THE BEAUTIFUL GAME. Fußball in den 1970ern, eine fotografische Hommage aus dem Taschenverlag, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dabei geht es aber nicht nur um die Weltmeisterschaften! Das ist ganz wichtig, hervorzuheben, denn dieser nur alle vier Jahre stattfindende internationale Wettbewerb ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Der Fußballfreund lebt von den Spielen der eigenen Mannschaft, der Meisterschaft im eigenen Land und den europäischen Wettbewerben der jeweiligen Landesmeister, was damals der Europapokal war. Heute sprechen wir von der UEFA Champions League (UCL), wie der Europacup seit der Saison 1992/93 heißt.

 

Das war eine angenehme Überraschung, den damaligen Europapokal mit seinen Protagonisten wieder zu sehen. Was heute ein Robben ist, hieß damals Johan Cruyff von Ajax Amsterdam, wobei zwar auch schon in den 70ern einige Spieler international unterwegs waren, aber grundsätzlich doch  der Fußballer noch im eigenen Land blieb, ja oft in der eigenen Stadt. Brian Glanville bringt in seinem Essay ECHTE CHAMPIONS historische Fußballforschung unter die Leute. Denn nachdem in den Jahren zuvor die spanischen, portugiesischen und italienischen, also südeuropäische Mannschaften den Europapokal beherrscht hatten, war die siebte Dekade die der Nordländer: Niederlande,  England und Deutschland.

 

Schon damals 1974 war Bayern München nicht nur das erste Mal von drei folgenden Jahren hintereinander europäischer Sieger, sondern stellte mit Kapitän Franz Beckenbauer, dem Tormann Sepp Maier, dem Stürmer Gerd Müller und dem Linksverteidiger Paul Breitner wichtige Spieler der deutschen Nationalmannschaft, die dann 1974 Weltmeister wurde. Doch die Jahre ab 1970 waren erst einmal die Jahre der Niederländer, die einen neuen Fußballstil kreierten, der heute als eleganter Kombinationsfußball mit wechselnden Positionen fußballerisches Allgemeingut ist. Ab 1977 waren dann die englischen Vereine dran, die kämpferisch auftraten, mit großem Laufpensum und Pressing. Allerdings waren diese Vereine viel herausgehobener als die der heutigen Champions League, denn der Wettbewerb war auf Landessieger beschränkt, also exklusiver.

 

Ab Seite 20 sprechen dann nur noch Bilder. Aber wie! Mit der WM Mexiko geht es los, und es ist zu komisch, wie die Spieler aussehen – von heute aus. Damals fand man die langen Koteletten und die wellig geföhnten Haare und das Nickytuch einfach chic. Daß die Fußballerhöschen so kurz waren, fällt einem auch erst heute auf. Es sind die Jahre des Brasilianers Pele. Und dann beim Umblättern müssen wir sehr sehr lange auf die Deutschen warten, bis die deutschen Fußballer weit nach der Seite 100 im Bild erscheinen. Als Vorgeschmack sieht man zwei komische Bilder auf den Seiten 44 und 45. Da sitzt die deutsche Nationalmannschaft im Juni 1970 brav im Garten ihrer mexikanischen Unterkunft an einem sehr langen Tisch – und schreiben Autogramme! Am schnellsten erkennt man übrigens Uwe Seeler. Gleich gegenüber sieht man im Bild „Wetzlar grüßt die Deutsche Nationalelf“, wo diese Hessen mit dem einen Wagen gleichsam einen Autokorso mit mehreren deutschen Fahnen veranstalten.

 

Die Bilder folgen den Hauptakteuren, erst also sehr viel Holland, dann Deutsches, aber doch hauptsächlich Fotografien aus dem englischen Raum, nicht nur die Fußballer, in privater Atmosphäre oder in Spielszenen, sondern auch viel Publikum und vor allem das Entstehen einer echten Fangemeinde schon vom Aussehen her. Diese Bilder mag man gar nicht hier aufzählen, weil tatsächlich zu jedem eine Geschichte erzählt werden kann. Entweder kennt man die Leute oder man erkennt sie als Träger einer Zeit. Ab Seite 115 sieht man die Creme der deutschen Fußballer in vielen Bildern und spätestens jetzt muß man von den Fotografen sprechen, hier Sven Simon.

 

Keine Ahnung mehr, daß dieser so jung starb. Noch nicht mal Vierzigjährig und noch dazu durch Selbstmord, ohne daß die Nachwelt weiß, warum. Er war damals als Fotograf von Fußball und Fußballern in aller Munde, was er mit der Qualität seiner Fotografien erreichte, wobei so mancher unter der Hand wußte, daß Sven Simon eigentlich Axel Springer hieß, natürlich Junior. Sicher eine schwere Bürde, das Kind des sehr umstrittenen deutschen Zeitungsverlegers - BILD- zu sein, sicher sehr wichtig, als Sven Simon als Fotograf mit eigenem Namen eine solche Fotografenkarriere zu machen.

 

Sein Uwe-Seeler-Foto vom Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1966 in London gilt als „Sportfoto des Jahrhunderts“, ist auf jeden Fall eine Ikone der Fußballfotografie, weil hier an - den Kopf tief auf die Brust hängenlassenden - Uwe Seeler im Wembley Stadion die geballte Emotion, die absolute Verzweiflung in der Körperhaltung abzulesen ist, ja, er sieht demoralisiert aus und man glaubt zu erkennen, daß er nur mit Hilfe von Zweien, die ihn stützen, überhaupt noch gehen kann. Die Engländer gewannen in der Nachspielzeit mit 4:2 gegen Deutschland und wurden Weltmeister. Aber dieses weltberühmte Foto hat in diesem Band der Siebziger Jahre natürlich nichts zu suchen. Auch die hier abgebildeten Fußballfotos des Sven Simon zeigen seine absolute Begabung für die Fußballfotografie, wobei die gemeinsame Heimat Hamburg sicher ausschlaggebend dafür ist, daß er geradezu  als Hausfotograf von Uwe Seeler  erscheint.

 

Schaut man sich am Schluß des Bandes die BIOGRAFIEN DER FOTOGRAFEN an, erkennt man erneut die Dominanz der englischsprachigen Welt. Der älteste Fotograf ist 1912 geboren, der Deutsche Horst Müller, der bis 1990 knipste und 1995 starb. Der jüngste Fotograf ist der Brasilianer J.B. Scalco, der 1951 geboren wurde und schon 1983 an einem Herzinfarkt starb, dessen Spitzname van Gogh der Pampas war, weil seine Fußballfotos von malerischer Qualität sprechen. Wenn unter den Fotografen auch Andy Warhol auftaucht, hat das mit Pele und Warhols Siebdruck von ihm zu tun. Sehr interessant, sich die Karrieren der Fotografen anzuschauen.

 

Berühmte Namen also und doch fallen einem beim Anschauen der Fotos die häufige Bezeichnung „Anonym“ auf. Das sind dann meistens Aufnahmen der Fußballer aus ihrem privaten Bereich, aufgenommen von Fans, besonders eindrucksvoll in Schwarzweiß die seitenfüllenden Gesichter von Gerd Müller und Breitner beim Zigarrerauchen am 7. Juli 1974 beim Galadinner des Weltmeisters Deutschland. Aber auch eine Vielzahl von Sportaufnahmen sind mit Anonym gekennzeichnet.

 

Bleibt zu erwähnen, daß es einige so umwerfende Aufnahmen gibt, daß wir beispielsweise nur die entsprechenden Seiten erwähnen: 127, wo Horst Müller die Zuschauer hinter dem Zaun fotografiert, so als ob jeder Kopf in ein Raster paßt; toll auch auf Seiten 278/279 der in die Luft aufsteigende Fußballspieler – sicher nach dem Kopfball!- und hinter ihm die Wand der Zuschauer, so klein in der Perspektive wie Tausende von Rosinen. Der Fotograf ist hier Cesare Galimberti, der in Florenz am 23. September 1978 den italienischen Stürmerstar Paolo Pulci hoch in der Luft zeigt beim Spiel Italiens gegen die Türkei, das 1:0 ausging.

 

Das bringt uns jetzt doch noch zum Traum-Team, das Bill Edgar für die 1970er Jahre zusammenstellt. Es beginnt mit Dino Zoff, dem italienischen Tormann, dann ein Spieler aus Brasilien, aus Deutschland Libero Franz Beckenbauer, einer aus England, Italien, den Niederlanden, Günther Netzer, Nordirland mit George Best, Holland mit Johan Cruyff, Brasilien, dann Pele, ebenfalls Brasilien. Der einzige Auswechselspieler kommt aus Argentinien und der Trainer aus Österreich. Es ist Ernst Happel, der legendär wurde, weil er mit mehreren europäischen Vereinsmannschaften aus Österreich, Deutschland, Holland und Belgien Vereinsmeister wurde und den Europapokal mit zwei Mannschaften gewann, darunter Hamburg.

 

Wir haben übrigens in der Redaktion und auch in privatem Rahmen das Buch betrachten lassen. Junge Menschen lachen sich kaputt, wie man damals aussah, Ältere freuen sich, Bekanntes, aber auch Vergessenes wiederzusehen, und Fußballfans lernen sofort die ihnen noch unbekannten Spieler auswendig. Da haben sie auf den gut 300 Seiten viel zu tun. Das ist kein Buch zum einmaligen Gebrauch, sondern eines, das man immer wieder aufschlagen kann. Nicht nur zu Weltmeisterschaften. Und wie gesagt, wir warten auf die Folgedekaden...

Foto: Pele und Beckenbauer mitsamt anderer nackerter Fußballer unter der Dusche. Ein erstaunliches Bild für heute, das zeigt, wie unverkrampft man damals mit Nackheit umging, aber auch wie abgeschottet die heutigen Fußballstars in ihrer 'Privatsphäre' sind.

 



INFO:

The Beautiful Game. Fußball in den 1970ern

Hrsg. Reuel Golden

26 x 34 cm, über 300 Seiten

39,99 Euro