‚Ein autobiografischer Roman‘ von den Siebzigern in Rumänien bis ins heutige Berlin, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dies Buch gehört zu denjenigen, die man gar nicht gerne bespricht, weil man lieber sagen möchte: Selber lesen, denn der Ton macht die Musik und den rechten Ton beherrscht Samuel Finzi in allen Lebenslagen und auf allen Brettern der Welt, auf der Filmleinwand und nun auch noch in Schwarz auf Weiß im Roman seines Lebens. Sozusagen ein Zwischenbericht, denn er ist ja erst 57 Jahre alt und hat noch viel vor.
Daß er am 20. Januar 1966 in Plowdiw geboren wurde, ist insofern interessant, weil diese Stadt, die Heimat seiner Mutter, vorwegnimmt, was ihn ein Leben lang begleiten wird: „Für meine Kumpel in Plovdiv war ich ein kopele, ein Bastard, ein zugezogener Angeber aus der Hauptstadt. Bei meinen Freunden im Kiez in Sofia hingegen galt ich als ein maina, ein in Plovdiv geborener Provinzler. Man verlangte von mir, Farbe zu bekennen. Ich aber hatte keine Lust, mich zwischen maina oder kopele zu entscheiden. Sobald ich mich der einen Seite näherte, fing ich automatisch an, die Vorzüge der anderen zu verteidigen – teils aus Trotz, teils aus dem Bedürfnis, mich zu unterscheiden. Mir gefiel die doppelte Stadtzugehörigkeit.“
Er ist einer, der überall zu Hause ist und sich gleichzeitig vorbehält, auch ein anderer zu sein, kein ewiger Wanderer, sondern eher einer, der mit Witz den Leuten die Wahrheit verkauft. Ein echter Schelm, der problemlos in viele Rollen schlüpfen kann. Darauf hat ihn sein bisheriges Leben vorbereitet, das versteht man nach seinem autobiographischen Roman noch viel besser. Daß sein Spitzname von kleinauf ‚Sancho‘ ist, vergnügt einen, denn natürlich hat man sofort Sancho Panza vor Augen, den bauernschlauen Begleiter seines schwierigen Herrn. Ob Samuel Finzi weiß, daß Franz Kafka 1917 ein Stück DIE WAHRHEIT ÜBER SANCHO PANSA schrieb, wo alles ganz anders ist?
In Sofia wohnte die Familie in einem Haus, dessen Terrazzofußboden sich bis in die Wohnungen hineinzieht. Und mit dem Terrazzoboden in Berlin-Charlottenburg hatte Finzi seine Erinnerungen begonnen, der zieht sich jetzt also auch durch das Buch! „Unsere Wohnung liegt im rechten Flügel im zweiten Stock. Sie verfügt über ein Vestibül, eine Küche, ein Badezimmer eine Toilette, ein Elternschlafzimmer und ein Kinderzimmer. Im Schlafzimmer der Eltern befinden sich außer den beiden Betten, die hintereinander an der Wand stehen, auch der Konzertflügel meiner Mutter und ein Klavier.“ Mehr muß man nicht wissen, um den kulturellen Hintergrund der Familie zu erfassen und das Leben und Überleben im angeblich kommunistischen Bulgarien zu verstehen,. Denn immerhin war Kultur ein anerkanntes Gut, es gab Theater und Konzerte, die das finanzielle Überleben der Familie sicherte. Sie gehörten – der Vater als Schauspieler, die Mutter als Pianistin - zur Boheme der Gesellschaft und es war kein schlechtes Leben, das er als Knabe und als Heranwachsender führen konnte, bei aller Oberaufsicht der Partei und Restriktionen.
Übrigens gab es schräg vom Haus der Familie in Sofia das Kino Georgi Dimitroff, dessen Namen wir nur im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand kennen. Dringend Seite 24 f lesen! Für Sancho wird dieses Kino einer der wichtigsten Schauplätze seines Lebens: „Ich spaziere morgens um zehn Uhr hinein und gucke mir drei oder vier Filme hintereinander an.“
Höchste Zeit die Großeltern vorzustellen, die Finzi liebevoll zeichnet: Die starke Großmutter Mathilda und der elegante Großvater. Mit leichter Hand skizziert Finzi nicht nur die eigentliche Familie, sondern auch die Freunde und die erste Liebe zu Emilia. „Aber habe ich sie jemals geküsst? Ich müsste es eigentlich wissen. War ich nicht mutig genug? Hätte ich’s denn sein müssen, mit dreizehn?“ Sie ist die Enkelin des Staatsoberhaupts Todor Schiwkow. geht wie er auf die Eliteschule des Landes, wo er nicht lange bleibt.
Beim Lesen hat man den Eindruck, daß Finzi großherzig manches unter den Tisch fallen läßt, die Verhältnisse also und die Folgen für die Familie und sich auf das konzentriert, was gut ausging, wie die Aktionen seines Vaters, eines bekannten Bühnenschauspielers, der ihm dann auch noch 1989 den Weg in den Westen ebnete.
SAMUELS BUCH gehört zu den Büchern, dessen Ende man bedauert und hofft, daß er eine Fortsetzung schreibt, die dann um sein Ankommen im Westen und die Folgen handelt.
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Buchumschlag
Info:
Samuel Finzi , Samuels Buch . Ein autobiografischer Roman, Mitarbeit Geoffrey Layton, Ullstein Verlag 2023
ISBN 978 3 550 20043 4
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