KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Juni 2014, Teil 1

 

Elisabeth Römer 



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sicher, die wichtigere Überschrift wäre, daß EINPAAR TAGE LICHT von Oliver Bottini weiterhin auf Platz 1 steht. Da wir uns aber das letzte Mal beschwerten, weshalb der psychologisch spitzfindige bundesdeutsche Thriller von Sascha Arango vom Verlag C.Bertelsmann, der aus dem Nichts im April auf Platz 5 der Bestenliste stand, im Mai verschwunden war, wollen wir nun kundtun, daß DIE WAHRHEIT...im Juni auf Platz 8 wieder dabei ist.



Bitte lesen Sie unsere Lobpreisungen in den letztmonatlichen Artikeln. Für deutsche Verhältnisse ist das ein ganz ungewöhnlicher Roman, der den Leser bei sich hält, weil er ihm suggeriert, er würde das Innenleben der beteiligten Personen durch- und überschauen. Aber dann ist alles ganz anders, was immer dann aufregend wird, wenn die Lösung im Nachhinein auch den überzeugt, der im Kopf auf einem anderen Dampfer war. Wollen wir mal schauen,ob die Jury gewürfelt hatte, oder ob auch im Juli Arango noch dabei ist?



Aber einen außerplanmäßigen Verlust gibt es auch. DIE TOTE VON SAN MIGUEL von Jonathan Woods, erschienen im Aufbau Verlag, besetzte im Mai erstmals den zehnten Platz der Liste und fehlt diesmal. Das wundert uns, denn der Krimi entspricht in Thematik und Machart dem, was die Jury sonst goutiert. Es geht hart her in San Miguel, wo Inspector Diaz, von seinen cojones schwer bedrängt, dann doch immer die Mordaufklärung wichtiger nimmt als seine eigene Sucht, zudem mit der Sexsucht seine Nikotinsucht einhergeht. Also dicht an einem dran möchte man diesen Typen doch nicht haben. Leider, wir sagen es gleich, bleibt es im Krimi nicht bei der einen Toten, nicht nur zweimal müssen schöne blonde Frauen daran glauben, sondern daneben fällt so manch anderes Mannsbild zu Boden und einige bleiben dann für immer liegen.



So nüchtern wird über den Alltag der Polizisten gesprochen, daß man sich schon an den rauen Umgangston gewöhnt und es normal findet, dauernd über Leichen zu stolpern. Die Geschichte hat auch mit Kunst zu tun hat und dahinter steckt wirklich ein interessantes Konzept, wie man mit moderner Kunst von Herrn und Frau Jedermann viel Geld verdienen kann. Dazu muß man allerdings besser in die USA reisen, um vom Geld etwas abzubekommen.



Wir bleiben lieber in San Miguel de Allende. Wir kennen nämlich diesen lieblichen Ort, der hier auf einmal Sündenpfuhl geworden ist, während dies städtebauliches Kleinod, das zu den Barockstädten im Norden der Hauptstadt Mexikos zählt, sonst durch die Schönheit seiner Architektur berühmt ist. Sogar zum Weltkulturerbe gehört – und das zu Recht. Vielleicht sollte man für die extranjeros noch hinzufügen, daß DE ALLENDE einmal nicht den verdienstvollen und vom Volk gewählten chilenischen Präsidenten Salvador meint, gegen den am 11. September 1973 General Pinochet putschte und sein Schreckensreich errichtete, sondern um den General Ignacio Allende, der im Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien im 19. Jahrhundert kämpfte und aus San Miguel kam. Warum wir das schreiben? Weil im Roman die Stadt bei den Streifzügen des Diaz immer wieder durchscheint und wer sie kennt, diesen Serieninspector schon deshalb gerne liest.Fortsetzung folgt.



Die KrimiZEIT-Bestenliste Juni 2014

Veröffentlichung am Donnerstag, den 5.6.2014

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(1)

Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht

DuMont, 512 S., 19,99 €

Algerien/Deutschland. Deutscher Ingenieur von Islamisten entführt! BKA-Mann Eley und algerische Militärs suchen fieberhaft. Parallel in D: Politgerangel um Rüstungsexport. Interkulturelle Liebschaften, demokratische Terroristen – ausgefuchster Politthriller, erhellend durch Möglichkeitssinn.

2

2

(2)

Ross Thomas: Fette Ernte

Aus dem Englischen von Jochen Stremmel

Alexander, 344 S., 14,90 €

Washington D.C. Bevor er das Komplott aufdecken kann, von dem er auf der Club-Toilette gehört hat, wird Ex-Präsidentenberater Gilmore umgelegt. Höchst geschickt forschen seine Erben nach. Grotesker Witz, stilvolle Briganten, große Schwindel: Ross Thomas hatte es drauf wie kaum einer.

3

3

(3)

Dominique Manotti: Ausbruch

Aus dem Französischen von Andrea Stephani

Argument/Ariadne, 256 S., 17,00 €

Mailand/Paris 1987-88. Carlo, Kämpfer der Roten Brigaden, und der Kleinkriminelle Filippo fliehen aus dem Knast. Carlo stirbt, Filippo gewinnt die Herzen der Linken mit seiner Romanversion der Ereignisse. Bis die Realität die Aufstiegsträume kalt erwischt: illusions perdues.

4

4

(5)

Leonardo Padura: Ketzer

Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein

Unionsverlag, 656 S., 24,95 €

Havanna/Amsterdam 1939, 1648, 2007. Paduras Triptychon breitet jüdische Geschichte, Rembrandts Kunst und kubanische Jugendrevolte zwischen zwei Kriminalfällen aus, vertrauter Ermittler: Mario Conde. Ohne Ketzer, die die Normen brechen, keine Freiheit: Interkontinental aktuell.

5

5

(-)

Tom Hillenbrand: Drohnenland

KiWi, 422, 9,99 €

Europa, nahe Zukunft. Wo Flachland war, ist Meer. Trotz viraler Totalüberwachung: Europaabgeordneter Pazzi wird ermordet. Er war nicht der einzige, entdeckt Kommissar Westerhuizen. Intelligent imaginierte Science-Fiction aus der schönen neuen Überwachungswelt.

6

6

(-)

Benjamin Percy: Roter Mond

Aus dem Englischen von Michael Pfingstl

Penhaligon, 640 S., 19,99 €

Oregon/USA. Lykaner sind mit dem Wolfs-Virus infizierte Menschen, Wesen zweiter Klasse, entrechtet und medikamentös domestiziert. Dass der Mensch seinesgleichen der Wolf ist, wusste bereits die Antike. Aktualisiert und verschärft erzählt es Percy als Epos der USA von heute: eine Klasse für sich.

7

7

(4)

Mukoma wa Ngugi: Nairobi Heat

Aus dem Englischen von Rainer Nitsche

Transit, 176 S., 19,80 €

Maple Bluff, Wisconsin/Nairobi. Der Fall einer toten Blondine vor der Haustür des ruandischen Menschenrechtlers Professor Joshua führt Detective Ishmael von Wisconsin nach Nairobi. Dort lernt er mehr über Identität, Gewalt, Geld und Gewissenlosigkeit, als ihm lieb ist. Starkes Debüt.

8

8

(9)

Daniel Woodrell: In Almas Augen

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 192 S., 16,90 €

West Table, Missouri 1929. Alma, die Magd, hat miterlebt, wie Bankier Glencross sich in ihre Schwester Ruby verliebte und sie verriet. Alma weiß auch, wie es zu der Explosion kam, bei der 42 Menschen starben. Familiengeschichte aus einer Stadt, die fast ein Jahrhundert lang schwieg.

9

9

(5*)

 

* April 2014

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen

C. Bertelsmann, 304 S., 19,99 €

Irgendwo in Norddeutschland. Sie sind ein perfektes Paar: Henry gibt den glamourösen Starautor, seine Bestseller schreibt Martha. Bis sie, Opfer einer Verwechslung, über die Klippe geht. Henry navigiert sein Rettungsboot auf Sicht. Ein Ripley light aus deutscher Feder - wer hätte das gedacht?

10

10

(-)

 

André Georgi: Tribunal

Suhrkamp, 316 S., 14,99 €

Den Haag/Višegrad 2005. Jasna Brandič ermittelt für das Haager Tribunal gegen Kriegsverbrecher Kovać, ergebnislos. Ein Hinweis lockt sie nach Bosnien: Kovać‘ Adjutant Branko kann gefasst werden. Jasna kehrt zurück in die Kriegshölle. Der beste Polithriller zum jugoslawischen Bürgerkrieg.

 

 

INFO I:

 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.

 

Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 5. Juni 2014 mit Tobias Gohlis gegen 9.20 Uhr im Nordwestradio Journal sowie später in den Sendungen der Buchpiloten nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html -

in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. Juni 2014 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

 

 

Monatlich wählen siebzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt inzwischen über 1800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiZEIT

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, »Penser Pulp bei Diaphanes«, »culturmag«, »DRadioKultur«

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie in der RUBRIK BÜCHER auf dem Titel oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Das Prozedere der Platzverteilung ist ganz einfach. Dreimal darf ein Kritiker aus der Jury einen Roman benennen. Wenn das gut verteilt ist, kann ein Buch einige Monate überwintern, dann hat es nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die jeweils Ende Dezember herauskommt und die wir für 2013 ebenfalls kommentierten.

 

JahresBestenliste 2013

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/2343-leichendieb-der-brasilianerin-patricia-melo-von-tropen-bei-klett-cotta-auf-platz-1

 

INFO II:

Auf der LEIPZIGER BUCHMESSE wurde die KrimiZEIT-Bestenliste am Stand von AUSGEZEICHNET vorgestellt. Tobias Gohlis sprach mit Friedrich Ani und Conny Lösch über die KrimiZEIT-Bestenliste und Qualität in der Kriminalliteratur.

Am Freitag, 14. März 2014, Stand 13/Ausgezeichnet in der Glashalle, 16:00 Uhr.