KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Mai 2014, Teil 1

 

Elisabeth Römer 


Frankfurt am Main (Weltexpresso) Schon beim letztem, seinem ersten Mal, kam dieser Krimi direkt auf den zweiten Platz. Das Besondere ist erst einmal, daß ein deutscher Autor aus Berlin sich mit seinem Krimi nach Algerien begibt und einen eindrucksvollen internationalen Politthriller schafft, der es mit den großen der Welt mühelos aufnehmen kann. EIN PAAR TAGE LICHT hat den BAK-Mann Ralf Eley zum Helden, der den entführten deutschen Rüstungsingenieur mitsamt seinen Entführern auf finden soll. Doch ist er dabei nicht alleine.

 

Auch das Militär und der Geheimdienst sind auf den Spuren des Entführten. Die offizielle Begründung der Tat: Al-Qaida. Die Entführer geben sich in der Tat als Islamisten aus, gehören jedoch zu einer geheimen, eher an westlich-demokratischen Werten orientierten Widerstandsbewegung an. Parallel zu diesem, durch internationale Liebes- und Loyalitätsverwicklungen weiter aufgeladenen Handlungsstrang zerren in Deutschland entgegengesetzte politische und wirtschaftliche Kräfte an neuen Rüstungsdeals mit dem arabischen Land, das als Bollwerk gegen islamistische „Fehl“-Entwicklungen der Arabellion strategische Bedeutung hat. Bottini gelingt es, komplizierte politische, kulturelle und kriminelle Aktivitäten spannend und intellektuell anregend zu erzählen.



Uns gefällt vor allem, daß hier endlich einmal wieder internationale Verwicklungen eine Rolle spielen, in denen Deutsche mitmischen. Daß es sogar der Geheimdienst ist, macht die Sache noch spannender. Es weht durch den ganzen Roman eine Saharaluft, möchte man sagen, eine Leichtigkeit, die die Schwere des Themas erträglicher macht. Deutsche Kriminalromane sollte man zwar nicht muffig nennen, aber allzugerne braten sie im eigenen Saft. Keine Bange, den Deutschen wird hier auch die Leviten gelesen, aber nicht den kleinen Kriminellen, sondern denen, die mit der Politik im Bunde fast unbgehindert die ganz großen Geschäfte machen. Bottini gelingt es dabei, keine Cahraktermasken agieren zu lassen, sondern Personen, die man sich als Mitbürger vorstellen kann. Der Titel ist übrigens nur ein Zitat aus dem Buch, nebenbei gesprochen.



Neu auf der KrimiZEIT-Bestenliste Mai finden Sie vier Titel, zwei amerikanische, einen französischen und einen kubanischen  Ursprungs, die auf Anhieb die Plätze 2, 3, 5 und 10 einnehmen. Doch gibt es auch Verluste zu beklagen, wir nämlich vermissen die beiden, im April erstmals gesetzten fünften und sechste Plätze. Das war Sascha Arango mit DIE WAHRHEIT UND ANDERE LÜGEN von C.Bertelsmann auf dem 5. Rang und Adam Sternbergh mit SPADEMAN, erschienen bei Heyne, auf dem 6. Platz. Beide tauchen dieses Mal nicht mehr auf. Sascha Arango hatten wir das letzte Mal ausführlich gewürdigt, weil wir seine Plazierung ahnten und das Buch sofort verschlangen. Bitte lesen Sie diese Passagen vom letzten Mal. Gerne hätten wir noch mehr dazu geschrieben, denn DIE WAHRHEIT UND ANDERE LÜGEN, auch als Hörbuch im Hörverlag in München erschienen, finden wir so raffiniert wie leicht zu lesen – mit dem gewissen Etwas dazu.



Platz 2 erstürmte Ross Thomas mit FETTE ERNTE aus dem Alexander Verlag. Das Besondere daran ist, daß das Original schon 1975 erschien. Tobias Gohlis schreibt dazu: Ross Thomas ist einer der interessantesten und intelligentesten Autoren unter den beileibe nicht langweiligen und dummen Verfassern politischer Kriminalliteratur. Der 1926 geborene und 1995 verstorbene US-Amerikaner war Journalist in Deutschland, Politikberater und Drehbuchautor (u.a. half er Wim Wenders bei der Fertigstellung von „Hammett“). Seine Romane sind gesättigt von Erfahrungen aus dem Politikbetrieb, der sich von organisierter Kriminalität oft nur in Nuancen und Legalität des Schutzes unterscheidet. Fette Ernte erschien auf Deutsch so verstümmelt, daß der Alexander-Verlag für seine verdienstvolle Werkausgabe eine neue Übersetzung erstellen ließ.



Übersetzer Jochen Stremmel läßt in seinem Nachwort aufscheinen, was dem Leser der ersten Version entgangen ist. Daher bewertet die Jury der KrimiZEIT-Bestenliste FETTE ERNTE als Deutsche Erstausgabe und gönnt sich das Vergnügen, Ross Thomas zu würdigen. Fette Ernte ist ein skurriler, witziger, analytischer Roman, der einem großen Betrug mit Weizentermingeschäften und internationalen Kalter-Krieg-Implikationen auf die Spur kommt. „Seine Helden haben Lernprozesse hinter sich, die (..) schließlich zu einer Abgeklärtheit führten, so daß auch ein eigentümlicher, herrschaftsfreier Blick auf öffentliche und private Vorgänge entstehen konnte.“ (Thomas Wörtche über den „demokratischen Realismus“ bei Ross Thomas). So weit Tobias Gohlis und sein Jurykollege. Unsere Einschätzung das nächste Mal.



Wie stark wir NAIROBI HEAT von Mukoma wa Ngugi finden, der vom 10. auf den 4. Rang vorschnellte und im Transit Verlag erschien, hatten wir das letzte Mal einen ganzen Artikel lang begründet. Dieser – nur in zwei Kontinenten spielende – Abenteuerroman, bildet eine Achse von den USA, konkret Wisconsin nach Nairobi; also Kenia. Bitte nachlesen. Auf Platz 5 folgt KETZER von Leonardo Paduraaus dem Schweizer Unionsverlag, der wieder einmal einen Krimi auf der Liste hat. Leonardo Padura, international berühmt durch das HAVANNA-QUARTETT um Inspektor und Antiquar Mario Conde, schlägt in seinen jüngsten Romanen Schneisen durch die Weltgeschichte und verknüpft sie mit dem nur scheinbar kleinen Alltag auf der Karibik-Insel. Mit dem MANN, DER DIE HUNDE LIEBTE machte er die Tatsache bekannt, dass der Mörder Trotzkis Jahre lang in Kuba lebte. In Ketzer erinnert er an das Schicksal hunderter jüdischer Flüchtlinge 1939, denen trotz gültiger Visa die Einreise nach Kuba verwehrt wurde. Eine Kommentierung das nächste Mal. Fortsetzung folgt.

Die KrimiZEIT-Bestenliste Mai 2014

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(2)

Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht

DuMont, 512 S., 19,99 €

Algerien/Deutschland. Deutscher Ingenieur von Islamisten entführt! BKA-Mann Eley und algerische Militärs suchen fieberhaft. Parallel in D: Politgerangel um Rüstungsexport. Interkulturelle Liebschaften, demokratische Terroristen – ausgefuchster Politthriller, erhellend durch Möglichkeitssinn.

2

2

(-)

Ross Thomas: Fette Ernte

Aus dem Englischen von Jochen Stremmel

Alexander, 344 S., 14,90 €

Washington D.C. Bevor er das Komplott aufdecken kann, von dem er auf der Club-Toilette gehört hat, wird Ex-Präsidentenberater Gilmore umgelegt. Höchst geschickt forschen seine Erben nach. Grotesker Witz, stilvolle Briganten, große Schwindel: Ross Thomas hatte es drauf wie kaum einer.

3

3

(-)

Dominique Manotti: Ausbruch

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Argument/Ariadne, 256 S., 17,00 €

Mailand/Paris 1987-88. Carlo, Kämpfer der Roten Brigaden, und der Kleinkriminelle Filippo fliehen aus dem Knast. Carlo stirbt, Filippo gewinnt die Herzen der Linken mit seiner Romanversion der Ereignisse. Bis die Realität die Aufstiegsträume kalt erwischt: illusions perdues.

4

4

(10)

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Aus dem Englischen von Rainer Nitsche

Transit, 176 S., 19,80 €

Maple Bluff, Wisconsin/Nairobi. Der Fall einer toten Blondine vor der Haustür des ruandischen Menschenrechtlers Professor Joshua führt Detective Ishmael von Wisconsin nach Nairobi. Dort lernt er mehr über Identität, Gewalt, Geld und Gewissenlosigkeit, als ihm lieb ist. Starkes Debüt.

5

5

(-)

Leonardo Padura: Ketzer

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein

Unionsverlag, 656 S., 24,95 €

Havanna/Amsterdam 1939, 1648, 2007. Paduras Triptychon breitet jüdische Geschichte, Rembrandts Kunst und kubanische Jugendrevolte zwischen zwei Kriminalfällen aus, vertrauter Ermittler: Mario Conde. Ohne Ketzer, die die Normen brechen, keine Freiheit: Interkontinental aktuell.

6

6

(8)

Karim Miské: Entfliehen kannst Du nie

Aus dem Französischen von Ulrike Werner

Bastei Lübbe, 336 S., 8,99 €

Paris/New York. Salafisten und Chassiden in La Villette: Zusammenknall der Fundamentalisten. So scheint es, als Laura, abtrünnige Tochter von Zeugen Jehovas, auf ihrem Balkon ausblutet. Im Kern dieses Rohdiamanten von Roman stecken Wut, Drogen, Freud und Ellroy. Arab Jazz!

7

7

(7)

Urban Waite: Wüste der Toten

Aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger

Knaur, 378 S., 9,99 €

New Mexiko. Ein letzter Job, damit Ray Lamar nach Hause zurückkehren kann. Der Überfall auf den Drogentransport geht schief, Fahrer und Beifahrer sind weitere Tote, die Ray auf dem Gewissen hat. Düster wie ein Sandsturm: Ein Mann geht aufrecht in den Untergang.

8

8

(1)

David Peace: GB84

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 544 S., 24,80 €

Großbritannien, großer Streik. Gewerkschaft NUM und Bergarbeiter gegen Thatcher und Zechenschließung. An der Schwelle zum Bürgerkrieg wuseln Gewerkschafter, Politiker, Einpeitscher, Spitzel, Streikbrecher, Mörder. Das Ende der Kohlewelt: kolossal noir.

9

9

(3)

Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Missouri 1929. Alma, die Magd, hat miterlebt, wie Bankier Glencross sich in ihre Schwester Ruby verliebte und sie verriet. Alma weiß auch, wie es zu der Explosion kam, bei der 42 Menschen starben. Familiengeschichte aus einer Stadt, die fast ein Jahrhundert lang schwieg.

10

10

(-)

 

Jonathan Woods: Die Tote von San Miguel

Aus dem Englischen von Winfried Czech

Aufbau, 272 S., 9,99 €

San Miguel de Allende, Mexiko/Dallas. Amanda, Künstlermodell aus Texas, liegt erwürgt und augenlos im Park des mexikanischen Aussteiger-Eldorados. Inspector Diaz raucht, säuft, vögelt und ermittelt, assistiert von Windgott Ehécatl. Pulp-frech: Diaz schafft Ordnung, sogar in Dallas.

INFO I:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Mittwoch, den 30. April 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 30. April 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, »Penser Pulp bei Diaphanes«, »culturmag«, »DRadioKultur«

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

INFO II:

Auf der LEIPZIGER BUCHMESSE wurde die KrimiZEIT-Bestenliste am Stand von AUSGEZEICHNET vorgestellt. Tobias Gohlis sprach mit Friedrich Ani und Conny Lösch über die KrimiZEIT-Bestenliste und Qualität in der Kriminalliteratur.

Am Freitag, 14. März 2014, Stand 13/Ausgezeichnet in der Glashalle, 16:00 Uhr.