Bildschirmfoto 2023 11 05 um 09.00.47Zum Bütefisch-Ordensskandal schreibt er nur aus alten Zeitungen ab

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Als vor Jahren aus dem Präsidialamt verlautete, der Umgang der deutschen Bundespräsidenten mit der NS-Vergangenheit solle kritisch untersucht werden, war die Erwartung bei der interessierten Öffentlichkeit zunächst groß. Das änderte sich allerdings, nachdem durchgesickert war, dass der Auftrag an Norbert Frei gegangen sei, dem der Ruf vorauseilt, der Historiker lasse beim Umgang mit politischen Größen gern Milde walten. Insofern neigt sich sein Berufskollege Volker Weiß ziemlich weit aus dem Fenster, wenn er als Rezensent in der Süddeutschen Zeitung schreibt, Freis Buch sei bahnbrechend. Davon kann nun weiß Gott nicht die Rede sein, allein wenn man das kümmerliche Ergebnis seiner Recherchen zur Ordensaffäre Bütefisch in den Blick nimmt.

Diese Affäre hatte Bundespräsident Heinrich Lübke 1964 mit seiner Entscheidung ausgelöst, von dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG, Heinrich Bütefisch, die sofortige Rückgabe des Großen Bundesverdienstkreuzes zu verlangen, mit dem er ihn in Würdigung seiner Verdienste beim Wiederaufbau kurz davor noch geehrt hatte. Sowohl der Bundespräsident als auch alle anderen Beteiligten an der Ordensverleihung hatten entweder vergessen oder bewusst verdrängt, dass Bütefisch 1948 im Nürnberger Prozess gegen IG-Farben-Industrielle wegen Ausbeutung von Auschwitz-Häftlingen zu Sklavenarbeit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel behauptete die Ordenskanzlei, ein „Unbekannter aus Süddeutschland“ habe durch einen Anruf zu Recherchen des Präsidialamtes geführt. Bei Norbert Frei heißt es jetzt unter Berufung auf den Spiegel, ein Anruf „aus dem Ausland“, vielleicht auch aus „Süddeutschland“ habe das Amt informiert, dass es einen von den Amerikanern rechtskräftig verurteilten SS-Obersturmbannführer ausgezeichnet habe.

Dass ich es war, der die Affäre angestoßen hat, habe ich in Wahrnehmung meiner journalistischen Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich bekundet, erstmals am 21. November 1990 in einer Sendung bei Radio Bremen und später dann ab 2003 in allen Auflagen meines Buches zum Auschwitz-Prozess. (Asche auf vereisten Wegen, PapyRossa Verlag, Köln). Im März 1964, damals war ich stellvertretender Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung die DIE TAT in Frankfurt am Main, habe ich die Leser meiner Zeitung darüber informiert, dass ein Beteiligter an den Massenmorden in Auschwitz mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist . Aus Erfahrung wusste ich, dass sich keine einzige amtliche deutsche Stelle bemüßigt fühlen wird, etwas zu unternehmen. Aus diesem Grund habe ich der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, dem Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz, das wir abonniert hatten, ein paar Zeilen über den unglaublichen Vorgang geschrieben. Daraufhin bekam ich mit Datum vom 30. März 1964 folgenden Brief aus der Schweiz::

„Es dürfte Sie interessieren, dass Ihre Zuschrift den ganzen Rückzug ausgelöst hat. Unsere, routinemäßig erfolgte, sichernde Rückfrage betreffend die Tatsächlichkeit der Ordensverleihung, direkt bei der zuständigen Stelle, war die Initialzündung. Weder bei der Ordenskanzlei des Bundespräsidenten, noch bei der nordrhein-westfälischen Regierung war vorher etwas von einem Protest gegen diese Ordensverleihung bekannt. Innerhalb einer halben Stunde jedoch wurden sowohl der Bundespräsident wie auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident mobilisiert, und es kam schließlich zu den Ihnen bekannten administrativen Folgen und dem Rauschen im deutschen Blätterwald.“

Natürlich habe ich diesen Brief in all meinen Veröffentlichungen zum Ordensskandal Bütefisch erwähnt. Herr Frei wird sagen: Muss ich das Zeug lesen, das von den Verfolgten des Naziregimes in die Welt gesetzt wird. Im vorliegenden Fall hätte sich das empfohlen, lautete der Arbeitsauftrag doch: Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit. Da sollten Publikationen, die von der Welt der Opfer des Naziregimes handeln, zur Pflichtlektüre gehören.

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Umschlagabbildung

Info:
Norbert Frei, Im Namen der Deutschen: Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit , C.H. Beck 2023