auerbachLiteratur zum Auschwitzgedenktag 27. Januar, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine der wichtigen Fragen nach dem industriellen Massenmord an Juden und anderen Menschen in den KZs der Deutschen, ist die Frage, wie man nach diesem Grauen weiterleben kann. Diese Frage gilt den Tätern wie den Opfern. Aber so wie es aussieht, ist das Weiterleben für die Opfer schwieriger als für die Täter, von denen sehr viel weniger Selbstmord verübt haben als diejenigen, die ja seit der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee eigentlich gerettet wurden.

Das soll nicht vertieft werden, Namen wie Primo Levi ( 1987) und Paul Celan (1970) sind genug. In diesem Zusammenhang ist eine weitere mit Zahlen gefütterte Aussage wichtig: Die Selbstmordrate ist bei den Juden, die während der Konzentrationslager geflohen sind, 1, 7 Mal höher als bei denen, die sich noch rechtzeitig aus Deutschland retten und emigrieren konnten. Es ist der Komplex der „Schuld, überlebt zu haben, während so viele andere starben“, der hier eine Rolle spielt. Wir kennen meist den umgekehrten Fall, daß sich Menschen beschweren, warum es der andere besser habe, als man selbst. Aber es ist für manche nicht aushaltbar, daß man selbst überleben durfte.

Im Falle von AUERBACH kommen allerdings perfide Umstände hinzu, die Hans-Hermann Klare in „AUERBACH. Eine jüdische-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte“, eindrucksvoll aufarbeitet. Dieses Buch aus dem Aufbau Verlag sollten Sie unbedingt lesen. Phillip Auerbach gehörte zu den wenigen, die durch viele KZs geschleift, dennoch überleben konnte. Er wurde aus dem KZ Buchenwald befreit, blieb in Deutschland, gründete die JÜDISCHE ALLGEMEINE mit, kümmerte sich um das Weiterleben von Juden in Westdeutschland, war Mitglied im ersten Zentralrat der Juden in Deutschland nach 1945, half den Dps, den „Displaced Persons“ in den Besatzungszonen Entschädigung zu erlangen, es sollen bis 120 000 jüdische Überlebende sein, denen er nach Palästina, dann Israel verhalf.

Er habe unterschlagen und veruntreut, hieß die Anklage und lautete 1952 das Urteil, das von drei Richtern gesprochen wurde, die alle der NSDAP angehört hatten, weshalb sie unmittelbar nach 1945 aus dem Dienst relegiert wurden und – als der Kommunismus für die junge Bundesrepublik die größere Gefahr erschien, sofort wieder eingestellt wurden. Ist das zu glauben? Das war das junge Westdeutschland, daß eine braune Soße möglich machte. Auch der Staatsanwalt war eingetragener Nazi, der es Auerbach hoch anrechnete, so viele Juden aus Deutschland durch die Ausreise nach Israel entfernt habe.

Das Lesen fällt immer wieder schwer, weil man sich zutiefst schämt, was nach 1945 hier schon wieder möglich war. Man sieht auch deutlich den Unterschied zu heute. So widerlich antisemitische Aussprüche und Taten sind, sind doch die Organe staatlicher Rechtsprechung heute nicht mehr Handlanger für nationalsozialistischen Vernichtungswillen. Wenigstens das. Aber das Schicksal eines Menschen, der KZs überlebte, nicht aber ein Urteil eines Münchner Gerichts nach seiner Befreiung! Er brachte sich daraufhin um. Zwar hat der Bayerische Landtag schon zwei Jahre später, also 1954 Auerbach rehabilitiert, aber das nutzt keinem Toten, macht diesen widerwärtigen Prozeß eigentlich noch schlimmer. 

waldGlück gehabt und etwas daraus gemacht, kann man über Georges-Arthur Goldschmidt sagen, dessen DER VERSPERRTE WEG, die Geschichte seines Bruders eine Pflichtlektüre sein sollte (2021 auf der langen Liste zum Deutschen Buchpreis) und der nun im Wallstein Verlag mit DER UNTERBROCHENE WALD eine Erzählung vorlegt, die von Peter Handke ins Deutsche gebracht wurden. Der 1928 in Hamburg Geborene konnte über Italien nach Frankreich fliehen und überleben. Er erzählt hier, wie er fliehen konnte. Dern Aufenthalt in dem Internat in den Savoyen kennen wir aus dem Vorgängerbuch. Hier aber sind noch mehr Details von der Flucht der Knaben vor den Deutschen. Und wer half. Unter die Haut geht die Ignoranz, mit der die Hamburger Umwelt auf seinen Besuch der Hamburger Heimat und des Familienhauses reagiert.

Der schmale Band ist keine Abrechnung, sondern eine Darstellung, wie einer aus verzweifelnden Verhältnissen sich einen Weg sucht, wozu sicher Das-darüber-Schreiben eine Hilfe ist. Für den Schreiber und auch für den Leser und die Leserin, die sich ein Leben lang damit auseinandersetzen muß, was in deutschem Namen geschah und was heute schon wieder gewisse Kreise nicht wahrhaben wollen.

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Umschlagabbildungen

Info:
Hans-Hermann Klare, Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder wie der Antisemitismus den Krieg überlebte, Aufbau Verlag 2022,
ISBN 978 3 351 03896 0

Georges-Arthur Goldschmidt, Der unterbrochene Wald. Erzählung, Aus dem Französischen von Peter Handke, Wallstein Verlag
ISBN 978 3 8353 5188 2