Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Im Vorwort zu einer Biografie über den 1968 verstorbenen hessischen Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer würdigt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, den Initiator des Auschwitzprozesses, Fritz Bauer, 2013 mit den Worten: „Der Demokrat und Patriot Fritz Bauer hat an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst. Es sollte uns ein gemeinsames Anliegen sein, die Erinnerung an sein Leben festzuhalten und sein Verdienst in würdigem Andenken zu bewahren.“
Im selben Jahr schreibt der Leiter des Archivs und der Dokumentation des Fritz Bauer Instituts, Werner Renz, ein Vorwort zur Neuauflage eines Buches über den Auschwitz-Prozess, in dem Fritz Bauer nicht vorkommt. Wie soll man sich das erklären? Natürlich ist es jedermanns gutes Recht, sich über eine Person der Zeitgeschichte zu äußern oder auch nicht. Aber bei jemandem, der in einem wissenschaftlichen Institut arbeitet, das nach Fritz Bauer benannt ist, fragt man sich schon, ob er vielleicht ein Problem hat mit dem Namensgeber. Ich will versuchen, am Beispiel einiger Aufsätze von Werner Renz darauf eine Antwort zu finden.
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2005 erscheint ein Artikel von Renz mit der Überschrift „40 Jahre Auschwitz-Urteil – Täterexkulpation und Opfergedenken“.1 Darin schreibt er unter anderem, wenn man den Ausgang des Verfahrens betrachte und Sinn und Zweck staatlichen Strafens in NS-Prozessen überhaupt erörtere, falle das Fazit nicht gerade positiv aus. Er fragt, ob es in der bundesrepublikanischen Gesellschaft hinsichtlich der NS-Täter überhaupt ein Strafbedürfnis gegeben habe, und ob der Rechtsfriede und die Rechtsordnung ohne die Bestrafung der „Handlanger“ gefährdet gewesen wären.
Auf diese Fragen, so Renz, könne es nur ein klares Nein geben. Hafte dem Auschwitz-Prozess nicht ein Gerechtigkeitsdefizit an, fragt er weiter, wenn man sich vergegenwärtige, dass die Schreibtischtäter vielfach nicht belangt worden seien? Gewiss hätten einige der Angeklagten, „Führer, Volk und Vaterland in Treue ergeben“, den Vernichtungsprozess bedient. Aber die Auschwitz-Täter hätten auf der letzten Stufe des Geschehens gestanden. Als Bürger der Bundesrepublik hätten sie sich später untadelig verhalten, und die Gefahr des Rückfalls in staatlich befohlenes kriminelles Verhalten habe bei ihnen ebenso wenig bestanden, wie der Verdacht mangelnder Rechtstreue gegenüber dem demokratischen Staat.
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So massiv wie in diesem Artikel sind die Verfahren gegen NS-Täter und der Auschwitz-Prozess im Besonderen selten in Frage gestellt worden. Schlimmer als das in diesem Artikel geschieht, kann man die Gegner des NS-Regimes und die Hinterbliebenen der Opfer des Holocaust nach meinem Empfinden nicht vor den Kopf stoßen. Die Art und Weise, in der Werner Renz sich über die Angeklagten im Auschwitz-Prozess äußert, erinnert mich an manche Auftritte der Verteidiger während der Hauptverhandlung, über die ich als Journalist für eine jüdische Zeitung in Wien berichtete habe. Täterexkulpation bedeutet im strafrechtlichen Sinne die Aufhebung der Schuldfähigkeit eines Täters. Meint Renz wirklich, die Angeklagten hätten sich die ihnen vorgeworfenen Taten nicht zurechnen lassen müssen?
Desavouiert er damit nicht Fritz Bauer? Er arbeitet doch im Fritz Bauer Institut, das sich dem geistigen und politischen Erbe seines Namensgebers verpflichtet fühlt. Laut Satzung des Fördervereins Fritz Bauer Institut e.V. soll das Institut die Erinnerung an Leben, Werk und Wirken des ehemaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer im öffentlichen Leben wach halten und fördern. Wie verträgt sich das miteinander? Fortsetzung folgt.
1 Werner Renz, Täterexkulpation und Opfergedenken, Newsletter Nr.27 des Fritz Bauer Instituts (Herbst 2005).