Edgar Reitz: Die andere Heimat 1843/44: CHRONIK EINER SEHNSUCHT im Verlag Schirmer/Mosel, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

München (Weltexpresso) – Man glaubt bei den Waldaufnahmen zu Beginn erst gar nicht, daß dies Deutschland sei. Die bemoosten Felsen, die Ursprünglichkeit der Natur, das sieht so alt, so ursprünglich aus, ist aber das Waldgebiet in Lützelsoon! Auch die folgenden Seiten mit den Feldern von Schabbach wirken traumverloren, wenn Vater Johann als lebendige Vogelscheuche die Spatzenschwärme verjagt, die seine Getreideaussaat gefährden.

 

Alles traumhaft. Am 1. April 1842 beginnt Jakob in der Nacht, als er nicht schlafen kann, sein Tagebuch und vertraut ihm, nachdem er sich und seine Eltern vorgestellt hat an: ..aus innerem Anlaß der Stimme seines Herzens die Welt sehen zu wollen, so sie in Büchern beschrieben und von tapferen Reisenden in Erfahrung gebracht worden, insbesondere der Sprachen der Völker wegen, die ich studieren will. So will ich denn diesem Buch getreulich anvertrauen jeden meiner Schritte und ernsten Beschlüsse, bis das Weltmeer meiner wartet, mich in die Neue Welt zu tragen.“ Auf der Abbildung mitten in der Nacht sehen wir den ersten technischen Kniff, der im Film Furore macht, wenn nämlich im traditionellen Schwarzweiß sanft irisierend Farbe auftaucht.

 

Die Tragik des Geschehens ist dann, daß nicht er, sondern der bodenständige Bruder nach Brasilien auswandert, er aber mit den reichen Bildern der Welt im Kopf zu Hause bleibt. Das ist übrigens keine Ausnahmegeschichte, sondern ergab sich oft, daß die handwerklich geschickten Macher in die Ferne zogen und die Sehnsüchtigen daheim blieben, aber im Kopf und der Seele weltläufig blieben. Ein Ereignis der Auszug über den Hohen Rücken des Hunsrück in die ferne Welt. Die hochbeladenen Wagen müßten hier schon steckenbleiben, mußmaßt man. Sie rumpeln und schaukeln und doch erreichen die Auswanderer die andere Heimat und werden dort erfolgreich, ja wohlhabend.

 

Doch, längst ist dieses großformatige 31x26,5 Zentimeter, 237 Seiten lange und schlechthin repräsentative Buch jetzt doch zu einer richtigen Bildergeschichte geworden. Nun sind wir sicher, daß auch diejenigen, die den Film nicht kennen, vom Buch sehr viel haben, denn die Bilder erzählen nun weiter, was auf der Leinwand bewegte Bilder vermochten. Sehr gut, wie nahe Porträtaufnahmen im Wechsel mit weiter Perspektive unsere Aufmerksamkeit organisiert und einfach schön, daß eine ganz kurze Szene, die im Film staunen läßt, hier auf den Seiten 48-49 festgehalten ist: wenn der Vater seiner Tochter eine geschliffene Achatscheibe schenkt, sehen wir beide durch den farbig orange-gelb-braun geschichteten Schliff hindurch.

 

Was mit der Scheibe passiert? Ja, die wird noch eine Rolle spielen. Aber wir wollen nicht die ganze Geschichte weitererzählen, nur kundtun, daß dies ein prachtvoller, so informativer wie schöner Band ist, den man nicht nur einmal betrachtet, sondern gerne wieder in die Hans nimmt. Beispielsweise, wenn Edgar Reitz für seinen wunderbaren Film wieder ein Preis bekommt.

 

Foto: © ERF Edgar Reitz Filmproduktion GmbH / courtesy Schirmer/Mosel

 

INFO:

Edgar Reitz, Die andere Heimat 1843/44. Chronik einer Sehnsucht. Das Buch der Bilder, mit einem Vorwort von Michael Krüger und texten von Edgar Reitz, 240 Sei9ten, 174 Abbildungen in Novatone und Farbe, Verlag Schirmer/Mosel

 

Die Meldung über den Gewinn der Goldenen Lola für DIE ANDERE HEIMAT als Besten Film des Deutschen Filmpreises 2914 sowie die Lolas für Drehbuch und Regie, beides Edgar Reitz finden Sie unter

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/2925-goldene-lola-fuer-die-andere-heimat-von-edgar-reitz

 

wo Sie auch die Links zur Filmbesprechung in Weltexpresso finden