Über untaugliche Versuche, eine historische Gestalt zu demontieren

  

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso)- Im ersten Teil der Serie, die insgesamt dem Andenken und dem gerechten Andenken an Fritz Bauer gilt, ging es um Aussagen von Werner Renz, am Fritz-Bauer-Institut beschäftigt und dessen maßgeblicher Gestalter, die dieser zur Frage der Verfolgung von NS-Verbrechern stellt, wobei er – wenn man das zugespitzt formuliert – der deutschen Gesellschaft kein Strafbedürfnis attestiert, erst recht wenn es um 'Handlanger' gegangen sei. In den folgenden Artikeln werden weitere Aufsätze und Aussagen von Werner Renz zu Fritz Bauer von Kurt Nelhiebel auf die Waage gelegt. Die Redaktion

                                     

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Im Jahr 2009 nimmt Werner Renz Äußerungen des Historikers Heinz Boberach über ein Gespräch mit Fritz Bauer zum Anlass für „Überlegungen zur einer skeptischen Bilanz Fritz Bauers“.1 Boberach zufolge soll Bauer kurz vor seinem Tod gesagt haben, es sei vielleicht falsch gewesen, dass er den Historikern mit dem Auschwitz-Prozess habe Arbeit abnehmen und das ganze Ausmaß der Verbrechen habe dokumentieren wollen, ihn dadurch aber verlängert und mehr Zeugen an ihre Leiden erinnert habe, als nötig gewesen sei; es hätte genügen können, die Schuld der Angeklagten nur in einigen hundert oder tausend Fälle nachzuweisen, um sie zur Höchststrafe zu verurteilen.

 

Dazu bemerkt Renz, die von Bauer angesprochenen „negativen Folgen des Auschwitz-Prozesses“ ließen sich unterschiedlich betrachten. Für den Strafrechts- und Strafvollzugsreformer Bauer sei es gewiss nicht akzeptabel gewesen, dass Beschuldigte bzw. Angeklagte mehr als fünf Jahre in Untersuchungshaft gesessen hatten, bis endlich der Prozess begonnen habe. Ein weiterer wichtiger Aspekt bestehe darin, dass sich Zeugen in der Hauptverhandlung anders erinnert hätten, als im Rahmen des Vorverfahrens. Ob der Auschwitz-Prozess, wie Bauer emphatisch erhofft habe, den Deutschen „die historische Wahrheit kund und zu wissen“ gegeben habe, sei ungewiss. Gleichfalls strittig sei, ob das Strafverfahren den Bürgern der Bundesrepublik Lehren erteilt habe. Bauers aufklärerischer Impetus, sein aus Humanismus, aus seinem Menschenglauben geschöpfter volkspädagogischer Ansatz, hätten ihn das leidenschaftlich hoffen lassen. Man sei freilich geneigt, die Sache nüchterner zu betrachten.*

 

Was heißt das? Will Renz damit in Abrede stellen, dass der Auschwitz-Prozess erstmals das ganze Ausmaß des Verbrechens am jüdischen Volk deutlich gemacht und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bewirkt hat? Mit dieser Ansicht stünde er ziemlich allein. Oder will er nur Fritz Bauers Anteil an der zeitgeschichtlichen Wende schmälern? Hält es Renz wirklich für eine „negative Folge“ des Auschwitz-Prozesses, dass einer der Hauptangeklagten, der brutale Gestaposcherge Wilhelm Boger, bei Prozessbeginn seit fünf Jahren in Untersuchungshaft saß? Woher weiß er, dass das für den Reformer Fritz Bauer nicht akzeptabel gewesen sein dürfte? Abgesehen davon - Selbstzweifel sind kein negatives Charaktermerkmal. Dass Fritz Bauer sich gelegentlich gefragt hat, ob alles richtig gewesen sei, was er unternommen habe, zeugt von seiner Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Das als „begründete Selbstkritik“ auszugeben, steht niemandem zu. Fortsetzung folgt.

 

Anmerkungen:

 

1 Werner Renz,(Un-)Begründete Selbstkritik, Tribüne, Heft 190, 2. Quartal 2009