KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT, ARTE und NordwestRadio für Dezember 2011
Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Über den Ersten, der immer wieder ein Erfolgsautor im Aufbau Verlag ist, zu dem die nun kleingeschriebenen rütten&loening gehören, hatten wir in den Vormonaten schon geschrieben und über dieses spannende Buch berichtet. Jede neue Kommentierung ist vor allem den Büchern vorbehalten, die neu auf die Liste kommen, so wir sie schon lesen konnten, also etwas dazu sagen konnten. Das hält sich diesmal in Grenzen.
Deshalb doch noch einmal zur jetzigen Nummer 2, „Das vergessene Kind“ von Kate Atkinson aus dem Droemer Verlag. Das ist ein Buch, das nachwirkt. Immer wieder passiert es, daß man Krimis spannend und gut fand, aber sich nach kurzem schon nicht mehr an den Plot oder auch nur an die handelnden Personen erinnern kann. Peinlich. Aber wahr. Mit diesem „Kind“ von der englischen Autorin geht es Ihnen nicht so.
Sie behalten sowohl die Geschichte wie auch das Erzählpersonal. Schlimmer. Sie haben in Ihrem Leben neue Mitbewohner. Anders kann man sich nicht erklären, weshalb man auch nach dem Zuschlagen eines Buches, dem Darüberschreiben, was oft das Ende einer Buchbeziehung ist, weshalb man dann doch noch immer wieder daran denkt, sich Gegebenheiten vorstellt, die glücklicher sein könnten. Und sonst was. Also greifen Sie zur Kate Atkinson aus dem Droemer Verlag.
Neu und gleich auf Platz 3 ist „Zeit des Zorns“ von Don Winslow, erschienen im Suhrkamp Verlag. Wie toll war sein Vorgänger „Tage der Toten“, unheimlich und nicht totzukriegen. Dieser Krimi dagegen, er wird auf der Liste als ‚Komödie‘ bezeichnet, wirkt eher wie eine Persiflage auf ein neumodisches Leseverhalten, das am neumodischen angeblichen Gesprächsverhalten von Jugendlichen ansetzt und so übertrieben pubertär daherkommt, daß die Jugendlichen, die ich damit konfrontierte, damit nichts zu tun haben wollen. Allein die Sprache karikiert eine Schimäre. Wir kennen keine Leute, die so reden und sie interessieren uns auch nicht.
Im Ernst. Wir haben uns gelangweilt und außer ein paar witzigen Situationen, wo man lachen muß, konnten wir mit dem Buch, mit dem Inhalt wie der Form einfach nichts anfangen. Wir sind gespannt, ob das Buch seinen Platz beibehält oder auf der Januarliste abstürzt, was wir uns wünschen und eigentlich auch erwarten. Auf Platz 4 residiert nun „Gauklersommer“ von Joe R. Lansdale aus dem Verlag Golkonda. Das letzte Mal gab es eine inhaltliche Aussage. Vor dieser müßte man einfach die Mühe loben, mit der dieser Verlag dieses Buch geradezu durchstilisiert. Da ist nicht einfach nur ein Text gedruckt, sondern jede Seite ist gestaltet. Uns fiel an uns selber auf, wie oft uns dies auffiel. Fast bei jeder Seite, ja manchmal hat es sogar den Lesefluß unterbrochen.
„Schneeschwestern“ von Matthias Wittekind von der Edition Nautilus und im Dezember neu auf Platz 5, kommentieren wir das nächste Mal. Diesmal muß Platz sein für Ulrich Ritzel auf dem 5. Rang mit seinem „Schlangenkopf“, bei btb erschienen und alles vorwegnehmend, was dann Wochen später mit den rechtsradikalen und sich selbst verbrennenden(?) Mördern aus Thüringen/Sachsen die vordersten Zeitungseiten füllte: die staatliche Kooperation mit Mördern. Dies nicht nur als stillschweigende Duldung, sondern sogar als Auftragstaten der Geheimdienste.
Wirklich ist der Praxisschock Bundesrepublik Deutschland nach diesem Buch von Ritzel geringer als er es ohne das Lesen gewesen wäre. Was individuell entlastet, in der Tat aber furchtbar ist, weil man doch lieber in Büchern liest, wie die eigenen Geheimdienste so üble Geschäfte machen, wo Menschen ihr Leben lassen, nur weil es in die Strategie dieser kungelnden Herrschaften paßt.
Der ältere Herr aus Ulm, dieser Herr Berndorf, lebt nun in Berlin mit Rotwein und Lebenspartnerin so ganz gemütlich, wenn da nicht die Ereignisse wären, denen er sich nicht entziehen kann. Harmlos zuerst. Zumindest für den, dem die Jacke geklaut wurde. Denn immerhin hat ihm diese Tat das Leben gerettet, denn der Jacke wegen wurde dieser von der eleganten Dame im Auto überrollt. Türken, Bosnier, nein, das sind nicht nur Ausländer, sondern sie bringen ihre häuslichen und politischen Geschichten mit, die Berndorf & Co aufarbeiten, ob in Berlin oder Frankfurt oder sonstwo. Hart, aber wahr.
Heinrich Steinfest mit „Die Haischwimmerin“ aus dem Piper Verlag rutschte vom 4. auf den 7. Platz, dafür kam Christian Mähr mit „Das Unsagbar Gute“ von Deuticke auf den achten Rang. Nein, das ist keine Komödie, aber doch eine mit Augenzwinkern erzählte Geschichte, die aufgrund der Personen stärker haften bleibt, als die allgegenwärtigen Detective in ihren Großstadtdschungeln. Hier nämlich sind wir auf dem Land. Wir sind in Dornbirn, und wer dieses Städtelein unweit Bregenz im Bregenzer Wald nicht kennt, der sollte es kennen lernen. Denn jetzt droht dem Touristen keine Gefahr mehr. Vorher schon.
Wie aus den skurrilen Gestalten – im Ernst, die Benennung ist unzulässig, denn die Bewohner der Stadt und des Buches sind nicht skurril. So was ist dort Alltag – , wie aus diesen Gestalten die Guten und die Schlechten werden, aber ein Guter gleichzeitig ein Schlechter und der Schlechte ein Schlächter, das liest man mit Vergnügen, weil einem Makabres nun einmal nicht jeden Tag vor die Augen kommt. Über Chemie, auch die Lebensmittelchemie kann man noch dazu viel lernen. Worum es überhaupt geht? Das hatten wir schon gesagt.
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(3) |
Deon Meyer: Rote Spur Aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer rütten&loening, 626 S., 19,99 € Kapstadt/Südafrika/Simbabwe. Eine Hausfrau, ein Leibwächter und ein Ex-Polizist stoßen vor der Fußball-WM auf eine Geheimaktion von weltpolitischer Bedeutung. Meyer ist raffinierter denn je. Spionage-, Abenteurer- und Detektivroman, meisterhafte Spannungsliteratur. |
2 |
2 |
(1) |
Kate Atkinson: Das vergessene Kind Aus dem Englischen von Anette Grube Droemer, 460 S., 19,99 € Leeds. 1975 findet die Polizei ein Kind neben der Leiche seiner Mutter. Jahre später klaut eine Ex-Kommissarin die Tochter einer Prostituierten; Privatdetektiv Brodie forscht nach verlorenen Eltern. Grotesk, wütend, liebevoll, unversöhnlich gegen die Kinderschacher-Gesellschaft. Große Kriminalliteratur. |
3 |
3 |
(-) |
Don Winslow: Zeit des Zorns Aus dem Englischen von Conny Lösch Suhrkamp, 338 S., 14,95 € Laguna Beach/Südkalifornien. Nach „Tage der Toten“ nun die Komödie. Ben, Chon und Ophelia sind klug, reich und superentspannt. Ihr Dopegeschäft läuft, Orgasmen in Menge, Charity dazu. Bis das Drogenkartell in den sunshine-state drängt. Die 3 schönen Wilden bekommen keine Chance, aber nutzen sie. |
4 |
4 |
(2) |
Joe R. Lansdale: Gauklersommer Aus dem Englischen von Richard Betzenbichler Golkonda, 300 S., 16,90 € Camp Rapture, Ost-Texas. Irakkriegs-Veteran Cason Statler, frisch angestellter Reporter, sucht seinen Scoop. Vor 6 Monaten verschwand die überirdisch schöne Caroline. Eine DVD taucht auf, und die Decke wird weggezogen: Liebschaften, Erpressung, Mord, Entführung. Lansdale in Bestform: Texas ganz unten. |
5 |
5 |
(-) |
Matthias Wittekindt: Scheeschwestern Edition Nautilus, 352 S., 18,00 € Fleurville/Benningstedt. Der Triebtäter will es nicht mehr. Aber es geschieht doch. Im Grenzwald zwischen D und F, im Winter. Eine Sechzehnjährige ist erschlagen, in Pubertätstrubel und Geltungsdrang. Die Ermittler taumeln auf dem Grat zwischen Ahnungen und Kriminalistik. Bemerkenswertes Krimidebüt. |
6 |
6 |
(-) |
Ulrich Ritzel: Schlangenkopf btb, 448 S., 19,99 € Berlin/Frankfurt. Ein Türke wird überrollt. Gemeint war der Bosnier, dessen Jacke er trägt. Im Kunstnebel von Geheimdiensten, Rüstungsgeschäften und Kungelei stochern Privatermittler Berndorf und Helfer nach Hintermännern. Cool. Politthriller vom Feinsten. |
7 |
7 |
(4) |
Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin Piper, 352 S., 19,99 € Giesentweis/Dschugdschur, Russland. Baumpfleger Ivo Borg soll für die Pharmaindustrie eine Riesenlärche aus dem Dschugdschur bergen, entdeckt die unterirdische Verbrecherstadt Toad’s Bread, seine alte Liebe Lilli und das Unbekannte. Kriminalroman, unermesslich weit vom Leben getrennt. Nach R.L. Stevenson, von Steinfest. |
8 |
8 |
(9) |
Christian Mähr: Das unsagbar Gute Deuticke, 320 S., 17,90 € Vorarlberg/Wien. Beginn mit Unfalltod und Katze. Als im Haus der verunfallten Chemikerin L. ein Packen Euros auftaucht und verschwindet, beenden Tarnmanöver die gebotene Trauer. Enkel Manfredo verteidigt die geerbte Drogenküche gegen Gott, Gesetz und Mafia. Amateure sind am Zug. |
9 |
9 |
(-) |
Jo Nesbø: Die Larve Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob Ullstein, 564 S., 21,99 € Oslo. Harry Holes Ziehsohn sitzt in U-Haft. Wegen Mordes an einem Dealer. Harry, zurück aus Hongkong, weiß, was Sucht bedeutet. Um des Jungen und seiner Liebe willen lässt er in der Drogenmetropole Oslo keinen Stein auf dem andern. Und schrammt in die Enttäuschung seines Lebens. |
10 |
10 |
(6) |
Rainer Gross: Kettenacker Pendragon, 368 S., 12,95 € Buttenhausen/Kettenacker. Wieder, wie vor 13 Jahren, stößt Heimatforscher Hermann Mauser im Wald auf ein Skelett. Ein Gottschützedichle-Amulett verrät den Namen des 70 Jahre zuvor getöteten Mädchens. Albtraumhafte Familien- und Heimatgeschichte. Das Vergangene ist nicht tot, nicht einmal vergangen. |
Info:
Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Dezember Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT, ARTE und NordwestRadio.
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht, immer am ersten Donnerstag des Monats.
Vorgestellt wird sie
- im NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis)
- unter www.arte.tv/krimiwelt mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)
- in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 1.12.2011
Monatlich wählen sechzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Literaturwissenschaftler
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir ebenfalls kommentierten.