vatermalSerie: Deutscher Buchpreis 2023, Teil 10

Hanno Lustig

Köln (Weltexpresso) – Nicht so mein Ding, Literaturkritik! Filmbesprechungen sind mir lieber, das ist sinnlicher für mich, wenn die Worte nicht nur von Worten erzählen und über sie urteilen, sondern wenn das Medium Film eine andere Reflexionsebene dazwischenschaltet. Wahrscheinlich ist für mich deshalb VATERMAL der Würdige für den besten deutschen Roman 2023!

Denn hier wird nicht nur erzählt, es geht dramatisch zu. Arda ist doch noch jung, ist Student in Berlin, als er als Notfall ins Krankenhaus kommt mit der Diagnose einer Autoimmunerkrankung, die schnell zu einem Organversagen, d.h. Tod führt. Als er das hört, sagt er nicht nur: „Ich will nach Hause“ – das ist das Ruhrgebiet - , sondern fährt auch einfach hin. Zwischen diesen beiden Ereignissen, dem Einliefern als Notfall und der Flucht nach Hause, erzählt der Icherzähler seinem Vater, den er nicht kennt, sein Leben und was das mit ihm, dem abwesenden Vater zu tun hat.

Dramatisch und zugespitzt geht es nicht zu, weil es im Leben des Autors solche Dramen gibt – ehrlich gesagt, wissen wir darüber nichts - , sondern weil die beiden Hauptpersonen, die neben dem Icherzähler eine Rolle spielen, zuvörderst die Mutter, dann auch die Schwester Aylin, in der Sicht des Autors bei seinem Theaterstück zum selben Thema zu kurz kamen, weshalb er ihnen jetzt im Roman Raum gibt. Und so kommt es, daß es eigentlich um die Ansprache an den unbekannten Vater geht, einem politisch verfolgten Türken, der mit Frau nach Deutschland floh, dem aber seine politische Arbeit wichtiger war, weshalb er in die Türkei zurückging, noch bevor der Sohn geboren wurde und sich auch nie gemeldet hat. Man weiß nur, daß er dort erneut geheiratet und erneut Kinder hat.

„Eigentlich“ geht es um ihn, aber der Icherzähler Arda, der ja von sich erzählt, muß zwangsläufig Mutter Ümran und Schwester Aylin, die Bezugspersonen seines Lebens ständig erwähnen, so daß der Brief an den Vater, als der der Roman beginnt: „Wenn du das hier liest, Papa – und hier stocke ich schon…“ sich als ein gut geölte Erzählpraxis erweist, notwendigerweise das Leben von Arda in immer neuen Facetten aufzuschreiben, seine Kindheit ohne Vater, die Freundschaft mit den Gleichaltrigen (Hauptteile des Romans und äußerst interessant) , die Probleme mit der kettenrauchenden Mutter, die allerdings für Schwester Aylin noch viel befremdlicher ist, die ihre Mutter so ablehnt, daß sie mit 16 Jahren das Haus verläßt und die Mutter erst am Krankenbett des jüngeren Bruder wiedersieht. Übrigens wird Arda nie wieder Papa schreiben, er nennt ihn fürderhin bei seinem Namen: Metin.

Dieses, Das-Leben-Revue passieren lassen, wäre schon als Gedankenkonstrukt bei einem drohenden Tod sinnvoll, am Krankenbett auch, aber als Brief erhält es eine weitere Dynamik, weil dann das Unterbrechen des Schreibens nicht so schwer wiegt, wie es bei einem Gespräch am Krankenbett wäre. Der schreibende Patient läßt uns keine Sekunde glauben, das wäre fiktiv, er liegt im Bett mit der realistischen Aussicht zu sterben, wo er mit dem Leben doch eben erst anfängt.

Denn die Kindheit und Jugend, das wußte er immer und weiß es für immerdar, war geprägt durch sein Ausländerdasein. Allein die Szenen bei der Ausländerbehörde, beim Sachbearbeiter Kozminski, den er Jahr um Jahr aufsuchen mußte, einem Namen, der auch nicht an einen Bio-Deutschen denken läßt – wie die türkischen Jungens die Einheimischen nennen – allein die Szene bei Kozminski ist loriotreif!, wobei mir einfällt, wie sehr mir ein Loriot heutzutage fehlt ! Also dort muß Arda an seinem 18. Geburtstag zu Erlangung des deutschen Passes erst die Fragen nach seinem Vater beantworten, daß er weder weiß, wo der ist, ihn nicht persönlich kennt, ihn ausgiebig gesucht, aber nicht gefunden hat. Dann muß er alle Papiere zeigen, die Geburtsurkunde aus Deutschland, die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung der Mutter, Nachweis des Konsulats, daß der im Ruhrpott Geborene nicht heimlich türkischer Staatsbürger ist, alles da, aber dann soll er, der Abiturient, auch noch einen Sprachnachweis von 300 Zeilen verfassen, obwohl doch seine Zeugnisse in der Akte liegen. Was er schreibt, spielt keine Rolle, sagt Kozminski noch. Und verbessert ungerührt am Text auch nur ein fehlendes Komma und ‚eurem‘ Benz.

Der Text: „Ich werde eure Töchter vögeln bis sie arabisch sprechen. Ich klaue euren Söhnen den Praktikumsplatz, mach sie drogenabhängig und verkaufe ihre Organe auf dem Basar. Ich breche nachts den Stern von euerm Benz und trage ihn an meiner Halbmondkette. Ich will kein Arzt oder Anwalt werden. Ich werde Superstar oder arbeitslos.“

Seltsam, daß Kozminski nicht aufgefallen ist, daß man Arabisch sprechen schreibt, also groß und darüberhinaus in der Türkei überhaupt nicht Arabisch gesprochen wird, sondern Türkisch.

Grandios das Buch!