totenvonwienTod und Tanz im Wien und Berlin der Zwanziger Jahre, Teil 3/4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Untertitel lautet: Ein Fall für Alexander Baran. Doch der heißt eigentlich Sandor von Baranyi, im ungarischen Gebiet der Theis aufgewachsen. Das ist für Wiener und für Österreicher überhaupt nichts Neues, daß mit dem Kriegsende 1918 auch die Habsburger Monarchie zu Ende war, konkret am 31. Oktober mit dem Austritt Ungarns und sich die ehemaligen Kronländer selbständig machten. Aber, und das zeigt dieser Kriminalroman aufschlußreich, die personalen Beziehungen blieben über die Grenzen hinweg bestehen.

Wenn es die TOTEN VON WIEN heißt, bedeutet das, daß es wirklich viele Tote, viele Ermordete gibt und im Rückblick auf den Täter ein jahrzehntelanges Morden, das endlich auch Aufschluß auf die lebenslange Trauerarbeit für Alexander Baran bedeutet, dessen Schwester Szonja von Waldstetten im November 1913 bei einem Reitausflug verschwand und die er seitdem verzweifelt sucht.

Die erste Tote – und auch der erste Fall von Baran - ist eine junge Tänzerin, deren Gesicht völlig zerstört ist, die Baran dennoch schnell durch Besuch des Opernballetts als Martha Halpern identifizieren kann, die in der Premiere die Hauptrolle tanzen sollte, deren Freundin und Geliebte Fanny Pinsker dies nun übernimmt, aber Tage drauf auch ermordet aufgefunden wird. Beide stammen aus Lemberg, Galizien, das jetzt zu Polen gehört, weshalb eine große Schar dortiger Juden nach Wien zog. Doch eigentlich ist der erste Tote Oskar Veith, der einen wichtigen Brief in der Tasche in die Innenstadt eilt, aber dort vor eine Straßenbahn geschubst wird, wobei ein Mann mit stechenden blauen Augen als Täter in Frage kommt.

Anders als im Berliner Krimi um die Josephine-Baker-Verschwörung, wo die Täter von Anfang an bekannt sind, erleben wir auf 413 Seiten eine umfangreiche und seltsam verzwickte Mordermittlung, was auch damit zu tun hat, daß hier Zweierlei vorliegt: ebenfalls eine Verschwörung und ein zu kurz Gekommener, der aus Rache und Geltungssucht einen und eine nach der anderen umbringt. Ein schwieriges Geschäft also, hier die Morde nachzuweisen. Die Verschwörung liegt anders als in Berlin, wo die aufkommende Schreckensherrschaft der Nazis in Verbindung mit den Reaktionären, die ihren alten Kaiser wiederhaben wollen, eine klare Richtung nach vorne hat, eher in die Vergangenheit gerichtet, nämlich gegen die in ihren Augen schändliche Rolle Serbiens, das eine Strafe verdient.

Außerdem spielt in Wien die Anwesenheit so vieler Juden eine Rolle, die wie die beiden Tänzerinnen nach Wien geflohen waren, was die antisemitische Stimmung in der Hauptstadt beförderte. Das alles wird nicht absichtlich betont, sondern ist wie die Auflösung des Habsburgerreichs eher eine Grundmelodie im Roman, der dazu viel Lokalkolorit enthält, so daß man Wien und die Wiener, wenn man sie gut kennt, an allen möglichen Stellen wiedererkennt.

Das gilt auch für die gesellschaftliche Situation, sprich: die Verwirrung der Bevölkerung nach der Auflösung des großen Reiches, wer nun ein Österreicher ist und wer nicht. Eine schöne Idee, einen so umstrittenen wie realen Hugo Bettauer , Journalist und Schriftsteller, auftreten zu lassen, der mit DIE STADT OHNE JUDEN einen Sensationserfolg hatte: „Die meisten Leute in Wien würden es doch begrüßen, wenn sie weg wären, die Schmarotzer und Schieber, die Ganoven und großen Gauner, die Kapitalisten und Kriegsgewinnler…“

Dem ‚Neuen‘ Baran wird zur Seite Bezirksinspektor Florian Meisel gestellt, der immer wieder auch dessen Schutzengel wird, weil er in der Polizeiarbeit erfahrener ist, zudem einen funktionierendes Automobil hat. Wichtig beim Auffinden der ersten Frauenleiche ist auch der zufällig hinzukommende Dr. Bernstein, der nicht verrät, daß er die Tote sehr gut kennt und den Baran dann als den zuständigen Gerichtsmediziner im Institut wiedersiehst. Geschickt jongliert der Autor mit den Personen, die in den Augen der Ermittler zwischen mordverdächtig und philanthropisch hin und her wechseln. Das gilt auch für die pfiffige „Mein Name ist Eleonore Werthmann, vormals von Werthmann, aber zum Glück haben wir diese Zeiten hinter uns.“ Was Österreicher sofort verstehen, ist hierzulande nicht allen bekannt, daß der Adel und damit auch alle ‚von‘ in der Republik Österreich 1919 abgeschafft wurden (auch wenn das in einem Staat, wo man einen mit „Herr Magister“ anspricht, insgeheim und derzeit auch öffentlich anders gehandhabt wird.)

Als schillernd muß man auch den von Baran als „Graf Schöntann“ angesprochenen Barbesitzer Schöntann nennen, der die Mordermittlung durch geheime Informationen und Fotos vorantreibt, sie andererseits auch ständig behindert und dem Leser einfach verdächtig bleiben muß. Es kommen weitere, farbig gezeichnete Personen hinzu, die alle, das gilt auch für den Oberkommissär Zeller, der die Polizeiermittlung den Tätern weitersagt, mehr als zwielichtig sind.

Das hält bis zum Ende die Spannung aufrecht, wobei der gemeine Mörder, der mit den blauen Augen, gefaßt wird, entkommt, doch dann mit dem Auto tödlich verunglückt. Denken alle. Doch auf den letzten Seiten erschießt der angebliche Tote diejenigen, die ihn aus dem brennenden Auto gerettet und schwerverletzt gepflegt hatten. Es geht also weiter mit dem Namenlosen, der eigentlich ein geborener Waldstetten ist. Schau’n wir mal .

Foto:
Umschlagabbildungen

Info:
Karl Rittner, Die Toten von Wien. Ein Fall für Alexander Baran, Goldmann Verlag 2022
ISBN 978 3 442 49090 5