Beim Internationalen Literaturpreis (ILP) des Hauses der Kulturen der Welt (HWK) in Berlin gewinnt das Ansehen der Übersetzungsarbeit

 

Jasmin Kröger

 

Berlin (Weltexpresso) - Am 3. Juli verlieh das Haus der Kulturen seinen Internationalen Literaturpreis. Endlich ein Preis, der neben Autoren auch den Übersetzern gilt. In Berlins Abendsonne traf sich die Welt auf der Dachterrasse des HKW, um Gewinner und Anwärter zu feiern. Beate Thill ist Gewinnerin. Sie übersetzte das Preisbuch „Das Rätsel der Rückkehr“ (Wunderhorn) von dem haitianischen Autor Dany Laferièrre.

Damit gewinnen ein kleiner Verlag, ein ungewöhnlicher Autor und eine bescheidene Übersetzerin. Wie anspruchsvoll die scheinbar unsichtbare Tätigkeit ist, verrät Beate Thill im Gespräch - denn „Übersetzen ist Schreiben am Geländer“.

 

 

Wer ist das?

 

Beate Thill ist 1952 in Baden-Baden geboren, zweisprachig aufgewachsen und macht heute ganz leise die Welt verständlicher. Sie ist seit über 30 Jahren Übersetzerin. Zur ihrer ersten eigenen Preisverleihung trug sie rote Ballerinas und einen Zettel mit Notizen.

 

 

Was macht sie?

 

Thill baut Brücken, jongliert und setzt über an andere Ufer: Sie überführt Literatur aus dem Englischen und dem Französischen in die deutsche Sprache.

 

 

Wie macht sie das?

 

Übersetzen ist Schreiben am Geländer. Also das heißt, man schreibt schon selbst, aber jemand anderes hat die gedankliche, die formale und zum Teil auch die sprachliche Führung. In allen Teilen muss man etwas eigenes finden, und das vor allem in der eigenen Sprache.“ Dafür muss man nicht nur zwei Sprachen sprechen und zwei Kulturen (er)kennen, sondern auch eine enorme Vorstellungskraft besitzen – denn sprachliche Konvergenz ist eine Illusion. Übersetzen, das bedeutet wochenlange Recherchen, Analysen, Reisen, Rückfragen, als auch viele Ein- und Zufälle. Das wird manchmal vergessen. Kein Wunder, dass ein Google Translate hier nicht mitkommt...

 

 

Frau Thill, gibt’s dafür mal ein gutes Beispiel?

 

Okay das hat jetzt aber nichts mit dem Buch zu tun: Gestern im Radio ging es um die Übersetzung des Titels einer Bach-Kantate. Der deutsche Titel von Bach heißt „Ich hatte viele Kümmernisse“ – im Französischen: „Ma coeur était pleine d’affliction“. Ich finde das gut, weil Kümmernisse und d’affliction so viele Reibelaute haben - und man merkt, dass man da durch muss! Genau das finde ich eine gelungene Übersetzung, wenn man das Gefühl hat, das Körperliche vom Wort wurde in die Zielsprache überbracht.“

 

 

Pathos!

 

Jaa. Aber das sind die Franzosen. Immer wenn man Übersetzungen aus dem Französischen macht -bei Laferrière jetzt nicht- aber sonst, muss man das immer ein bisschen runterbringen. Die Deutschen haben halt so ein’ Pathos-Anti-Reflex. Aber hören Sie mal bei: Ich hatte viele Kümmernisse...Ich hatte viele Kümmernisse – da ist im Deutschen auch das Herz drin!“

 

 

Warum macht sie, was sie macht?

 

Für Thill ist Übersetzung vor allem Völkerverständigungsauftrag. Literatur kann ein „Wie denkst du? - Wie denke ich?“ erfahrbar machen und kontrastieren. „Wir haben haben sämtliche Informationen und Kommunikation weltweit, aber die Literatur gibt Antworten auf Fragen, die wir mit unserer normalen Kommunikation nicht beantworten können. Wie erfahren Menschen in anderen Kulturen unsere Realität? – Die Literatur spiegelt wieder; wir leben alle im gleichen mondialen Moment, aber wir erfahren ihn anders.“

 

Thill ist dafür Sprachrohr. Wie beispielsweise für den haitianischen Laferrière. Im „Rätsel der Rückkehr” erfährt man, was es für ihn bedeutet in der französischen Kolonie Haiti aufzuwachsen, mit 23 ins Exil nach Kanada zu gehen, um schließlich fast 25 Jahre später heimzukehren. Besonders heikel: in der Übersetzung von frankophoner Literatur kreuzen sich bereits im Ausgangstext zwei Kulturen. Beate Thill hat langjährige Erfahrung in diesem Bereich – sie übersetzte 28 Jahre den karibisch-frankophonen Schriftsteller Éduard Glissant.

 

 

Und was ist mit dem Preis?

 

Der ILP wurde am 3. Juli öffentlich überreicht und ging zu 25.000 Euro an Laferrière und zu 10.000 Euro an seine Übersetzerin Thill. Das ist ein Unterschied. Dennoch, der Preis steht symbolisch für die steigende Wahrnehmung der Signifikanz von Übersetzungstätigkeit: „Dass der Preis eben auch die Übersetzer auszeichnet, macht überhaupt erst bewusst, dass es eine Stimme gibt, die auf Deutsch diesen Text geschrieben hat, aber dass diese Stimme auch schriftstellerisch tätig war, ist vielen Leuten nicht bewusst.“

 

 

So, so.

 

Übersetzerin und Autor sahen sich einen Tag vor der Verleihung erstmalig in einer berliner Hotel Lobby. „Ich habe das Gefühl, dass er auf hier auf Augenhöhe mit mir umgeht, das ist nicht immer selbstverständlich.“ Ein Tag später, auf dem Höhepunkt der Verleihung lesen beide ausgewählte Textstellen – er das Original, sie die passende Übersetzung. Unterm Tisch ein Unterschied: Laferrières Lederschuhe liegen locker parallel auf – Thills Ballerinas kreuzen sich nervös hin und her. Das Rampenlicht ist noch ungewohnt.

 

 

Fotos:

 

Titel: Beate Thill(rechts) und Jasmin Kröger im Gespräch über die Aufgabe der Übersetzer_innen. Foto: Ekko von Schwichow

 

ILP-Verleihung und Lange Nacht der Shortlist: Die Dachterrasse des HKW wird mit drei Bühnen zur Audiolandschaft. Foto: Jasmin Kröger

 

Kopfhörer und Simultanübersetzer_innen ermöglichen das Verständnis von den internationalen Autor_innen der Shortlist. Foto: Jasmin Kröger

 

 

Kopfhörer und Simultanübersetzer_innen ermöglichen das Verständnis von den internationalen Autor_innen der Shortlist. Foto: Jasmin Kröger