Serie 1.Weltkrieg: »Der Große Krieg. Die Welt 1914 – 1918«, als Einladung der Hessischen Landeszentrale am 19. Mai in Frankfurt, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein aufregender Abend wurde die Veranstaltung in der Deutschen Nationalbibliothek, die den Politikwissenschaftler Herfried Münkler aufs Podium holte, der von Andreas Platthaus (FAZ) zum Sprechen gebracht werden sollte und aus seinem 924 Seiten starken Geschichtswerk las.

 

Münkler zum Sprechen zu bringen, ist nicht schwer. So feinsinnig und klug dies Gespräch dann war, gleich noch mehr davon, hat Münkler doch mit seiner Lesung diejenigen verblüfft, und zwar völlig verblüfft, die von einem so dicken Werk alleine das erwarten, was Bücher über Geschichte auszeichnet, nämlich möglichst lückenlos Bericht zu erstatten, wie es gewesen ist. Was um so wichtiger wird, weil spätestens mit dem zuvor herausgekommenen Werk von Christopher Clark DIE SCHLAFWANDLER neue Deutungen der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges mit Aplomb in der Diskussion sind, Herfried Münkler aber die erste umfassende Abhandlung über den gesamten Ersten Weltkrieg, also DIE WELT VON 1914-1918 leistet. Die erste seit 46 Jahren, wie es hieß. Was, wie Münkler interpretierte, auch daran liegt, daß sich der damalige Hamburger Historiker Fritz Fischer (1961, GRIFF NACH DER WELTMACHT) mit der Kriegsschuldfrage der Deutschen durchgesetzt habe gegen Gerhard Ritter (Wortführer des westdeutschen Historikerverbandes) aus Tübingen.

 

Keine Sorge, alle diese Vorgänge, die Kriegsdetails breitet Münkler in einem dramaturgisch aufbereiteten Szenario in seinem Buch auch aus. Zum Vorlesen nahm er aber zwei Passagen, die dieses Buch über ein Buch des Ablaufs und seiner offensichtlichen Begründungen hinaus auszeichnet, nämlich eine tiefenpsychologisch motivierte Analyse zu liefern, weshalb der Krieg plötzlich so gewollt, so unausweichlich, so herbeigesehnt wurde. Wobei wir das „plötzlich“ inhaltlich gleich zurücknehmen müssen, stattdessen formulieren müßten, daß diese Leidenschaftlichkeit „plötzlich“ und mit Macht wahrgenommen wurde, was als Urgrund schon länger gärte.

 

Besorgen Sie sich das Buch und lesen Sie – wie Münkler an diesem Abend – DIE KRIEGSERKLÄRUNG ALS FEST (Seite 222ff), wo es um das „Augusterlebnis“ geht, in dem dann das Pathos des Kaisers, „er kenne im jetzt beginnenden Krieg 'keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche'“ das zusammenfaßte, was dies Massenerlebnis ausdrücken wollte und sollte. Abgesehen davon, daß Münkler überhaupt das Kriegswollen den Mittelschichten zuschiebt, die sich hier auf des Feudalsystems ureigenstem Feld, dem Schlachtfeld, als neue gesellschaftlich dominierende Kraft erweisen und beweisen wollten, kommt er zu einer über die Sprache gewonnenen erkenntniserhellenden Differenzierung des Begriffs des Opfers und des Opferns, was auch für die Opferbereitschaft zu Kriegsbeginn gilt. Während im Deutschen das Opfer und das sich Opfern sprachlich eine Einheit bilden, machen die romanischen und auch die englische Sprache die aus dem Latein herrührende Unterscheidung zwischen victima und sacrificium.

 

Münkler führt nun aus, daß die neueren Untersuchungen zur Regionalforschung ergeben, daß in den Kleinstädten und auf dem Land eine „viktime Grundstimmung“ geherrscht habe, eine Bangigkeit vor dem Ausgeliefertsein, wie es dem passiven schicksalhaften zum Opfer werden zusteht , während in den größeren Städten (und bei den Intellektuellen) eine „sakrifizielle Gestimmtheit“ (S. 225) vorherrschte, eine Selbstfeier, die durch lautes hingebungsvolles Singen von patriotischen Liedern und einer stark nationalistisch eingefärbten Kriegslyrik Ausdruck fanden. In diesem Selbstverständnis feierte sich eine heroisch gesinnte Gesellschaft selbst. Sehr anschaulich, wie er diese Gegebenheiten auf den ein Jahr zurückliegenden Skandal um Igor Strawinskis LE SACRE DU PRINTEMPS bezieht, der „die Bilder aus dem heidnischen Rußland“ auch als „Das Frühlingsopfer“ betitelte. Neu ist das alles nicht, darauf legt auf Münkler wert, wenn er in diese Analyse die Begriffe von Stefan Zweig aufnimmt, der vom archaischen Charakter der Kriegsfreude sprach, wobei einem dann sofort die Frühjahrsriten der Antike einfallen, aber auch die „grausame Verjüngung“ (Münkler) beispielsweise des mexikanischen Frühjahrsgottes Xipe totec, dem symbolisch die Haut abgezogen wurde, wenn an jungen Männern dies vorexerziert wurde.

 

In einem weiteren Beispiel weiter hinten auf den Seiten 462 ff geht es dann um die Erosion der Kampfbereitschaft und der Verfall der Disziplin, wobei sich die Sozialdemokraten nicht damit abspeisen lassen wollten, daß Heldentum ausschließlich eine aristokratische und bürgerliche Angelegenheit sei, sondern auch für die Arbeiterklasse Heldentum beanspruchten, was aber voraussetzte, daß man das Heroische für sie ebenfalls reklamiert und damit gutheißt.

 

Aus der lebhaften Diskussion soll noch herausgegriffen werden, daß Münkler als ein Ergebnis des Ersten Weltkrieges auch die heutige Verfaßtheit der Staaten des ehemaligen Osmanischen Reiches ansieht, das 1918 ein Ende fand. Von Irak über Syrien und Libanon - „das nächste Land ist Jordanien“ - im Nahen Osten, bis zum Rande der Sowjetunion, besonders in der Ukraine sichtbar, hätten sich diese Länder (multinational, multikonfessionell, multiethnisch) als unfähig erwiesen, einen jeweils geeinten Nationalstaat zu bilden und seien zudem zum Spielball von Weltmächten geworden. Am Beispiel der Ukraine werden man noch erleben, was sich gerade andeutet, wie Ost und West in einen „Alimentierungswettbewerb“ um die Ukraine treten, statt wie früher ins Wettrüsten, was „Putin noch wundern und in die Knie zwingen werde.“ Fortsetzung folgt.