deutsche bank stiftungSerie: Deutscher Buchpreis 2023, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als Dritter kam Tonio Schachinger dran, dessen Moderator wieder Christoph Schröder war, der sich sicher bemühte, aber keinen wirklichen Zugang zu Tonio Schachinger und seinem Roman ECHTZEITALTER bekam, wenn man, wie ich, dessen Lesung in der Deutschen Bank mit dem Moderator Torsten Casimir erlebt hatte. Das ist schon ein Mysterium, wie unterschiedlich beim selben Buch und beim selben Autor eine Lesung ausfällt. Dabei wurden ja die Personen, die Hauptfigur des erst kleinen, dann wachsenden Till, der mit seinem 18. Lebensjahr – schon wieder ein Roman, wo die Großjährigkeit etwas einbringt, hier eine Wohnung und Geld, dort die Staatsbürgerschaft – vorgestellt.

Es geht bei der Darstellung des Internats und seiner Schüler dem Autor darum, eine Kaderschmiede zu schildern, in der die zukünftige Elite des Landes zu dieser ausgebildet werden soll, mit den notwendigen personellen Vernetzungen, die Voraussetzung für ein funktionierendes Netzwerk sind. Der Knabe Till will damit nichts zu tun haben, es langweilt ihn, der längst auf einem anderen Feld erfolgreich ist. Er ist ein Spieler, ein leidenschaftlicher Computerspieler, der in einem bestimmten Strategiespiel mit seinen 15 Jahren der jüngste Top-10-Spieler der Welt ist. Und dann muß er sich von seinem Klassenvorstand, wie in Wien die Klassenlehrer genannt werden, als dummer Junge behandeln lassen, der jede Verspätung mit drakonischen Maßnahmen ahndet. Andererseits ist dessen Bildungsprogramm zwar bildungsbürgerlich, aber in tiefer Liebe zur klassischen Literatur motiviert. Daß die Schule die sozialen Klassen perpetuiert und sozusagen Bildung vererbt wird, macht die Bevölkerung Österreichs zu einem starren System, wo auch diese Art von Schulbildung wie ein Code wirkt, die bestehende Ordnung und die Besitzverhältnisse aufrecht zu halten. Das gilt übrigens auch für Deutschland, kam der Zuhörerin dabei in den Sinn.

Schachinger spricht deutlich über diese Zusammenhänge und greift auf das Ibiza-Video zurück, in dem mit der Person Gudenus der ideale Abgänger des Marianums seine fiese, weil verlogene und kaufbare Seite zeigt. Der Roman sei ein echter Bildungsroman.

Mit Necati Öziri und seinem Roman VATERMAL, hier der vierte und für heute letzte Auftritt kam wieder Alf Mentzer ins Spiel, der allerdings wenig zu tun hatte, weil der Dramatiker Öziri eigentlich für seine Lesung keinen Moderator braucht, weil er das selbst erledigt. Das Fragen und das Antworten. Er stellte den Zusammenhang her zwischen seinen dramatischen Werken und seiner Tätigkeit am Berliner Maxim-Gorki-Theater, wo er das Thema als Stück verarbeitet hat, aber den Frauen, der Mutter und Tochter zu wenig Raum lassen mußte. Übrigens hat Sohn Arda wirklich das gleiche Mal unter dem Auge wie sein Vater Meti, da braucht’s keine DNA-Probe, aber an der Vaterschaft hatte eh niemand gezweifelt.


Resümee

Leider bleibt das auf die vier Lesungen beschränkt und läßt die Romane von Terézia Mora MUNA oder die Hälfte des Lebens sowie Anne Rabes DIE MÖGLICHKEIT VON GLÜCK unberücksichtigt. Bei den vier Romanen geht es dreimal um junge Männer, eine Abrechnung mit dem Vater und ein Lebensrückblick als Student (VATERMAL) , es geht um den Despotismus, der in einer Eliteschule ausgeübt wird, wo der Schüler sich dennoch in genau anderer Richtung entwickelt (ECHTZEITALTER) und es geht bei DRIFTER um die beiden Freunde Wenzel und Killer die einem auch als Erwachsene doch wie Pubertierende vorkommen, das Kind im Manne sozusagen.Während in den beiden ersten Fällen die jungen Männer aus gesichertem Hafen, der eine liegt todkrank im Bett, der andere hat die Matura bestanden, kommen, und sie abgesehen vom Älterwerden keine Wesensveränderungen erfahren, wirbelt DRIFTER das Freundespaar Wenzel und Killer ganz schön herum. In diesem Roman, der nun ausgesprochen kein Entwicklungsroman ist, was ja für VATERMAL UND ECHTZEITALTER durchaus gilt, verändern sich die Personen ständig, was nicht nur für die beiden Freunde gilt, sondern eigentlich für alle Protagonisten des Buches, das nichts so läßt, wie es war, sondern mit Blitz, aber ohne Donner die Welt im Kleinen verändert.

Nur Sylvie Schenk brachte mit MAMAM eine Frau ins Spiel und das gleich doppelt. Es schreibt die Tochter über die Mutter und dichtet ihr im Schreibprozeß ein innigeres Leben an, als sie es wahrgenommen hatte und sicher auch euphemistischer als es wirklich war. Es ist neben aller Realität von Armut und Männergewalt, die bitter beschrieben wird, auch ein Versuch, der Mutter im Nachhinein eine andere, eine tiefere Bedeutung zu geben, als man es als Kind und erwachsene Frau eingeschätzt hatte.

Die Romane haben all etwas für sich, allerdings kreisen sie sehr um Familie und das Erwachsenwerden und haben wenig utopisches, auch wenig gesellschaftliches Potential 

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