß Verwandtschaft bei Steinmardern kein Wert an sich ist.
Fortsetzung folgt

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Umschlagabbildung

Info:
Bernardo Zannoni, Mein erstaunlicher Hang zu Fehltritten, febundenes Buch 256 Seiten, Rowohltverlag, Erscheinungsdatum:13. Juni .2023
ISBN:978 3 498 003326