Gezi- Eine literarische Anthologie“ aus dem binooki-Verlag

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - In diesen Tagen bemüht sich der türkische Ministerpräsident Erdogan fürsorglich darum, dass die Rebellion, die vor einem Jahr mit der Besetzung des Istanbuler Gezi-Parks begann, nicht in Vergessenheit gerät. Auch der Berliner binooki-Verlag, der junge türkische Literatur verlegt, veröffentlichte soeben „Gezi - Eine literarische Anthologie“.

 

Erstaunt liest der alte 68er keine Rache fordernde Kampfschrift oder weinerliches Gejammer über die verlorene Schlacht, sondern eine Vielzahl kleinerer literarischer Texte, in denen die Tränen getrocknet sind und viel Hoffnung bewahrt ist: „Gezi hat der Türkei eine Utopie geschenkt, wie sie sie noch nie erlebt hat“, schreibt der bekannte Krimiautor Barış Uygur. Die Revolte hat nicht, wie einst in Deutschland, zur Totsagung der Literatur geführt. In der Anthologie kommen 19, auch sehr bekannte türkische Autoren der mittleren Generation zu Wort, um über die Zeit zu schreiben, „in der das Leben außer Rand und Band geraten war.“

 

Aus ungewöhnlichen Blickwinkeln schauen sie auf die Ereignisse - die von den Menschen beschützten Bäume überlegen, wie sie nun den Menschen helfen können; die schwangere Karatekämpferin hält es nicht zuhause aus; eine Mutter sucht verzweifelt ihren Sohn und schmeißt irgendwann Tränengasgranaten zurück; Schaufensterpuppen fühlen sich ohnmächtig gegenüber der Gewalt vor ihren Fenstern, die plötzlich zersplittern…

 

In einer Fabel ermuntern sich ein Bär und ein Fabeltier, „man kämpft nicht um zu gewinnen, man kämpft, weil es um eine Sache geht, für die es sich zu kämpfen lohnt.“ Neben Gedichten und Liebesgeschichten wählen viele Autoren das Prinzip von Wechselreden zwischen unterschiedlich denkenden Menschen. Denn in Gezi kamen einst sich bekämpfende Gruppen - wie Fußballfans und Homosexuelle oder Straßenkids und Rentner - zusammen und gaben sich gegenseitig Kraft. Viele junge Menschen trafen sich zum ersten Mal außerhalb der virtuellen Welt. „Kreative, von Humor geprägte neue Ausdrucksformen buntlegierter Menschen kamen aufs Tapet“, schreibt die Autorin Karin Karakaşlı in ihrem Nachwort: „Das Leben schuf eine neue Sprache. Nun hieß es: Wir wollen weder sterben noch töten. Wir wollen niemandes Soldaten sein!“

 

Die Poesie ging auf die Straße, davon erzählt dieses Buch, das auch angemessen gestaltet ist. Einige schwarz-weiße Fotos paraphrasieren ohne Pathos die Texte, hervorgehobene Zitate verführen schon beim Durchblättern des Quartbuches zum Lesen: „Selbst wenn wir unterliegen, den Geschmack von Aufstand haben wir nun auf der Zunge!“

 

Sabine Adatepe (Hg.):
„Gezi - Eine literarische Anthologie“, binooki 2014, Broschur, 130 Seiten, 19,90 Euro